Kapitel 38

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Angespannt ließ ich mich in meinen Stuhl sinken und schaute mich um. Wir befanden uns in einem riesigen Saal, welcher gefüllt war mit lachenden Wölfen und lauter Musik. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Werwölfe wirklich so feiern könnten wie Menschen, aber ich hatte mich geirrt. Jedoch hielt ich immer noch nichts von so was, weshalb ich mich zurückgezogen htte und mit Marco auf Xuezhang wartete.
"Als du meintest, du würdest dich fertigmachen, hatte ich gedacht, du würdest dich etwas festlicher kleiden, aber du hast einfach das gleiche wie immer angezogen." Etwas vorwurfsvoll betrachtete mich Marco aus seinen nun braunen Augen.
Ich zuckte nur mit den Schultern und lehnte mich an seine Schulter. "Wenn du etwas gegen mein Hemd hast, dann erlöse mich doch davon." Grinsend schaute ich an ihm hoch, doch erhielt nur ein leichtes Schnauben.
"Das ist Shangs Hemd und nicht deins. Hast du überhaupt eigene Klamotten?" Lachend drückte er mich weg und erhob sich vorsichtig.
"Durchaus, aber ich bevorzuge seine Sachen. Und du solltest ihn bevorzugen. Geh zu ihm und gib dich nicht mit mir ab. Er steht dahinten!" Mit einer ausschweifenden Bewegung zeigte ich auf Shang, der auf der anderen Seite des Raumes stand und sich mit einigen Wölfen unterhielt, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Oder vielleicht doch? Ich achte nicht so sehr auf fremde Wölfe, da ich mir deren Gesichter eh nicht merken kann.
Zögernd schenkte Marco Shang einen flüchtigen Blick, doch beließ es dabei. "Vielleicht war das doch keine gute Idee. Er wirkt sehr beschäftigt."
Grinsend erhob ich mich und packte ihn an seinen schmalen Schultern. "Marco Silverstone, heute bist du nicht der unsichere kleine Junge, sondern eine wunderschöne junge Frau, die auf der Suche nach etwas Spaß ist. Jetzt geh zu dem jungen Mann mit den langen schwarzen Haare und rede mit ihm. Stell dich nicht so an, ich kann dir nicht alles hinterherwerfen." Und mit diesen Worten schob ich ihn weg.
Zögerlich setzte er einen Fuß nach dem andern auf den Boden und ich war erstaunt, dass er schließlich doch so schnell mit diesen hohen Absätzen laufen konnte. Er mochte zwar kein Wolf sein, der schneller als der Wind lief oder Schädel mit einem Biss zerbrechen konnte, aber er war durchaus in der Lage, perfekt als Mensch durchzugehen, was ich nicht von vielen an dieser Schule behaupten konnte.
Ich beobachtete noch, wie er sich langsam, aber sicher, seinen Weg zu Shang bahnte, ehe ich mich erhob und den Ballsaal verlassen wollte. Doch meine Pläne wurde zunichte gemacht, als mich jemand an meinem Arm packte. Ich wollte schon protestieren, da ich davon ausging, dass Leon mich wieder nervte, doch als ich in zwei starke Arme gezogen wurde, merkte ich sofort, dass das nicht mein vermeintlicher Bruder war.
"Hast du wirklich gedacht, ich würde dich einfach gehen lassen?" Raunte mir Christopher Whitenight in mein Ohr, während er sanft meinen Körper hielt.
"Durchaus, aber irgendsoein Spinner hält mich dabei auf. Solche Leute sollte man wirklich bestrafen, findest du nicht auch?" Sofort drückte ich ihn von mir, solange sein Griff noch sanft und vorsichtig war.
"Warum bist du hier, wenn du eigentlich keine Lust hast?" Fragend betrachtete er mich und ich wusste, dass er sich fragte, warum ich das Hemd eines fremden Mannes trug. Er konnte riechen, dass es nicht das meine war.
"Das geht dich gar nichts an und ich finde es auch ziemlich anmaßend, dass mich einfach ein Typ so betätschelt. Schon mal was von Privatsphäre gehört? Man sollte Leute nicht einfach so anfassen." Mahnend verschränkte ich meine Arme und starrte Whitenight aus roten Augen an.
"Wenn dich irgendjemand einfach so anfassen sollte, dann werde ich mich schon darum kümmern."
Entgeistert starrte ich ihn an. Er sagte das so selbstverständlich und ernst. Merkte er nicht, dass er sich nach seinen eigenen Worten nun verprügeln müsste? Oder glaubte er, er wäre eine Ausnahme? Was erlaubt er sich denn? "Glaubst du wirklich, dass das Leben so einfach zu regeln ist, wenn man die Kraft eines Alphas besitzt? Jungchen, du solltest lernen, dass das Leben nicht so simpel ist und nicht alles immer nach deiner Nase laufen wird."
Mit dem selben Blick starrte er mich weiterhin aus diesen goldenen Augen an. Dieser konstante Blick ließ mich erschaudern, aber es war kein unangenehmes Gefühl. "Ich kann es aber versuchen und wenn ich dafür Blut, Schweiß und Tränen geben muss. Wenn es nicht nach meiner Nase läuft, dann sorge ich schon dafür. Ganz einfach."
Ein Klatschen erfüllte die ausgelassene Stimmung. "Wie kann jemand in deinem Alter nur so naiv sein? Du bist doch schon zwanzig Jahre alt. Wieso bist du nur so verwöhnt?" Langsam nahm ich die Hand von meinem Gesicht und spürte, wie sich eine rote Stelle auf meiner Stirn bildete, aber ich konnte mich nicht zurückhalten.
"Ich bin das Alphatier."
"Und ich bin gelangweilt. Jetzt lass mich in Frieden und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten. Wenn der Ball vorbei ist, habe ich noch wichtige Angelegenheiten mit meiner Familie zu klären, also nerv' mich nicht!" Ich wollte zum Gehen ansetzen, doch erneut packte Whitenight meinen Arm.
"Geh nicht." Ernst starrte er mir in die Augen und diesmal hatte ich das Gefühl, ich müsste auf ihn hören. Sein Blick hatte diesen arroganten Glanz verloren und das Gold schien besorgt zu schimmern.
"Warum?" Hauchte ich nur, da ich meinen Blick nicht von seiner Gestalt lösen konnte. Auch wenn ich ihn nicht sonderlich leiden konnte, muss ich zugeben, dass er ein wunderschöner junger Mann ist. Er hatte seine Haare wirr gelassen, was ihn niedlich wirken ließ, aber das hätte ich diesem weißen Schopf niemals gesagt.
"Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich eine Gefahr anbahnt und ich will nicht, dass du da mit hineingezogen wirst." Ernst betrachtete er mich, als könnte er damit sicherstellen, dass ich nicht verschwinde oder mir irgendwas widerfahren könnte.
"Und was für eine Gefahr soll sich anbahnen?" Misstrauisch betrachtete ich ihn. Ich kannte das Gefühl von Gefahr. Das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, aber man nicht genau wusste, was nicht stimmt oder wann die Gefahr ihren Höhepunkt erreicht.
"Eine Tödliche." Und mit diesen Worten seinerseits brach die Musik ab. Unsicher drehte ich mich um, aber konnte nicht entdecken, warum es plötzlich so still wurde. Auch die anderen Schüler schienen überrascht und schockiert zugleich zu sein. Keiner verstand, warum es so dunkel und still wurde und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Whitenight irgendwas damit zu tun hatte.
"Was hast du getan?" Flüsterte ich ihm zu, als ich etwas näher an ihn herantrat, aber ich erhielt keine Antwort. Stattdessen packte er mich nur an den Schultern und zog mich näher an sich. Ich fühlte mich wie ein Kuscheltier, das kleine Kinder bei Regen und Gewitter an sich drücken, wenn sie von Angst erfüllt sind. Aber hier ging es um einen geborenen Alpha. Warum benahm er sich, wie ein kleines Kind?
"Es tut mir leid für diese frühzeitige Unterbrechung." Eine laute Stimme hallte durch den Zahl und jeder richtete seine Aufmerksamkeit der Bühne. Auch ich selbst drehte mich zur Richtung der Quelle, auch wenn mein erster Gedanke dem Weglaufen gehörte. "Jedoch wurde wir eben von einem Boten der Blackstorms informiert, dass eine Gefahr bevorsteht. Bitte bleibt alle ruhig und gesittet, selbst wenn es beängstigen werden kann. Wie es scheint, warten seit geraumer Zeit Jäger darauf, dieses Internat zu befallen und da ab heute die Barriere gelockert ist, besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr sicher sind. Ich bitte euch nun, vorsichtig eure Häuser zu betreten und nicht mehr zu verlassen, solange wir euch nicht das Zeichen dafür geben. Wir werden euch Verantwortliche schicken, aber solange ihr auf dieses wartet, dürft ihr niemanden in euer Haus lassen. Vertraut niemandem, denn die Gefahr betrogen zu werden, ist in Zeiten wie diesen viel zu hoch." Doch trotz der ruhigen Worte Lady Silverstones brach eine Massenhysterie aus.
Sofort zog sich Whitenight mit mir in den Armen zurück und trotz meines Widerstandes ließ er mich nicht los. "Was soll denn das? Hast du nicht gehört, dass ich in mein Haus soll? Jetzt lass mich los! Du hast doch selbst gesagt, dass uns eine Gefahr bevorstehen würde!"
"Und deshalb sollst du bei mir bleiben, da ich dich beschützen kann!" Seine Stimme war zwar gedämpft und durch einige panische Schreie der Jungtiere schwierig zu hören, aber ich verstand ihn.
"Shang, pack dein Mädchen und komm mit!" Verwirrt riss ich meinen Kopf nach hinten und sah, dass wir an Shang und Marco vorbeigelaufen sind. Entschlossen nickte Shang und packte Marco an einem Arm. Und ohne noch mehr Zeit zu verlieren, bahnte sich Whitenight seinen Weg durch die Masse. Ich mochte so große Masse überhaupt nicht. Sie waren laut und panisch und erinnert mich an damals. Ich war nicht das einzige Versuchsobjekt gewesen und wenn man jeden Tag neben seinen eigenen Schreie auch noch die Jüngerer vernehmen kannst, wird man Massenpaniken nicht lieben lernen. Verspannt versuchte ich mir die Ohren zuzuhalten und an etwas anderes zu denken, aber als mir die Gesichter meiner Adoptivschwester und meines Scheinbruders in den Kopf kam, riss ich mich los. Wir hatten schon fast den Saal verlassen, aber ich musste sie finden.
"OLIVIA!" Panisch versuchte Whitenight meinen Arm zu packen, aber ich wich ihm sofort aus und verschwand in der panischen Masse. Es tat mir sogar etwas leid, da er sich wirklich zu sorgen schien, aber meine Familie ging vor. Selbst wenn Leon nur eine Lüge war, hat er mich dennoch all die Jahre beschützt und wenn meine Familie das Internat vor Jäger warnen muss, dann sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit hinter mir und meinen Geschwistern her.
Ich lief gegen en Strom an und selbst als ich fast unterging, schafften es die Gedanken an meine Geschwister immer wieder neue Kraft zu schöpfen, bis ich schließlich aus dem Gedränge von Angst und Panik kam. Erschöpft schaute ich mich im leeren Saal um, aber konnte keinen hier erblicken. Es wirkte plötzlich wie ausgestorben und das Stimmengewirr der Masse schien plötzlich auch soweit weg.
Ich riss meinen Kopf in jede erdenkliche Richtung, aber sie waren nicht mehr hier. Entschlossen beschleunigte ich meine Schritte und lief den Gang entlang, den ich mit Marco vor einigen Stunden entlang gelaufen war und der nun nach Angst roch. Es war dunkel und meine eigenen Schritte hallten laut in meinen Ohren wieder, was mich nervöser werden ließ. Es erinnerte mich an ein dunkles Labyrinth, aus dem es kein Entkommen war. Meine Atmung wurde immer flacher und ich bereute es, mich von Whitenight getrennt zu haben. Er hatte mich geschützt und ich hatte nichts besseres im Sinne gehabt, als meiner eigenen, unerfahrenen Nase zu folgen.
Und dann verlor ich den Boden unter meinen Füßen. Es war stockfinster und ich konnte meinen eigenen Atem nicht mehr hören. Ich konnte nur fühlen, wie eine Hand meine Augen verdeckte und mich nach hinten zog. Und ich hätte nichts dagegen unternehmen können.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt