Kapitel 12

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"Nein..." Drang ein Murmeln an mein Ohr. "Nein." Es wurde immer eindringlicher. Warum hatte ich so einen real wirkenden Traum? "NEin!" Der Schrei wurde immer energischer. "NEIN!!" Und nun war ich wach. Verwirrt setzte ich mich in meinem Bett auf und sah mich um. Es war immer noch mein trostloses Zimmer im Lupus Luna Internat. Nackte Wände umgaben mich und da wir einen externen Kleiderschrank hatten, wirkte das Zimmer ohne Inneneinrichtung so riesig und leer. Aber der Schrei war nun wichtiger. Ich hatte mir das nicht eingebildet.
Ich sprang auf und sofort bildete sich Gänsehaut an meinen Armen, als meine nackten Füße den Boden berührten. Doch das spielte jetzt keine Rolle. Ich lief sofort los und rannte dabei fast Isabelle rum, die ebenfalls durch den leeren Gang rannte. "Du hast das auch gehört?" Fragte sie verblüfft.
"Wie könnte man diese Menge an Schreien nicht gehört haben?" Und wie auf's Stichwort fiel mir ein weiterer Schrei ins Wort. Er schien aus dem Bereich der Jungs zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, wer da geschrieen haben könnte, aber die Stimme wirkte sehr markant. Auch wenn es ein panischer Schrei war, konnte man erahnen, dass die eigentliche Stimme relativ tief war. Und nur Marco hatte diese tiefe Stimme, welche überhaupt nicht zu seinem weichen, fast feminin wirkenden Gesicht passte.
Wir eilten in sein Zimmer und ich zuckte zusammen, als er erneut aufschrie. Sofort machte ich das Licht an und war etwas verwirrt von der Situation. Marco saß aufrecht in seinem Bett und hatte sich seine Decke vor die Augen gezogen. Aufgrund meines gesteigerten Gehörs konnte ich seinen unregelmäßigen Atem vernehmen und es schien mir, als würde er hysterisch, aber stumm weinen.
"Was ist hier los-" Shang Wu riss die Tür beinahe aus den Angeln, als er das Zimmer erreicht und stoppte sofort. Auch seine braunen Augen fixierten sofort das Bündel Elend, welches einst Marco Silverstone war. Und dann wanderten seine Augen zu meinem Bruder. Leon saß etwas perplex auf dem Boden, hatte einen Arm in die Höhe gerissen, welchen einige Fleischwunden zierten. "Was habt ihr dem Silverstone angetan, Blackstorms?" Er sprach unseren Nachnamen mit solch einer Verachtung aus, dass ich schon befürchtete, er würde sich daran verschlucken, sollte er seinen Hass weiterhin zurückhalten.
"Gar nichts. Er hat geträumt und als ich ihn wecken wollte, hat er auf mich eingeschlagen. Was weiß ich." Genervt stand Leon auf. Seine Gestik war ausdruckslos und sein Gesicht verriet auch nichts, aber aufgrund meiner Erfahrung mit ihm, konnte ich sagen, dass er sehr genervt davon war, grundlos beschuldigt worden zu sein.
"Als ob ihr nichts getan habt. Dann würde er nicht so schreien!" Er mochte uns nicht. Ganz eindeutig konnte er uns nicht leiden, aber ich konnte nicht sagen, was ihn dazu veranlasste, sich so sehr wegen diesem Jungen hineinzusteigern und uns anzugreifen.
Besorgt trat er an Marco heran und zog leicht seine Decke weg. Für einen Moment ließ er das auch zu, aber als seine Augen Shang erkannten, schrie er panisch los.
"Bleib weg von mir! Ich hab nichts getan! Bitte tu mir nichts! Vater, bitte!" Die Tränen strömten unaufhörlich über sein Gesicht und seine Hände wirbelten orientierungslos durch die Gegend. Die Krallen waren ausgefahren, aber selbst als er Shangs Hals erwischte, wich dieser nicht zurück.
"Liv." Flüsterte mir Isabelle zu, als sie die Szenerie genauer betrachtete. "Er ist wie du."
Sie hatte Recht. Marco war wie ich. Auch er hatte eine posttraumatische Belastungsstörung. Er konnte uns in diesem Moment nicht sehen, da er in einer Halluzination eines Traumatas gefangen war. Scheinbar hatte sein Vater damit zu tun.
"Xuezhang!" Rief ich und erhielt nur einen angewiderten Blick von Shang, aber er nickte meinen Ruf ab. "Er hat eine Panikattacke. Er kann dich nicht sehen. Er sieht nur seine Halluzinationen. Du musst ihn in die Realität zurückbringen. Wecke ihn auf. Das ist deine Aufgabe als unser Xuezhang!"
Kurz zögerte er. "Glaubt ja nicht, dass ich es für euch dreckige Blackstorms auch tun würde." Und mit diesen Worten riss er Marcos Decke vollständig fort und zog Marco zu sich hoch. Er zog ihn so dicht an sich heran, dass ich mir kurz Sorgen machte, er würde ihn erdrücken. Erst wurde der Herzschlag noch schneller, aber als Shang den Druck verstärkte, wurde auch die Atmung langsamer, regelmäßiger und ruhiger. Es vergingen einige Minuten der Stille, in der keiner sich traute, etwas zu sagen.
Vorsichtig hob Marco eine Hand und tippte Shang zaghaft an, jedenfalls versuchte er das. Er hatte aber nicht genug Kraft dafür, weshalb das Tippen sich in ein Streicheln verwandelte. "Du kannst mich wieder loslassen." Seine Stimme war noch nicht stabil genug, dass er laut und deutlich reden konnte, aber wir alle verstanden ihn und eine Anspannung fiel von mir ab. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Man ist in einer Welt gefangen, aus die keiner einen retten kann. Man sollte es besser wissen, aber wenn man die Erinnerungen an diese traumatischen Dinge immer und immer wieder erlebt, kann man sich nicht konzentrieren. Man ist darin gefangen und es gibt kein Entkommen. So dachte ich, aber scheinbar konnten bestimmte Menschen oder Methoden einen aus dieser Attacke befreien. So einen Menschen wünschte ich mir auch. "Du kannst mich loslassen, Mister Wu." Wieder tippte Marco Shang an.
Erst da schien Shang zu realisieren, dass er Marco noch in seinen Armen hielt, aber er zögerte, als er ihn von sich drückte. Es war nur kurz, aber er hatte in Erwägung gezogen, ihn in seinen Armen zu behalten. "Geht schlafen, ihr nutzlosen Gören." Grummelte er und verließ dann das Zimmer. Natürlich konnte er es nicht unterlassen, mich mit seiner Schulter wegzustoßen. Ihm schien unsere Anwesenheit nicht zu zu sagen. Was ein Spinner.
"Wir hätte auch gehen könne, wenn du weiterhin mit Marco kuscheln willst!" Rief ich ihm noch hinterher, bevor er die Tür schließen konnte, doch erhielt ich nur einen Mittelfinger und ein schockiertes Quieken von Marco. Was war denn mit den beiden los?

"Habt ihr gut geschlafen?" Müde trottete Professor Lighthallow in die Küche. Wir hatten ihm nichts von dem Vorfall von letzter Nacht erzählt. Es schien die richtige Entscheidung gewesen zu sein, da er ohnehin übermüdet und erschöpft aussah, auch ohne unsere Sorgen. Ich hatte zwar Probleme damit gehabt, meinen Arm alleine zu verbinden, aber durch die gesteigerte Regeneration meiner Art konnte ich die Bandagen auch bald wieder abnehmen. Und eine Narbe würde ebenfalls nicht bleiben, auch wenn Marcos Klauen mein Fleisch bis auf die Knochen aufgeschlitzt hatten.
Als wir jedoch alle schwiegen, drehte sich unser Mentor um und nahm einen großen Schluck Kaffee. "Kommt schon Kinder, erzählt mir mehr vom Schlaf. Ich kann mich an meinen letzten Schlaf nicht mehr ganz erinnern. Wie ist das so?" Verwirrt sah ich von meiner Tasse Kaffee auf. Seine Augenringe waren noch stärker zu sehen als gestern und seine Augen schienen rot zu schimmern und das hatte nichts mit seinem inneren Tier zu tun, sondern lag an Schlafmangel.
"Wann haben sie denn das letzte Mal geschlafen?" Livvy stand auf und lief an ihm vorbei, um ihr Geschirr wegzuräumen. Dabei zog sie leicht die Augenbrauen hoch, als sie vom Nahen merkte, wie müde er eigentlich war.
"Dienstag." Murmelte der Professor und nahm einen erneuten Schluck.
Schockiert riss Isabelle ihren Kopf in die Höhe. "Aber heute ist Montag!"
"Ich rede nicht von der letzten Woche, sondern von der davor." Ein weiterer Schluck seines Getränks und die große Tasse war leer. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Tasse eher als Blumentopf hätte genutzt werden sollen, aber ich wollte den Professor nicht belehren. Wir konnten dementsprechend nur über seinen Schlafrhythmus den Kopf schütteln.
"Morgen." Verschlafen betrat nun auch Marco die Küche. Er schien wieder bei Verstand zu sein, auch wenn er sehr müde war. Hinter ihm kam auch Shang in die Küche, aber die Beiden schienen sich zu meiden.
"Ach Shang, gut dass ich dich sehe. Bitte sag mir, dass Kouhei nicht hier ist." Verzweifelt schaute unser Professor zu Shang, doch der musste nur Grinsen. An ihm merkte man von der Nacht nichts.
"HALLO, ALLE MITEINANDER!" Die Haustür wurde aufgestoßen und ein hochmotivierter Mann in Professor Lighthallows Alter betrat das Haus. Er wirkte wie ein reines Bündel Energie. "HEY JAMES, WAS GEHT? ZEIT FÜR UNSER DATE?" Was!?
"Nein! Bitte Kouhei, halte für einen Moment bitte einfach die Klappe."
Was sind das für Lehrer?

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt