Kapitel 85

5 1 0
                                    

Nachdem ich Hyaku Watanabe versichern konnte, dass seine Schwester ihrem Verbündeten vermutlich nur an die Kehle und nicht mit ihm ins Bett gesprunge ist, folgte ich Marco zurück ins Haus. Wieder schlug mir der Geruch des Todes entgegen. Neugierig schaute ich aber sofort zum Gefangenen. Er war der erste Gefangene, der nicht sofort starb und ich wollte unbedingt wissen, welche Informationen wir aus ihm bekommen konnten.
"Wie sieht's aus?" Fragte ich gerade heraus. Meine Frage war an keinen bestimmten gerichtet, da sich nur Alex, Thomas und Olivia mit mir im Raum befanden. Ich ging davon aus, dass Marco nach Shang suchte.
"Er ist tot." Beantwortete Alex mir meine Frage, während sie ihre Hände mit einem Tuch von Blut befreite.
"Wieso?" Ich war ehrlich schockiert.
"Das Fluchmal hat sich nicht aktiviert." Sagte sie nur und zeigte auf den reglosen Leichnahm auf dem Stuhl. "Unsere liebe Olivia hat lediglich zu tief geschnitten, weshalb das Gift sein Herz gelähmt hat. Ich habe versucht, ihn zu retten, aber habe damit vermutlich zu sehr auf seinen Brustkorb gedrückt und dabei hat sich eben eine abgebrochene Rippe durch seine Lungenflügel gebohrt. Ich habe ihn aus Versehen getötet." Schulterzuckend starrte sie mich an.
Wie war es möglich, dass Wölfe den Fakt einfach abnicken konnten, jemanden getötet zu haben?
"Nächstes mal schneide ich nicht zu tief." Ertönte nur Olivias Stimme, während sie ihre Klinge reinigte. Der Klang von zerspliternendem Glas erfüllte den Raum und ich hasste das Geräusch.
"Und was ist nun der Plan?" Fragend schaute ich zu Thomas. Auch wenn er ein skrupelloser Alpha war, konnte ich so locker mit ihm reden. Mag vielleicht daran liegen, dass wir zusammen großgeworden sind, aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich ihn nicht als meinen Alpha ansehen konnte.
"Wir greifen ihren Stützpunkt an."
Was? Ich war zu überrascht, als dass ich die Unterlagen hätte auffangen können, die mir Thomas zuwarf. Sie fielen einfach zu Boden. Hatten wir es wirklich geschafft, an Informationen über die Darachs zu gelangen? Waren wir ihnen endlich einen Schritt voraus? Konnte dieser Schrecken endlich enden?
Mein Blick richtete sich zögernd auf die Zettel und dort stand es. Ein Stützpunkt befand sich hinter einer Barriere der Darachs in einer Höhle im neutralen Gebiet zwischen Nalawe und Norkaru. Gewisse Abteile von Wäldern oder Städten gehörten keinem Werwolfrudel. Diese Gebiete waren den Menschen selbst vorbehalten und eigentlich für uns unzugänglich. Sie wurden als neutrale Gebiete bezeichnet und sollten zur Wahrung des Friedens helfen, da man als Wolf nicht zufällig einem fremden Wolf über den Weg laufen konnte, wenn dazwischen ein drittes Gebiet lag. Das war vermutlich der Grund, warum sich dort ein Stützpunkt der Darachs befand.
Ich fühlte mich wie gelähmt. Wir kamen endlich voran.
"Der Angriff startet in fünf Stunden. Seid dann alle bereit und jetzt verschwindet."
Sofort befolgte ich diesen Befehl des jungen Alphas. Ich vergas manchmal, dass er nur fünf Jahre älter als ich war, wenn er so bestimmt klang. Aber ich durfte nicht vergessen, dass er für einige Jahre mein großer Bruder war, ehe alles zerbrach. Ich wollte diese Zeit zurückhaben, auch wenn es mich viele Nerven gekostet hat, weshalb ich sofort in mein Zimmer rannte und so schnell wie möglich schlafen wollte. Ich konnte den nächsten Tag gar nicht erwarten.
