Kapitel 93

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"Wonach suchen wir?" Ich drehte mich im Kreis.
"Bist du komplett beschränkt? Wir suchen nach der kleinen Blackstorm. Nach wem sonst?" Genervt kam Shang auf mich zu und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. Ich hörte einige Füchse schockiert aufatmen und ich wusste auch direkt, warum sie so reagierten.
Ich war Thomas' Beta und einer der stärksten Werwölfe in Nalawe. Shang dagegen war der Beta Christophers und einer der aggressivsten Werwölfe, die Nalawe je von außerhalb gesehen hat. Uns beide zusammen zu sehen, war schon etwas schockierendes für die Allianz, aber die Tatsache, dass wir so vertraut miteinander umgingen, war für sie vermutlich mehr als schockierend.
Shangs Hand verweilte eine Weile an meinem Hinterkopf. "Was machst du da?" Verwirrt wollte ich seiner Hand ausweichen, aber er packte nur meinen Nacken und zog mich an sich. Wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte ich ihn schon längst überwältigt, aber es war nur Shang.
"Deine Haare sehen scheiße aus. Mach was dagegen." Und mit diesen Worten ließ er mich los.
Ich griff in meine Haare und musste lachen. Normal war zu öde für mich. Ich wollte schon immer herausstechen und da ich keine Eltern hatte, die mich hätten aufhalten können, tat ich eigentlich immer das, wonach mir war. Das letzte Projekt war, mir meine Haare zu färben. Bevor ich in das sechste Jahr von Lupus Luna gelangte, färbte ich meine Haare in einen sehr intensiven Blauton. Es gefiel mir sehr, aber die letzten Monate hatte ich einfach keine Zeit oder Lust, mir sie nachzufärben, weshalb die Farbe sehr verblasst war und mein Haaransatz wieder ihren natürlichen hellen Braunton annahm. Was erwartete Shang denn? Dass ich in die Menschenwelt gehe, um mir neue Farbe zum Färben zu kaufen? Natürlich. Immer.
"Lass dich nicht ablenken." Thomas' dominante Stimme erklang direkt neben meinem Ohr und ließ mich zusammenfahren.
"Jesus, was wird denn das?" Genervt drehte ich mich um. Ich hasste es schon, wenn Leonard das früher gemacht hat. Der Junge besaß einfach keine Präsenz und wenn er mal den Raum betrat, bemerkte man ihn erst zehn Minuten später. Mein Herz hat das am Anfang gar nicht mitgemacht.
"Wir suchen nach Olivia. Halte die Augen auf." Und mit diesen Worten ließ er von mir ab.
Ich war genervt. Ich war unglaublich müde, befand mich den ganzen Tag eigentlich nur in Beratungen und kämpfte praktisch gegen alles und jeden, ohne wirklich Erfolg zu haben. Es wäre ja was anderes, wenn wir mal eine Spur hätten oder wüssten, was die Darachs als nächsten planen, aber die letzten sechs Monate, hat man einfach nichts von ihnen erfahren. Wir haben nur eine Basis nach der anderen zerstört, um herauszufinden, dass es nur ein Lockvogel oder eine Fälschung war. Isabelle Psyche war unglaublich belastet und Olivia hatte ihren Emo-Trip. Ich war es wirklich leid, mir ständig Gedanken darüber zu machen, was für Scheiße sie als nächstes gebaut haben. Ich wollte doch nur eine friedliche Nacht mit allen haben. Wir mögen zwar Werwölfe sein, sind aber immer noch Kinder und wollen unser Leben genießen. Ist das denn zu viel verlangt? Ich war nun auch 17 Jahre alt und wollte mich mal nicht fragen, was die besten Strategie wäre, um eine gesamte Basis auszulöschen.
"Blackstorm-Sama, was ist das?" Ein Fuchs machte auf sich aufmerksam und ich setzte mich auch automatisch in Bewegung. "Ich kann den Geruch nicht richtig deuten, aber ist das nicht Blut?" Erneut zeigte er auf eine Stelle auf dem Boden. Das Blut befand sie vor einem Wald, hinter dem eine brache Landschaft war.
"Das ist Blut und ich erkenne diesen Geruch 600 Meilen gegen den Wind. Das ist Leonards Blut." Knurrend kam Shang näher. "Sollte hier nicht ein Handel stattfinden? Wenn die beiden Blackstorm-Weiber hier waren und ich Leonards Blut riechen kann, frage ich mich, wo die drei nun sind?"
"Ich glaube, ich weiß es!" Ein weiterer Fuchs erschien aus der Dunkelheit und hielt einen Zettel hoch. "Er ist auch blutverschmiert, aber man kann die Nachricht deutlich entziffern."
Sofort sprang Shang auf und riss dem Fuchs den Zettel aus der Hand.
Ich dachte erst, dass Thomas etwas sagen würde, da er der Alpha war und eigenlich als erstes an die Informationen gelangen sollte, aber er machte keine Anstalt, Shang aufzuhalten, was die Füchs vermutlich irritierte.
Ich hörte, wie sich Shangs Herzschlag beschleunigte und sich jede Muskelfaser in seinem Körper anspannte. Es war zwar Shang, der chinesische Junge, dem ich vertrauen konnte, abe als er dort so stand und auf den Zettel starrte, kam eine instinktive Feindschaft in meinem Inneren auf. Ich wollte Shang nicht als Feind sehen, aber all meine Instinkte schrien, dass ich ihn niederstrecken sollte.
"Shang?" Sagte ich vorsichtig, aber traute mich nicht, näher zu treten.
"Olivia und Jiaki wurden von den Darachs mitgenommen. Leonard konnte nicht befreit werden." Sein Ton bestand eigentlich nur aus Flüstern und Knurren, aber ich verstand ihn gut.
Die Worte ließen meine Glieder verkrampfen. Shang sagtde unsere Namen nie richtig. Er warf uns immer nur irgendwelche diversen Spitznamen an den Kopf. Aber hier und jetzt nannte er sogar Olivia bei ihrem richtigen Namen. Shang scherzte nicht.
"Dann hat der Krieg wohl begonnen." Thomas' kalte Stimme ließ mich zusammenfahren. "Wir sollten zurück und einen Plan erstellen, sie zu besiegen. Packt eure Sachen, wir kehren zurück."
Thomas lief los und zögernd folgten ihm die Füchse. Nur ich und Shang blieben stehen. "Ist das dein ernst?" Diesmal war das Flüstern aus Shangs Stimme verschwunden. Er stand mit seinem Rücken zu mir, aber ich konnte seine Angriffsbereitschaft deutlich erkennen. "Sie ist deine kleine Schwester und du willst sie einfach hängenlassen?"
Thomas blieb stehen und drehte sich zu uns. "Sie ist im Krieg nicht meine Schwester, sondern eine Kampfeinheit. Außerdem wurde auch Jiaki mitgenommen und Leonard ist auch nicht mehr aufzufinden. Dass sie gefangen wurden, ist ihre eigene Schuld. Wenn sie nicht stark genug sind, sollen sie sich auch nicht beschweren, wenn etwas mal schiefgeht. Wir können nicht alle retten oder wegen jedem Individuum, die Welt auf den Kopf stellen."
"Jedem Individuum? Sie sind deine Schwestern und dein Bruder. Sie sind deine verdammte Familie!" Shang riss seinen Kopf in die Höhe und starrte Thomas mit gold leuchtenden Augen an.
"Willst du etwa meine Entscheidungen in Frage stellen? Wir dachten zwar alle, Christopher wäre die Gefahr, da er ein Whitenight ist, aber vielleicht bist du ja der eigentliche Verräter, Beta der Whitenights, Shang Wu." Ich konnte auf Thomas' Gesicht keine Emotion sehen.
"Ist das dein Ernst? Ich will deine Geschwister retten und du bezeichnest mich als Feind? Ok, dann will ich dir mal was zeigen!" Shang ging auf Thomas zu und blieb kurz vor ihm stehen. "Die einzige Blutlache stammt von Leonard. Wir wissen, dass er einen Arm verloren hat, also kann man davon ausgehen, dass sein Blut daher stammt. Sonst gibt es hier kein Blut oder die Spuren eines Kampfes. Ich rieche hier nur Verzweiflung und spekuliere mal, warum ich es riechen kann. Der Alphafluch!"
Thomas' Miene zeigte keine Regung, was Shang noch wütender werden ließ.
"ES IST DEINE SCHULD, DASS SIE SICH NICHT VERTEIDIGEN KONNTE!" Shang stoppte, als Thomas immer noch keine Emotionen zeigte. "Du hast Peter einfach getötet und damit auf deine Schwestern einen Fluch gelegt, der sie unendliche Schmerzen spüren lässt, nur damit du der Alpha werden konntest. Es ist deine Schuld, dass wir sie verloren haben!"
"Dann hätten sie Peter einfach töten sollen, als sie die Chance dazu hatten."
Shangs Klaue fuhr in die Höhe und das mit so einer Geschwindigkeit, dass Thomas ihr nicht ausweichen konnte. Überrascht taumelte er zurück und hielt sich seine Wange, die zu bluten begann. "Fahr zur Hölle." Knurrte Shang und ließ seine Knochen knacken. "Wenn ein Arschloch wie du Alpha werden kann, gibt es wohl keine Anforderungen. Vielleicht wären alle mit mir besser aufgehoben." Lachend brach sich Shang seine Wirbelsäule und krümmte sich. Dunkelbraunes Fell bildete sich auf seiner gebräunten Haut und schon bald stand ein großer brauner Wolf an der Stelle des furiosen Jungen.
"Shang, tu das nicht!" Schrie ich und konnte meinen Beine endlich in Bewegung setzen, aber da war es schon zu spät. Shang sprang mit seinen Klauen voran auf Thomas zu. Ich wusste, dass Thomas ihn mit Leichtigkeit besiegen konnte und meine Angst galt auch gar nicht meinem Alpha, sondern viel mehr Shang. Sollte er Thomas hier und jetzt mit vielen Zeugen verletzen, wird er als Feind und Verräter abgestempelt. Das konnte ich nicht zulassen!
Thomas wich Shangs Angriff mit Leichtigkeit aus, aber mit einer ähnlichen Leichtigkeit konnte Shang seinen Angriff wieder aufnehmen und erwischte Thomas sogar am Bein. Blut erfüllte die kalte Nacht und ein tiefes und bedrohliches Knurren drang aus Thomas' Kehle. Er war wütend.
Ich sprintete los und konnte mich gradeso noch auf Shang werfen, ehe er nach Thomas' Beine schnappen konnte. Ich war zwar nicht schwer genug, um Shang auf den Boden zu zwingen, aber dieser eine Moment war lange genug, um Thomas die Chance zu geben, nach Shangs Kiefer zu treten.
Ein Knacken durchdrang die Luft und Shang fiel zu Boden. Seine Knochen brachen erneut und schon lag ich nicht mehr auf einem Wolf, sondern auf Shang, dessen Kiefer in einem nicht natürlichen Winkel abstand.
"Es tut mir leid, aber du kannst Thomas nichts tun. Er ist unser Alpha." Ich drückte Shangs zitternden Körper an mich, aber ich konnte spüren, dass es ihm widerstrebte, meine Nähe zu fühlen. Er zitterte nicht aus Angst vor dem Alpha. Es war Wut, Enttäuschung und Trauer, die ihn zum Zittern brachte.
"Deiner. Nicht meiner." Und mit diesen Worten stieß er mich von sich. Er konnte zwar nicht aufstehen oder sich verteidigen, aber ich traute mich dennoch nicht, ihm zu nahe zu kommen. Seine Worte ließen mein Blut gefrieren. Ich wollte etwas sagen, aber ein Kloß in meinem Hals ließ mich stoppen. Er dachte vermutlich, mein Alpha würde mir mehr bedeuten, als unsere Freundschaft. Ich kann es ihm auch nicht verübeln. Ich war einst ein Mitglied der Whitenights, aber habe nun meine Loyalität den Blackstorms geschworen und einen Whitenight bekämpft, um meinen Alpha zu schützen. Das musste er jedenfalls denken. Ich traute mich aber auch nicht, ihn zu verbessern.
"Thomas!" Eine weitere vertraute Stimme drang durch die Nacht und ließ mich herumfahren. Ich wusste, dass Max diese Stimme gehörte, aber ich konnte ihn nicht sehen. "Die Darachs sind hinter mir her! Tyra und Christopher sind noch in Norkaru und bekämpfen den Feind dort. Ich habe Informationen zu den Drei Königen!" Nach diesem Satz konnte ich endlich Max' graue Haare in der Dunkelheit erkennen. Statt Tränen lief Blut aus seinen Augen und bei jedem Atemzug spuckte er Blut. Schockiert rannte ich auf ihn zu, aber nur um an ihm vorbeizurennen und einem Darach ins Gesicht zu treten.
"Etwas Unterstützung wäre angebracht!" Als ich diese Worte sagte, setzten sich sofort die vier Füchse in Bewegung, die uns begleitet haben und gemeinsam konnten wir die Darachs ausschalten. Ich muss nicht erwähnen, dass die Überlebenden sich in Staub aufgelöst haben, da auch sie das Mal trugen, stimmt's?
"Bericht!" Befehl Thomas sofort, als Max vor ihm zusammenbrach. Er ließ ihn nicht mal Luft schnappen.
"Auralia... Nalawe... Angriff... Allianz in... Gefahr... Rest... später." Und damit brach er endlich zusammen. Blut schien aus jeder Öffnung in seinem Gesicht zu laufen und sein Atem hörte sich so an, als wäre seine Lunge viel zu klein für seinen Körper und verletzt.
"Rückzug. Wir müssen die Allianz schützen!" Mit diesen Worten verwandelte sich Thomas in einen mächtigen schwarzen Werwolf mit den markanten roten Augen eines Alphas und lief in Richtung Nalawe. Die Füchse folgten ihm.
Ich dagegen rannte zu den beiden Verletzten. "Kannst du mich hören?" Besorgt hob ich Max' Kopf leicht an, um seine Verletzungen zu betrachten, aber es gab keine äußeren Verletzungen.
Max nickte schwach und begann zu husten.
Ein Knacken ließ mich aufschrecken und als ich aufsah, stand Shang vor mir, der soeben seinen Kiefer wieder eingeränkt hatte. "Seine inneren Organe sind fast vollständig geschmolzen. Wir müssen ihn zu Auralia bringen." Mit diesen Worten hob er Max wie eine Braut hoch und setzte ebenfalls zum Rückweg an. "Du solltest auch zu deinem Alpha zurückkehren, Williams."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt