Kapitel 59

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"Hey, Marco. Wie geht's dir?" Erschöpft ließ sich Alex neben mich fallen. Nach diesem äußerst unangenehmen Essen sind wir alle schnell in unsere Zimmer geflohen oder eher unsere Schlafräume. Ich konnte mich immer noch nicht damit anfreunden, dass wir uns im Haus der Alphas befanden. Waren wir es überhaupt wert? Außerdem befand sich mein Vater hier und würde mit uns kämpfen. Das ging mir alles gegen den Strich.
"So gut es einem in einer derartigen Situation gehen kann." Ich rutschte vom Bett herunter, auf dem Alex lag, und zog die Beine an meinen Körper. Ich wollte nicht kämpfen. Ich bin kein starker Krieger und demnach wäre ich auch keine große Hilfe. Mich würde es nicht wundern, wenn ich nur im Weg stehen würde. Ich kann mich nicht mal verwandeln und habe so viele Probleme, die mich blockieren würden. Warum bin ich nicht einfach gegangen? Der Vertreter der Kojoten befindet sich doch hier und mein Vater würde sich um den Ruf der Silverstones kümmern. Ich liebe Olivia zwar, aber es hat wenig mit mir persönlich zu tun. Ich möchte nicht hier sein. Ich will nicht sterben.
"Geht mir genauso." Ich bemerkte, wie sich Alexandra vorschob und mit ihrem Kopf von der Bettkante hing. Sie hatte zwar eine große Rede geschwungen, sie würde gerne mit ihnen kämpfen, aber es war eine sehr persönliche Angelegenheit der Blackstorms und wir waren nur hier, da die Umstände es nicht anders zuließen. Alex wirkte zwar immer so ausgelassen und tiefenentspannt, aber in ihr lebte eine stetige Angst, alles zu verlieren. Sie fürchtete sich genauso, wie ich mich und das musste ich sie nicht mal fragen. Ich konnte es spüren.
Knarrend öffnete sich die Tür und zwei junge Männer betraten den Raum. Sie wirkten zwar locker, aber ich konnte die Anspannung unter ihren T-Shirts sehen. "Wir sollten aufhören, über so deprimierende Dinge nachzudenken. Der Krieg hat noch nicht begonnen, also müssen wir uns keine Gedanken machen." Lächelnd setzte sich Lawrence Morgan neben Alex und nahm sie in den Arm.
Er lächelte, aber das Lächeln war nicht ehrlich. Wir alle waren sehr angeschlagen. Nachdem Olivia entführt wurde, hatte sich alles geändert und selbst wenn uns nicht persönlich geschadet wurde, so hatte es uns dennoch getroffen.
Stumm trat Shang an das Bett. Mit seinen Händen in der Hosentasche schaute er zu mir hinab. Sein Blick wirkte aufmerksam, wachsam und behütend, aber ich konnte ihm nicht lange die Augen sehen. Ich hatte das Gefähl, als würden im Moment viele Dinge wichtiger sein als die Beziehung des Einzelnen.
Doch dann merkte ich, wie sich die Atmosphäre im Raum änderte. "Mein lieber Freund hat recht. Wir sollten über andere Dinge nachdenken und reden. Wie wäre es mit unserem neuen Pärchen in der Runde. Erzählt mal. Wie kam es zu diesem..." Grinsend setzte sich Alexandra auf und nahm eine nachdenkliche Haltung ein. "Sharco?"
Sofort merkte ich, wie meine Wangen zu glühen begannen und ich schnell weggucken musste. Da jedoch Shang vor mir stand und ich Alexadra und Lawrence nicht ansehen wollte, starrte ich Shang mit einem hochroten Kopf an. Der stand immer noch gelassen vor mir und schenkte mir einen ahnunglosen und unschuldigen Blick. Dann schloss er die Augen und zuckte leicht mit den Schulter, als ich ihn versteinert anstarrte. "Was soll man schon dazu sagen?"
"Ich hätte nicht gedacht, dass du auf Typen stehst." Ich hörte in Alexandras Stimme ehrliche Überraschung. Ich mochte dieses Wort nicht. Ich mochte das Wort 'schwul' nicht. Ich verbinde es nicht zwangsläufig mit guten Erinnerungen und bin meiner Kindheitsfreundin äußerst dankbar, dass sie es anders formulierte.
"Das hätte ich auch nicht gedacht." Grinsend hockte sich Shang vor mich und nahm mein Gesicht in seine rauen Hände. "Ich habe ich immer gefragt, wie man auf einen anderen Mann stehen kann und dann habe ich diesen kleinen Zwerg in meinem Haus gefunden und dachte mir nur: Oh. So kann man das also." Sein Lächeln war ein breites, das seine weißen Zähne zeigte, die leicht an Reißzähne erinnerten. Ich mochte dieses Lächeln. Es wirkte so kindlich und unberührt von der grausamen Welt. Auch wenn ich nur ein Schwächling war, wollte ich dieses Lächeln mit allen Mitteln beschützen.
"Dude... that's gay." Lachend rutschte Alexandra das Bett runter und lag in einer sehr merkwürdigen Position neben mir.