Doch wie ich da so lag, war es mir nicht möglich, einzuschlafen. Ich war viel zu aufgeregt und als die Uhr mir den neuen Tag anzeigte, konnte ich noch weniger schlafen. Mich hielten so viele Gedanken wach und ich fragte mich, was nun aus Olivia werden würde.
Stunden vergingen und ich konnte immer noch nicht schlafen. Es nervte.
"You good?" Schreiend schreckte ich hoch. Wer war in meinem Zimmer? Doch als ich in die Höhe schoss, wäre ich beinahe gegen einen fremden Kopf geknallt. Ich stoppte wenige Zentimeter vor der anderen Gestalt und starrte in ihre grünen Augen.
Es dauerte einen Moment, ehe ich mich beruhigen konnte, aber als ich bemerkte, wer es war, wurde ich wütend. "Alex? Was zur Hölle machst du in meinem Zimmer?"
Grinsend starrte sie mich an und ließ sich auf mein Bett fallen. "Dein Fenster war offen." Sagte sie schlicht.
"Das ist kein ausreichender Grund. Was machst du hier?" Ich zog die Decke unter mein Kinn, da ich nur sehr dünne Kleidung trug. Ich war vielleicht sehr empfindlich gegenüber Temperaturen, aber wenn ich schlief, wurde es sehr heiß. Das war einer der Gründe, warum Max nicht so gerne mit mir in einem Bett schlief.
"Ich habe keinen bestimmten Grund. I'm just here for no fucking reason." Lachend packte sie das andere Ende der Decke und rollte sich darin ein. Mir fiel auf, dass sie immer noch ihre dreckige Kleidung von der Befragung trug, was mich wirklich in Rage versetzte.
"Und warum bist du mit deinen dreckigen Sachen in meinem Bett? Du bist voller Blut und Dreck!" Zischte ich ihr zu und das schien sie erst in diesem Moment zu realisieren.
"Oh..." Sie setzte sich auf, aber war immer noch in der Decke eingewickelt. "Das tut mir gar nicht leid. Verzeih mir nicht."
Mein Kissen flog nach ihr und in dieser Position hätte sie nicht auswichen können, weshalb es einfach in ihrem Gesicht landete.
"Eine Kissenschlacht? Ohne mich?"
Mein Herz setzte erneut aus, als eine weitere Stimme erklang und ich eine kräftige Gestalt sah, wie sie durch mein Fenster kletterte.
"Shang- WAS ZUR HÖLLE??" Was wollten die alle in meinem Zimmer?
"Was denn?" Fragte er unschuldig, als er mein Zimmer betrat und sich ebenfalls auf mein Bett fallen ließ. "Ich habe sogar Chips mitgebracht."
Er reichte mir eine Tüte, die ich sofort aus seiner Hand schlug. "Ich will dein scheiß Essen nicht. Ich will wissen, was ihr hier mitten in der Nacht wollt!" Wütend zeigte ich auf die Uhr, die 02:36 Uhr anzeigte.
"Kein Essen? Verdammt!" Mein Kopf schnellte wieder zum Fenster und diesmal konnte ich Marcos platinblonden Kopf in mein Zimmer fallen sehen.
Stumm starrte ich ihn an. Er rappelte sich auf und fiel dann Shang in die Arme, welcher immer noch auf dem Rücken in meinem Bett lag.
"Will noch wer kommen? Es scheint ja ein Tag der offenen Fenster in meinem Zimmer zu sein." Einladend breitete ich meine Arme aus, aber hoffte, dass keiner mehr kommen würde.
"Gut, ich dachte schon, ich müsste wieder umdrehen." Und nun betrat auch Lawrence durch das Fenster mein Zimmer. Ich hatte wenigstens von ihm erwartet, dass er in seinem Zimmer bleiben würde, aber ich hatte ich geirrt. "Ich habe auch was ordentliches zu essen dabei." Er reichte uns allen Tüten, die nach frischem Fleisch rochen.
Murrend nahm ich es an, aber war insgeheim froh darüber, da mir der Appetit nach der Jagd meistens fehlte und ich in der Nacht dann hungerte. Und so saßen wir zu fünft in meinem Zimmer und aßen friedlich Lawrences Gericht.
"Das riecht aber gut." Meine Zimmertür schwang auf und ein übermüdeter Max stand im Türrahmen. Torkelnd schloss er die Tür und stolperte in unsere Richtung.
Kurz vor meinem Bett blieb er stehen und starrte das Fleisch sehnsüchtig an und sofort reagierte Lawrence darauf mit einer weiteren Tüte, in der sich eine Mahlzeit für den Teilzeitdruiden befand.
"Wo warst du?" Fragend starrte Alex ihn an, während sie noch auf ihrem Rücken lag und er sie etwas beiseite schob, um sich neben mich zu setzen. "Warst du kacken? Warst du erfolgreich?"
Doch Max' Aufmerksamkeit galt nur dem Essen, weshalb er nur einen Daumen hob und sonst nicht weiter auf Alex reagierte. Aber irgendwie fühlte es sich nicht richtig an.
"Könnt ihr mir jetzt sagen, warum ihr hier seid? Eure Zimmer liegen keine fünf Meter neben meinem. Warum seid ihr hier?" Genervt riss ich meine Arme in die Luft, ich wusste aber auch, dass es nicht viel bringen würde.
"Das machen wir schon seit Tagen so. Du hast dafür doch auch extra das Fenster aufgelassen, sonst wäre ich hier in erster Linie nicht reingekommen." Lachend zeigte Alex auf mein offenes Fenster und ich spürte sofort die Röte auf meinen Wangen.
Ich hatte das gar nicht bemerkt. Es stimmte zwar, dass alle immer in mein Zimmer kletterten, da sie mich anfangs nur nerven wollten, aber irgendwann wurde es so sehr Gang und Gebe, dass ich mein Fenster extra für sie offen ließ. Wir konnten alle nicht schlafen und selbst wenn wir so stark und unumstößlich wirkten, hielten uns alle die Gedanken an den Krieg wach. Wir hatten nur noch eine Woche, ehe die Frist von sechs Monaten abgelaufen war.
"Können wir aber bitte über meinen Onkel reden?" Marco zwängte sich aus Shangs Griff und stand vom Bett. Ruhig stellte er sich vor uns und als er langsam seine Augen öffnete, erhob er das Wort. "WAS IST FALSCH BEI DEM?? Ich will nur eine Sekunde. Eine. Sekunde. Meinen freien Nachmittag verbringen und er ist der Meinung, mit Yako-Sama anzutanzen und sich wieder darüber streiten zu müssen, welche Truppe besser, obwohl Kojoten und Füchse miteinander arbeiten. Sie streiten sich ständig und jedesmal, wenn sie auf dem Boden rollen, weiß ich nicht, ob sie sich töten oder ein Kind zeugen wollen. Ich werde zu alt für diesen Scheiß. Ich will doch nur leben!" Erschöpft sackte er zusammen, als er mit seinem Geschrei fertig war.
"Das ist etwas, was Hyaku nie sagen wird." Lachte Alex und schob ihren Müll von meinem Bett auf den Boden.
Sofort zuckte Lawrence zusammen. "Sag das nicht." Hauchte er und wir alle mussten ihn anstarren. Er blickte auf, aber sein Blick wirkte nicht bittend, sondern eher verzweifelt. "Wisst ihr eigentlich, wie anstrengend er sein kann? Pillen hier, Klingen da. Ich würde diesen Job am liebsten hinschmeißen. Man kann den Typen ja keine Sekunde aus den Augen lassen. Er steht einem ständig im Weg, wenn er einen neuen Versuch startet, aber wir alle wissen doch, dass er sich nicht umbringen kann. Es wird niemals klappen. Kann er es nicht einfach lassen? Das ist reine Zeitverschwendung!"
Ich weiß nicht, wie es den anderen ging, aber ich war überrascht. Ich habe ihn noch nie so erlebt, aber es war sehr erfrischend. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein einziger Mann immer so ruhig bleiben kann, wenn er mit uns Chaoten aufeinander hockt.
"Wird das hier jetzt eine Selbsthilfegruppe? Wenn ja, dann will ich mitmachen." Ich setzte mich auf und wäre beinahe vom Bett gefallen, da Alex auf mir lag und mich nicht gehen lassen wollte. "Ich habe sehr viele Probleme und alles fängt mich ganz komischen Kindern an, die mitten in der Nacht in mein Zimmer einbrechen, obwohl sie ein eigenes Heim haben."
Alle starrten mich mit großen unschuldigen Augen an. Ich wollte erst nicht darauf reagieren, aber als ich sie so sah, konnte ich mir mein Lachen nicht verkneifen. Es kommt nicht oft vor, dass wir so unbeschwert miteinander reden können.
"Aber ich habe tatsächlich eine Frage. Ihr wisste ja, dass ich ein Whitenight bin." Ich wollte weiterreden, aber sofort unterbrachen mich alle.
"Nein, wirklich?" Mit großen Augen starrte mich Marco an.
"Das ist mir noch gar nicht aufgefallen." Lawrence fasste sich grübelnd ans Kinn.
"Du? Mit diesen weißen Haaren und deinen blauen Augen? Niemals." Kritisch musterte mich Alex.
"Klappe halten." Mahnend schaute ich alle an, die mir mit einer sarkastischen Bemerkung entgegenkamen.
"Du hast den Namen Reddinson ziemlich schnell abgelegt." Bemerkt Shang.
"Mein Vater war scheiße." Sagte ich schnell und versuchte, meinen Faden zu finden. "Wieso habe ich dann kein Alphamal?"
Sofort wurde es still und keiner machte mehr eine dumme Bemerkung.
"Vielleicht, weil dein Cousin als Alpha geboren wurde?" Stellte Alex eine Theorie auf. Darüber habe ich auch schon nachgedacht, aber das würde nicht aufgehen, da das Mal lediglich zeigt, wer rechtmäßig die Kraft erben müsste, wenn man nach dem Erbe ginge und da Christopher mit der Kraft der Alpha geboren wurde, hätte ich der nächste rechtmäßige Erbe meines Onkels sein müssen.
"Vielleicht sind die Kräfte nur unterdrückt, da du zu lange als Reddinson gelebt hast." Bemerkte nun Marco.
"Das halte ich für unwahrscheinlich. Bei den Blackstorms wurde auch so viel unterdrückt, aber da sie wie ich zu einer Alphafamilie gehören, wird man damit geboren und es ist eine Art Muttermal, das nicht verschwinden kann. Anders als bei Wölfen, die die Kraft eines anderen übernehmen." Ich starrte Marco an.
"Erinnere mich bloß nicht daran." Erschöpft ließ er sich auf den Boden fallen und rollte sich zusammen. "Mein Vater ist viel zu überfordert. Wir kommen gar nicht hinterher und die Darachs sind ständig der Meinung, uns attackieren zu müssen. Dabei hält sich das Silverstone-Rudel doch komplett raus."
Ich hatte das Gefühl, Lawrence wollte was sagen, aber ließ es dann doch.
"Interessante Theorien, aber ich kann die alle verneinen." Mein Mate erhob das Wort und setzte sich ordentlich hin. "Ich habe das mal in einem Druiden-Buch gelesen. Du bist nicht der erste Wolf, der trotz Familienverhältnisse kein Alphamal trägt. Das kommt vor, wenn das Blut des Wolfes so unrein ist, dass der Körper sich nicht sicher ist, ob dieser Wolf wirklich ein Werwolf oder was ganz anderes ist."
Alle starrten Max an. "Du willst mir sagen, dass mein Blut unrein ist? Also im Sinne von: meine Vorfahren stammen aus mehr als zwei Spezies, weshalb mein Körper verwirrt ist?"
Kurz überlegte Max und nickte dann.
Ich bin also ein Bastard... süß.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt