Kapitel 3

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Frustriert warf ich die letzte Hose in meinen Koffer und betrachtete ihn. Alles war ordentlich eingepackt, nur lag meine eine Hose einfach nur quer auf allem drauf. "Kunst." Hauchte ich und schloss ihn.
Demotiviert trottete ich danach aus meinem Zimmer, schaute zur Seite, ging wieder in mein Zimmer und schlug die Tür zu. "Leon, wie oft willst du mich eigentlich noch erschrecken?" Rief ich durch die geschlossene Tür. Mein Bruder hatte keinerlei Präsenz, weshalb nicht mal Werwölfe seine Anwesenheit nicht spürten oder seine Bewegungen ausmachen konnten.
"Wir kennen uns jetzt seit ungefähr... 16 Jahren. Ich denke so seit 67 Jahren." Murmelte Leon zurück. Belustigt öffnete ich sie.
"Du bist so dumm." Lachte ich, erhielt aber nur einen ausdruckslosen Blick zurück. Er hatte so einen schlechten Humor und lachte nie. Was war das für eine Kombination? Stumm nickte Leon und lief zusammen mit mir die Treppe herunter.
Wir waren vier Kinder. Drei von uns waren 16, aber wir waren keine Drillinge oder Halbgeschwister.
Unten angekommen, verließ Leon das Haus für irgendwelche Besorgungen, während ich mich auf die Couch warf und demonstrativ ausatmete. "Ich will nicht!" Rief ich und streckte beide Arme in die Luft. Die Ärmel meines viel zu großen Hoodies rutschten herunter und entblößten meine Arme. Schockiert zog ich die Luft ein und fing an zu zittern. Ich wollte meine Arme senken. Ich wollte meine Arme bedecken, aber ich spürte meinen Körper nicht mehr. Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Arme zitterten so sehr, dass sie vor meinen Augen zu verschwimmen schienen und plötzlich erschien eine Hand über mir. Sie packte sanft meine Hände und das Zittern ließ langsam nach.
Als ich ausatmen wollte, spürte ich eine Flüssigkeit an meinem Arm herunterlaufen und starrte sie fremde Hand an. Zwischen unseren Händen floss Blut herab und tropfte auf mein Gesicht. Panisch drehte ich meinen Kopf zur Seite und fing an zu schreien.

Ich hörte einen panischen Schrei und riss sofort meine Zimmertür auf. Ich ignorierte meine verwirrte Freundin und eilte die beiden Treppen herunter, die meine Etage mit dem Erdgeschoss verband. Als ich dort ankam und im großen Versammlungszimmer unseres Rudels stand, entdeckte ich dort meine kleine Schwester. Schockiert lag sie auf dem Rücken. Ihre nackten Arme zitterten unaufhörlich, egal wie sehr Isabelle versuchte, das Zittern zu stoppen. Livvys Augen suchten ihren Weg zu Meinen und als sie in diese starrte, war das panische Rot plötzlich wie eingefroren. Sie bewegte sich nicht mehr und Isabelle ließ langsam ihre Hände sinken.
"Was ist passiert?" Fragte ich ohne große Umschweife.
"Ich kam grad erst nach Hause, da hatte Liv schon so stark gezittert, aber diese blanke Panik erschien erst, als ich ihre Hände nahm. Thomas, es wird immer schlimmer. Sie kann uns in diesen Momenten nicht mehr sehen oder ihren Körper kontrollieren." Besorgte starrte Isabelle auf ihre Adoptivschwester hinab. "Vielleicht sollte sich Peter doch noch mal überlegen, ob er seine Tochter in das Internat schickt."
Kurz ballte ich meine Hände zu Fäusten und trat an die Beiden heran. „Meinst du wirklich, dass sie in Einsamkeit mit ihrer Krankheit besser aufgehoben wäre? In Gesellschaft mit anderen Werwölfe ist sie vermutlich besser aufgehoben. Zusammen mit dir und Leon. Ich bin zwar ihr großer Bruder, aber ich hatte letztes Jahr schon meinen Abschluss, weshalb sie auf euch angewiesen ist. Unser Vater will nur das beste für sie. Er will nur, dass sie sich von allen Ereignissen erholen kann. Die Krankenschwestern dort wissen auch schon bescheid. Macht euch nicht zu viele Sorgen." Zaghaft legte ich meine Hand auf ihre Schulter und drehte sie leicht zu mir.
Ihre indigoblauen Augen strahlten in einem besorgten Licht. "Ich mach mir doch nur Sorgen um Liv. Sie ist wie meine Schwester- nein, Livvy ist meine Schwester. Nachdem meine Eltern getötet wurden, hat sie mich gerettet. Sie war für mich da und hat sich um mich gesorgt, doch eines Tages war sie verschwunden. Ich bin fast gestorben vor Sorge und als sie wieder kam, konnte man sie gar nicht mehr wiedererkennen. Sie hatte immer wieder Panikattacken, Halluzinationen, Angstzustände und all das. Niemand konnte mit ihr reden und niemand wusste, was passiert ist. Nicht mal heute, wissen wir so genau, was passiert ist. Selbst Peter weiß nur, dass sie eine... eine... wie hieß das?" Isabelle schnipste mit ihren Fingern, aber man merkte, dass sie nicht auf die Begriffe kam.
Nach einem kurzen Schmunzeln wollte er sie von ihrem Leid erlösen, doch packte jemand ihre Hand und zog unser beider Aufmerksamkeit auf sich.
"...dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung habe." Mit einer rauen Stimme sprach Livvy zu uns und ließ dann erschöpft ihre Hand wieder fallen. "Aber das wird mich scheinbar nicht vor dem Internat schützen. Verdammt." Lachend setzte sie sich auf.
"Du hattest noch nie Feingefühl. Weder vor noch nach all diesen Ereignissen, aber Hey, du bist der Wahnsinn, Schwester." Dennoch war ich erleichtert, da es zu weitaus schlimmeren Panikattacken hätte kommen können. Beim letzten Mal... das darf nie wieder geschehen. Unser Vater hat Recht, wir dürfen sie niemals wieder alleine lassen.

Erschöpft ließ ich mich neben Liv fallen und reichte ihr eine Nektarine. Dankend nahm sie diese an und biss in das saftige Fruchtfleisch. "Was hast du heute so gemacht?" Fragte sie mich zwischen verzweifelten Versuchen, nicht allzu sehr zu kleckern.
Ich überlegte kurz. Wir hatten unsere letzte Woche Ferien und während dieser Zeit hatte ich mich nur für das Internat vorbereitet. "MOMENT!" Rief ich schockiert auf. "Was meint Thomas mit euch?"
Verwirrt nahm Liv den gesamten Kern in den Mund und kaute darauf herum. "Euch? Du warst wieder mit Max unterwegs? Läuft da doch was?" Mit großen brauen Augen sah sie mich an. In diesem Moment konnte man ihr nicht mal ansehen, dass sie vor fünf Minuten eine Panikattacke gehabt hatte.
Ich wollte ihr ruhig antworten, aber schoss das Blut durch meine Adern und ich merkte, wie meine Gesicht errötete. "Nein da läuft nicht!" Versuchte ich ihr zu versichern, aber sie schenkte mir nur ein schiefes Lächeln.
"Ihr beide seid mir vielleicht welche. Seid Jahre lang nur Freunde und nach einer Party schafft ihr es nicht mehr euch in Augen zu sehen, ohne zu erröten." Liv lehnte sich zurück und schob ihre Ärmel herunter. Eine merkwürdige Angewohnheit mit viel Geschichte dahinter.
"Wie oft denn noch? Da läuft nichts zwischen uns. Außerdem ist er nicht mein Typ. Er ist viel zu... nett und unschuldig." Überrascht schlug ich meine Hand vor den Mund.
"Zu nett und unschuldig? Das stimmt. Für einen Jungen ist er wirklich sehr sanftmütig und zart. Er ist wie ein kleiner Bruder, auch wenn er 'nen Jahr älter ist als wir." Livvy starrte gedankenverloren an die Decke.
Sie hatte Recht. Maximilian Gray war die Definition eines Unschuldsengels und er war so verdammt gutmütig und süß. Und schlecht sah er auch nicht aus. Groß gewachsen, kräftig gebaut, Moment-
Schockiert schlug ich mir die Hände vor mein Gesicht und das Blut schoss mir erneut durch die Adern.
"Mach dir keine Gedanken. Nur weil seine Eltern Abgesandte sind, ist er nicht gleich unantastbar." Liv klopfte mir auf die Schulter und wollte mir vermutlich damit ihr Mitgefühl zeigen, aber irgendwie klappte das nicht. Woran das wohl liegt?
„Ach Liv... du bist die Tochter des Alphas. Du musst dir über solche Standesunterschiede keine Gedanken machen. Du warst immer ganz oben, aber meine Eltern waren einsame Wölfe. Ich dürfte gar nicht hier sein." Die Erinnerungen meiner Vergangenheit schienen sich wie meine Tränen hochzuarbeiten.
"Max' Schwester ist mit mir zusammen und du bist auch die Tochter des Alphas. Ihr habt meinen Segen!"
Schockiert drehte ich den Kopf in alle Richtungen, konnte aber niemanden sehen. Scheinbar war Thomas in der Küche und hatte alles mitbekommen. Na ganz toll.
Ganz in Gedanken konnte ich den Schatten vor meinen Augen nicht so genau ausmachen, aber wusste ich sofort, was es war.
Leon hatte eine Präsenz wie er aussah. Eine dumpfe und unscheinbare bis gar keine. Dieser Junge fiel einfach nicht auf und man bemerkt ihn selbst als Werwolf nicht, wenn er den Raum betritt. Das war vielleicht eine Katastrophe, als wir eine Übernachtungsparty hatten und Leon im Dunklen mit seinen eisblauen Augen stand. Wir haben ihn sechs Monate lang eine Glocke tragen lassen, damit wir nicht schon wieder beinahe an einem Herzinfarkt sterben würden.
Leon stand nun stumm vor Liv und diese starrte fragend zurück. Wenn es so etwas wie geheime Zwillingskommunikation gab, dann hatten die beiden die bestimmt. Ohne seine kalte Maske abzulegen, hielt Leon seine Hand vor ihr Gesicht. Es schien sich eine gewisse Spannung im Raum aufzubauen und ich merkte, wie sich die Zwillinge immer intensiver anstarrten. Verwundert saß ich daneben und verstand nicht so genau, warum die Situation immer unangenehmer wurde.
"Danke." Murmelte Liv, öffnete dann leicht ihren Mund und ließ den Nektarinenkern in Leons Hand fallen. Dieser nickte nur resignierend und ging in dir Küche.
"Jesus Christ, ich lebe mit Verrückten zusammen!" Schrie ich und warf meine Hände in die Luft. Warum waren die Blackstorms nur so merkwürdig? Nicht mal einen Tag konnten wir verbringen, ohne dass irgendwas merkwürdiges, wie dieser intensive Müllwechsel, stattfand. Das wird irgendwann noch mein Tod sein.
Doch trotz alledem konnte ich mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt