Kapitel 31

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Christopher Whitenight war schnell, aber ich hätte auch nichts anderes vom Erben der Gründerfamilie erwartet und dann auch noch von einem geborenen Alpha. Wir rannten immer weiter und erst jetzt bemerkte ich, wie groß das Gelände in Wahrheit war. Aber das spielte keine Rolle. Livvy saß alleine in einem Auto eingesperrt und konnte mit meinem Verrat nicht umgehen. Was sie sich alles antun würde, wollte ich mir gar nicht ausmalen. Schnell schüttelte ich mich und schaute wieder nach vorne. Mir war so, als hätte Whitenight etwas gesagt, aber der Wind um uns herum war aufgrund unserer Geschwindigkeit viel zu laut.
Doch dann sah ich es. Das schwarze Auto, das genau in der Mitte eines Weges stand. Ich konnte sie riechen. Ich roch meine Schwester, doch konnte ich ihre Emotionen nicht zuordnen. Es waren so viele, doch fühlte es sich auch wie keine einzige an. Stürmisch überholte ich Whitenight, welcher nicht damit gerechnet hatte, dass jemand schneller als er war, und riss die Tür aus dem Auto heraus. Sofort erhielt ich ein wütendes Knurren, doch überraschte es mich, dass es nicht vom Alpha stammte.
"Was willst DU denn hier?" Wütend funkelten mich Livvys blutrote Augen an. Sie wollte mich nicht hier haben und das erkannte ich sofort.
"Livvy, geht es dir gut? Ist irgendwas passiert?" Besorgt musterte ich sie und kam nicht drumherum ihr Gesicht zu packen und mir alles genau anzusehen. Doch schüttelte mich meine Schwester sofort ab.
"Ja, vielen Dank. Es war nämlich jemand für mich da, der sich wirklich um mich sorgt und ehrlich zu mir ist." Ihre Worten waren mit Hass gepaart und das ließ sie nicht untergehen. Sie hasste mich dafür, dass ich sie angelogen habe und ich konnte es ihr nicht verübeln. 16 Jahre lang hab ich ihr etwas vorgemacht und jemanden gespielt, der ich überhaupt nicht war. Das realisierte sie nun langsam und hasste mich dafür. Oder hasste sie sich selbst dafür, dass sie mir vertraut hatte und nun so verraten wurde? Ich wusste es nicht.
"Livvy, ich habe nie aufgehört, mich um dich zu sorgen. Ich wollte immer zu dir ehrlich sein, aber du konntest mit der Wahrheit nicht umgehen!" Ich wollte sie wieder packen, aber sie stieß mich weg und zuckte leicht zusammen. Sie hatte die nackte Haut meiner Brust berührt oder eher die riesige Narbe auf meiner Haut.
"Ich kann sehr wohl damit umgehen. Ihr wisst das nur nicht, da ihr mir nie die Wahrheit gesagt habt! Woher soll ich wissen, ob ich euch wirklich vertrauen kann? Leon, das Werwolfgen ist dominant. Mein Vater ist einer der stärksten Werwölfe, warum bist also du keiner? Erklär mir das. Bist du überhaupt mein Bruder? Bist du überhaupt mit mir verwandt?" Kurz zögerte sie, doch hob dann wieder ihre Hand und stieß mich vom Auto weg. Und ich ließ es zu. Ich ließ sie mich von sich stoßen.
Ich konnte auch nichts darauf antworten. Sie hatte nunmal Recht. Das Gen war dominant und ich besaß es nicht. Wie sollte ich beweisen, dass ich wirklich ihr Bruder war? Sie hasste mich dafür, dass ich nicht einfach sagen konnte 'Nein, das stimmt nicht. Ich bin dein Bruder, bitte vertrau mir!', denn ich konnte nicht.
"Ich brauche Zeit." Überrascht hob ich meinen Kopf und starrte Livvy an. "Ich muss über alles nachdenken und dafür kann ich dich an meiner Seite nicht gebrauchen. Bitte gib mir Abstand und Zeit. Ich kann das grad alles nicht." Ihre Stimme hatte einen weichen Ton angenommen, aber ihre Worte wirkten scharf wie Messer.
Ich nickte nur und sah dabei zu, wie sie Whitenights Hand nahm und ihn vom Platz zog. Und mich hier zurückließ.
Wir haben 16 Jahre lang zusammengelebt. Seit ich mich daran erinnern kann, waren wir immer zusammen. Wir waren zwar unterschiedlich, aber auch unzertrennbar wie das Yin und Yang. Sie hat zu mir aufgesehen und ich hätte mein Leben dafür gegeben, dass sie glücklich ist, aber nun... verließ  sie mich und entschied sich stattdessen für einen Mann, der sie verstoßen und beleidigt hatte. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nichts über ihn und trotzdem wählte sie ihn über mich. Ich bedeutete ihr nichts mehr und das wurde mir schmerzhaft bewusst. Unsere Verbindung hatte sich gelöst. Sie wollte ohne mich leben und ich konnte rein gar nichts dagegen tun. Ich musste sie gehen lassen.

"Was meinst du damit?" Verwirrt starrte Auralia meine Mutter an. Caliria hatte das Versammlungszimmer nach ihrer Offenbarung sofort verlassen, aber meine Freundin wollte mehr wissen, weshalb wir ihr folgten.
"Wie bereits gesagt, sie suchen Olivia wegen mir. Mein Blut fließt durch ihre Adern." Energisch drehte sie sich zu uns, doch als ich die Augen meiner Mutter sah, musste ich schockiert feststellen, wie müde und leer sie eigentlich waren. Meine Mutter konnte nicht mehr.
"Aber- wie ist das möglich? Die Regeln besagen doch, dass-"
"Das spielt keine Rolle. Wir kannten die Regeln und haben sie trotzdem ignoriert. Rate mal, warum mich meine Eltern verstoßen haben. Sie wollten nicht, dass ich mit Caliria zusammenkomme und als ich sie dann doch zur Frau nahm und Kinder mit ihr bekam, brachen sie den Kontakt vollends ab." Mein Vater stand mit tiefen Augenringen an einer Tür gelehnt und starrte uns mit hasserfüllten Augen an. Aber dieser Hass galt nicht uns, sondern sich selbst. Er erinnerte sich an Ki und dafür hasste er sich fast so sehr, wie ich ihn hasste.
"Wir haben versucht, es zu verhindern, aber das Siegel..." Schockiert riss ich meinen Kopf in die Höhe. Meine Eltern hatten schon seit Jahren nicht mehr über das Siegel gesprochen.
"Was für ein Siegel?" Verwundert drehte sich meine Freundin zu mir, aber ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Meine Familie war kaputt, obwohl wir zusammen waren. Wir waren ein Vollständiges Zerbrochenes. Wir waren die schönste Lüge unseres Rudels.
"Unsere Kinder sollten nicht zu solch gefährlichen und gefährdenten Wesen werden und um mein Blut aufzuhalten, haben wir deinen Vater darum gebeten, ein Siegel auf mein Blut zu legen. Dein Vater ist ein Gray und somit einer der stärksten Druiden unserer Zeit." Begann meine Mutter, doch Auralias Tränen ließ sie stoppen.
"Mein Vater WAR einer der stärksten Druiden. Er ist tot, weil das Darach-Rudel alles zerstört, um ihre Pläne durchzusetzen."
Kurz hielten wir alle inne. Sie hatte den plötzlichen Verlust ihrer Eltern noch nicht verwunden und die Tatsache, dass ihr kleiner Bruder immer noch die Hoffnungen hatte, sich bei ihnen für sein Verhalten und ihren Streit zu entschuldigen, zerstörte sie von Tag zu Tag immer mehr. "Ja, er war so mächtig, dass er die gesamte Kraft meines Blutes neutralisieren konnte. Deshalb ist Thomas auch einfach nur ein Werwolf. Mein Blut hatte keine Auswirkungen auf ihn, aber aus irgendeinem Grund zerbrach dieses Siegel vor der Geburt der Zwillinge, weshalb Livvy so ist, wie sie nunmal ist. Es ist meine Schuld, dass sie nun gejagt wird!" Zum Ende hin brach die Stimme meiner Mutter.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Mutter war die Sonne selbst. Nicht nur Äußerlich, sondern auch von ihrem Gemüt her. Trotz ihrer Narben ließ sie sich nichts anmerken. Man konnte ihr nicht ansehen, dass sie gebrochen war, aber das war der Fall. Meine Mutter war eine gebrochene Frau und ich hatte sie nur einmal weinen sehen. Und das nicht etwa, als sie Ki, ihr erstgeborenes Kind, weggeben musste, um den Frieden zu wahren, sondern als sie merkte, dass das Siegel gebrochen war. Niemand redete über Ki oder wusste so genau, was damals geschehen ist. Doch meine Mutter würde das nie vergessen. Es war ihre Schuld, dass die Jäger ihr Kind wollten, da sie damals nicht wussten, was aus Ki werden würde. Und nun würde sich die Geschichte wiederholen, da das Siegel der Zwillinge sie nicht geschützt hatte. Auch wenn dieses mal die Jäger sich noch nicht gemeldet haben. Oder waren die Jäger ein Teil der Darachs?
"Und was machen wir jetzt? Olivia muss davon erfahren!" Ich merkte, wie Auralia die Verzweiflung überkam. Sie konnte nicht richtig mit dieser Situation umgehen. Die Offenbarung meiner Mutter hatte alle geschockt, aber sie hatte den Männern im Versammlungszimmer nichts vom Siegel erzählt und diese interne Information zerrte an ihren Nerven.
"Sie muss nichts davon erfahren. Sie hätte es einmal fast erfahren und hat dabei Leonard angegriffen, ohne dass sie sich daran erinnern kann. Das bleibt geheim, solange es nicht zwangsläufig nötig ist." Wütend packte mein Vater Auralia am Kragen und riss sie in die Höhe.
Schockiert zog meine Mutter die Luft ein, aber sagte nichts. Sie regte sich nicht, da sie wusste, dass dies die bessere Methode war.
"Es ist nötig, da sie doch schon gejagt wird. Ich werde es ihr sagen, sollte ich sie das nächste Mal sehen!" Entschlossen erwiderte meine Freundin den Griff, auch wenn es eher so aussah, als würde ein Gorilla ein Chinchilla hochheben und das kleinere Tier sich irgendwie versuchte dagegen zu wehren.
"Das wirst du nicht. Hast du verstanden?" Sprach mein Vater mit seiner Alphastimme, welche meine Mutter zusammenzucken ließ. Wenn man nicht direkt zur Alphafamilie gehörte, dann würde einen diese Stimme stark beeinflussen. Mir wurde mal gesagt, dass dieser Klang einen auf den Boden zwingt und dir sagt, dass alles, was der Alpha befielt, das einzig Richtige sei und dass an es ausführen müsste. Aber Auralia ließ sich davon nicht beirren.
"Ich werde ihr die Wahrheit sagen, denn das bin ich ihr schuldig. Sie ist wie meine Schwester, die ich nie hatte und nicht mal ihr könnt mich aufhalten." Entschlossen funkelten ihre graue Augen und ich hatte das Gefühl, als würde mein Vater etwas Respekt für diesen eisernen Willen entwickeln, aber das Rot in seinen Augen blieb. Und dann sagte sie die Worte, die meinen Vater dazu veranlassten, sie durch die Tür, die uns und die anderen trennte, zu werfen. "Ich werde Olivia sagen, dass ihre Mutter der Erbe der Miyarayo ist. Ich werde ihr sagen, dass sie von der Gründerfamilie der Werwölfe UND Naguals abstammt!"

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