"Das will ich doch hoffen." Lachend packte Shang ihre Beine und zog sie vom Bett, als er aufstand. Trotz Protest zog er sie durch den Raum und Lawrence und ich saßen nur etwas verwirrt da und beobachteten unsere Partner, wie sie mit ihren 16 und 18 Jahren durch den Raum sprangen. Ich war sehr erleichtert mit ihnen hier zu sein.
Plötzlich spürte ich eine Berührung an meinem Nacken, die mich schockiert aufschreien ließ. Sofort wich ich vom Bett und stand auf. Verwundert lag Lawrence auf seinem Bauch in der selben Position, wie als er meinen Nacken berührt hatte. "Was machst du denn?" Verwundert fuhr ich meinen Nacken entlang, aber konnte nichts finden, das sein Verhalten hätte erklären können.
"Ich wundere mich nur." Nachdenklich setzte er sich auf und wirkte etwas abwesend. Shang trat hinter mich und fuhr ebenfalls über meinen Nacken, was mich rot werden ließ. Ich wollte ihn stoppen, aber wollte nicht, dass er aufhört. "Wenn dein Vater einen Alpha getötet hat, müsstest du dann nicht auch das Mal der Alpha auf deinem Rücken haben?"
Ich stockte. Er hatte recht. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, aber mein Vater hatte einen Alpha ermordet und somit seine Kräfte übernommen. Das bedeutet, dass seine Erben somit die rechtmäßigen Erben seiner neugewonnenen Macht werden.
Sofort packte Shang mein Hemd und zog es hoch. "Hör auf!" Ich drehte mich ruckartig um und drückte ihn von mir weg. Er mag mich zwar akzeptiert haben, aber er konnte mich nicht einfach so anfassen.
"Da ist es!" Erfreut sprang Alexandra vor und hob das Hemd wieder hoch. "Eine Triskele, die sich über seine Wirbelsäule erstreckt, den Großteil seines Rückens ausfüllt und seine Macht symobolisiert. Wenn das mal nicht das Zeichen eines Alphakindes ist!"
Ich wollte aber nie Alpha werden.

"Kinder..." Genervt schloss ich die Tür auf und trat in das dunkle Zimmer. Ich war es satt, soviele Stimmen ständig hören zu müssen, aber in nächster Zeit würden sie leider bleiben.
"Willst du nicht später auch mal Kinder haben? Dann wird das immer so sein. Laut und unruhig." Ich konnte sie nicht so direkt sehen, aber ich spürte ihre weichen Hände, als sie meine verspannten Schultern berührte. "Ich hoffe wirklich, dass deine eigenen Kinder dein Leben verändern. Ich erinnere mich noch deutlich an meinen Freund, wie er seine pinke Schürze packte und stundenlang mit seiner Mutter das Essen vorbereitete. Ich erinnere mich noch an seinen beschürzten Gesichtsausdruck, als er herausfand, dass ich die Tochter Xavier Grays bin. Ich erinnere mich noch an unsere Dates und die Mühe, die er in jedes einzelne Geschenk steckte. Aber dieser Mann ist einem Krieger gewichen. Einem Krieger, der seine Familie schützen möchte und seine Gegner besiegen will. Doch ich erkenne ihn nicht wieder. Dieser bodenlose Hass und die unbändige Wut zerstören den Mann, den ich lieben gelernt habe. Bitte verliere dich nicht in deiner Wut." Vorsichtig berührte sie meine Wange.
Ihre Hände waren kalt. Sie hatten immer eine kühlere Temperatur, aber wenn sie sich fürchtete oder nervös war, dann wurden ihre Hände noch kälter. Ich wusste, wie sie war. Ich kannte sie und sie kannte mich, aber ich veränderte mich.
Vorsichtig nahm ich ihre Hand von meinem Gesicht und hob sie hoch. Automatisch schlang sie ihre Hände um meinen Nacken und ihre Beine um meine Hüfte. Sie war sehr leicht für ihre Größe. Die letzten Monate hatte sie aber auch kaum etwas gegessen. Der Tod ihrer Eltern und der Stress im Rudel hatte uns allen zugesetzt, aber besonders sie wollte ich nicht in diesem Zustand erleben.
"Würdest du mich hassen, wenn ich zum Mörder werde?" Langsam trug ich sie zu unserem gemeinsamen Bett und ließ sie sanft in die Federn sinken. Sofort entspannte sie sich, aber ließ nicht von mir ab, als ich über ihr gebeugt meine Arme neben ihren Kopf abstützte. "Würdest du mich hassen, wenn ich nun meinen eigenen Vater ermorde?"
Vorsichtig öffnete Auralia ihre grauen Augen und musterte jeden Bereich meines Gesichtes. "Ich gehe davon aus, dass du es sein wirst, der zum Alpha wird. Du würdest es Olivia nicht an tun, zu einem Mörder zu werden. Es ist deine Pflicht und dafür könnte ich dich nicht hassen." Leicht hob sie ihren Kopf und berührte federleicht meine Lippen mit ihren.
"Ich hasse ihn."
"Ich weiß."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt