Kapitel 79

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"Sei kein Ekel, ich will mit dir reden." Verwirrt senkte Alex ihr Buch und schaute mich fragend an. Ich ließ mich davon jedoch nicht beirren und ließ mich neben ihr auf ihrem Bett nieder. Dieses Bett roch sehr stark nach Wald, aber was anderes hätte ich auch nicht erwartet, da sie immerhin ein Kommandant war, der ständig auf Reisen in Wäldern war, um gegen Darachs zu kämpfen. Das war auch einer der Gründe, warum ich sie immer abfangen musste, wenn sie für ein paar Minuten zurück war. Man hatte sonst keine Chance, mit ihr zu reden.
"Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Olivia. Mir geht es auch gut, danke der Nachfrage." Doch trotz des genervten Untertons setzte sie sich aufrecht hin und schaute mich aufgeschlossen an.
Nachdem ich Thomas' Nachricht überbracht hatte, bin ich sofort zu ihr gerannt. Alex ist komischerweise zu meinem Ansprechpartner geworden und das, obwohl ich eine viel längere Geschichte mit Isabelle habe.
Ich zögerte. "Ich will niemanden töten." Sofort veränderte sich Alex' Mimik, als sie verstand, über was ich mit ihre reden wollte. "Ich habe es nicht mal geschafft, meinen Vater zu töten, obwohl ich seine Beweggründe nachvollziehen konnte. Darachs dagegen sind einfach nur da. Ich kann doch nicht einfach jemanden töten, dessen Gründe ich nicht nachvollziehen kann. Ich kann nicht einfach so Fremde töten."
Ich hatte schon oft darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn ich Vater doch getötet hätte. Ich müsste mich dann nicht von diesem ekelhaften Zeug ernähren, das mir jeglichen Appetit auf alles nahm. Auralia hätte sich nicht von Thomas getrennt und die Whitenights müssten nicht nach neuen Zutaten für meine Medizin suchen, da Tyras Gegenmittel nur bei mir keine Wirkung zeigte. Aber ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich mit dem Gewissen niemals hätte leben können. Es zerstörte meine Mutter, von dem Tod ihres Mannes zu erfahren, während sie auf der Suche nach ihrem Sohn war. Ich hätte ihr nie wieder in die Augen sehen können.
"Sicher, dass es dir wirklich um's Töten allgemein geht oder ist es ist eher nur das Töten einer bestimmten Person?" Mit einem Knall ließ sich Alex auf ihr Bett fallen, ehe sie merkte, dass ihr Kopf gegen die Bettkante gedonnert ist und sie sich sofort wieder aufrecht hinsetzte.
Ich wollte erst darüber lachen, aber die Frage war nicht unberechtigt. "Ich kann immer noch nicht schlafen. Ich hätte beinahe meinen Vater getötet. Mein Vater, der mich immer beschützt und bedingungslos geliebt hat. Das hätte ich niemals verkraftet."
"Wusstest du, dass ich ein Waisenkind bin? Ich weiß nicht, was mit meinen Eltern passiert ist, aber seit ich denken kann, bin ich alleine. Es war aber nie ein Problem, da ich immer gute Freunde an meiner Seite hatte und als ich Lawrence kennenlernte, war mein Leben nie wieder trostlos und langweilig. Und dann bin ich auf euch gestoßen und habe Big Daddy Blackstorm kennengelernt. Ich mag zwar immer sexuell anzüglich klingen, aber für mich war Peter wirklich wie ein Vater und damit meine ich wirklich die familiäre Version. Er war beschützend und etwas vorlaut, aber hätte trotzdem alles für jeden gegeben und hat dafür nicht mal Verständnis verlangt. So habe ich mir immer den perfekten Vater vorgestellt, aber er war nunmal ein Alpha und Alphas müssen früh sterben. Das ist eben der Lauf der Dinge und das war uns allen bewusst. Auch deine Mutter wusste davon. Wenn du ihn getöte hättest, wäre es noch mal was ganz anderes gewesen. Du hättest die Verachtung nicht ertragen müssen, da du nicht wie dein Bruder ohne Verstand gehandelt hättest."
Schweigend hörte ich Alex zu. Ich hasste es, wenn sie recht hatte und ich nicht widersprechen konnte. Ich wollte ihr nicht zustimmen, da ich dann keinen Grund mehr gehabt hätte, in Selbstmitleid zu baden und das war eine sehr einfache Methode, Zeit totzuschlagen. "Du bist scheiße." Murmelte ich und ließ mich auf den Bauch und in eines ihrer Kissen fallen.
"Intelligenz ist wohl nicht meinen Freunden gesegnet." Grinsend betrachtete Alex mich, während ich mich aus dem Kissen kämpfte und ihre Antwort mit einer Grimasse kommentierte. "Wie läuft es eigentlich mit deinen Anfällen?"
"Ich bekomme immer einen, wenn ich Shangs dreckige Socken in meinem Flur finde. Er wohnt nicht mal bei uns."
Lachend warf sie ein Kissen nach mir. "Die meinte ich nicht, aber ich stimme dir da zu. Ich finde sie auch ständig bei mir und ich frage mich, wie es so viele sein können und keine davon zusammenpassen."
Lachend musste ich daran zurückdenken, wie wir alle gewaschen haben und tatsächlich keine zusammengepasst haben. Am Ende stellte sich heraus, dass er eh immer verschiedene trägt. Wir haben ihn dann unter seinen Socken im Garten begraben. Er hat erstanlich lange gebraucht, sich aus diesem Berg zu befreien.
"Sie werden immer weniger, sind aber immer noch sehr stark. Seitdem sie die Medizin geändert haben und ich wieder laufen kann, habe ich nicht zufällig Schübe, die sehr schmerzhaft sind, aber wenn, dann halten die meistens nicht mehr als eine Stunde an." Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich etwas vom Bett, um die Bettkante herunterzuschauen und weitere Socken von Shang in Alex' Zimmer fand. Wie macht er das?  Ich glaube sogar, dass er noch nie in ihrem Zimmer war.
"Ich hoffe wirklich, dass du die nicht mitten in einer Schlacht bekommst. Es gibt ja dafür keine Auslöser wie für deine posttraumatische Belastungsstörung."
Sofort schoss mein Kopf in die Höhe und blieb an ihrem Nachttischchen hängen, das ich umriss und ihr Glas Wasser auf dem Boden verteilte. Ich murmelte ein Sorry, ehe ich ihr antwortete. "Da du das ansprichst. Ich habe schon lange keine Anfälle gehabt und selbst wenn ich diese Narben sehe oder wir über die Darachs reden, fühle ich diese Panik nicht mehr in meinem Inneren. Weißt du, woran das liegen könnte?"
Alex sprang während meiner Erzählung auf und griff sich das nächstbeste Handtuch, um den Boden trocken zu wischen. "Es liegt an Whitenight. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Marco hatte auch keine Anfälle mehr. Es liegt daran, dass euer Mate euch eine gewisse innere Stärke gibt und ihr deshalb nicht so leicht zusammenbrecht. Du willst das vielleicht nicht hören, aber dank Christopher bist du sehr stark geworden."
Ich wollte erst einen zynischen Kommentar abgeben, aber dann erinnerte ich mich an seinen Blick. Ich erinnerte mich nicht nur an seinen Gesichtsausdruck, als er mich vor Tyra und Jiaki geschützt hat, als er mich nach meinem Geburtstag nach Hause gebracht hat oder als er mir bei meinem erstes Schub in Lupus Luna zur Seite stand, ich erinnerte mich auch an seinen Blick, als er mich mit diesen goldenen Augen heute betrachtet hat. Dieser sehnsüchtige Blick, als würde er etwas anstarren, das er niemals haben könnte und ihm das bewusst wäre. Sofort sprang ich auf.
"Wo willst du hin?" Verwirrt wich mir Alex aus, während sie noch auf dem Boden das Wasser wegwischte.
"Zu diesem Pisser von Mate!" Schrie ich und verließ stürmisch ihr Zimmer.
Es kann auch nur Einbildung gewesen sein, aber mir war so, als hätte ich Alex zufrieden lachen hören.

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