Kapitel 19

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"Peter, komm mal kurz!" Verwirrt blickte ich auf und entdeckte Marcel, wie er hektisch mit seiner Hand hin und her fuchtelte, um meinen Vater auf sich aufmerksam zu machen.
"Was ist denn?" Etwas genervt ging er auf den Alpha unseres Nachbarrudels zu. Es war jetzt einen Monat her, seitdem Auralias Eltern getötet wurden und ab dieser Stunde hatte mein Vater nicht mehr richtig schlafen können. Er blieb bis tief in die Nacht wach und stand in aller Frühe auf. Er sagte immer, dass er das für seine zukünftige Schwiegertochter tat, aber fast allen war bewusst, dass er es für die Sicherheit seiner eigenen Kinder tat.
"Die Morde der letzten Jahren waren ja immer über die gesamte Welt verteilt. Wir sind davon ausgegangen, dass sie sich vorbereitet haben, aber was ist, wenn sie auf der Suche waren? Aktuell konzentrieren sich immer mehr bei uns und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie hier etwas suchen." Marcel hatte recht. Sie suchten nach meinen Geschwistern, aber das hätte mein Vater ihnen nicht verraten können, da sonst auch unsere anderen Familiengeheimnisse ans Licht gekommen wären.
"Du hast recht. Sie scheinen hier etwas zu suchen. Wenn wir nur wüssten, was-" Mein Vater kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Mit Schwung betrat Tyler den dunklen Versammlungsraum meines Vaters und starrte diesen mit einem undefinierbaren Blick an.
"Die letzte Leiche, die wir im Whightnight Gebiet gefunden haben, beinhaltet eine Botschaft! Nach Monaten ist in die Bauchdecke wieder etwas eingeritzt!" Sofort sprangen wir auf und folgten dem Silverstone-Oberhaupt ins Freie.
Die kühle Herbstluft umhüllte mich und ließ uns alle etwas frösteln. Wir hatten zu viel Zeit drinnen verbracht, sodass wir den Temperaturenwechsel nicht mitbekommen hatten. Aber das hielt uns nicht auf. Wir bissen die Zähne zusammen und folgten Tyler über den Hof zurück in das Haus der Blackstorms.
Im Wohnzimmer lag auf dem Boden ausgebreitet ein weißen Laken, welches voller Blutflecken war, voller neuer und alter Flecken frischer Leichen. "Diese junge Frau wurde bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, aber trotz der Tatsache, dass sie erstochen wurde, ist ihre Bauchdecke unversehrt. Und wenn man ihren Leichnamen aufklappt, dann steht an der Bauchdecke etwas geschrieben." Tyler hockte sich hin und klappte den Bauch der jungen Frau auf. Sie wirkte nicht viel älter als Auralia, was mich erschaudern ließ. "Ich wusste nicht, welche Sprache das ist, aber die zukünftige Luna konnte es entziffern."
Sofort blickte Marcel auf und suchte den gesamten Raum ab. Er hatte schon seit sie klein ist, darauf bestanden, dass man ihr richtigen Druiden-Unterricht erteilen sollte und nun machte sich das bezahlt.
"Ihr Werwölfe könnt das auch nicht lesen, da es in einer alten Druidensprache geschrieben ist. Es war auch nichts anderes zu erwarten vom Darach-Rudel. Es scheint aber so, dass sie nicht damit rechnen, dass wir ihre Nachricht entschlüsseln könnte. Sie verrät uns nämlich einiges." Auralia lief die Treppe von der ersten Etage hinab und kam entschlossen auf uns zu. "Ich selbst kann mit der Botschaft nicht viel anfangen, was darauf schließen lässt, dass verschiedene Spezies zusammenarbeiten müssen, um das Darach-Rudel zu schnappen. Ich halte es zwar nicht für clever, seinen Feind mit Artenvielfalt zu stärken, aber man kann ja nie wissen, was eigentlich dahinter steckt. Caliria scheint zu wissen, was sie mit dieser Nachricht anfangen soll, weshalb wir bald mehr wissen sollten. Es sind zu viele gestorben."
Erschöpft rieb sich mein Vater die Augen. "Und was besagt die Botschaft?" Diese sahen furchtbar aus. Sie waren rot und drohten ständig unaufhörlich zu tränen und lagen tief in seinen Augenhöhlen, umgeben von dunklen Augenringen. Seine Haut hatte bereits eine gräuliche Farbe angenommen und besonders sein Gesicht wirkte abgemagert.
"Erben der Chimären, die Rache unserer Ahnen ist gekommen. Das Unaufhörliche wird bald sein Ende finden, wenn das letzte Kind gefunden ist. Das Schicksal der Jaguar ist besiegelt."
Und in diesem Moment setzte mein Herz aus. Sie waren ihr zu dicht auf der Spur!

"Freust du dich schon?" Fragend starrte mich Max an, aber ich konnte diesen Blick nur perplex erwidern.
"Was meinst du?" Ich hatte grade erst mein Gespräch mit Markie beendet, sodass ich nicht ganz auf der Höhe oder eher auf dem neusten Stand der Gesprächsthemen war.
"Bald beginnt der richtige Unterricht und du kannst endlich erfahren, was das hier alles soll." Locker legte er einen Arm um mich und schielte mich etwas aus seinem Augenwinkel an. Eigentlich wollte er nur Isabelle beobachten, aber kam ihm die Tat alleine etwas seltsam vor.
"Diese Schule ist mir so viele Antworten schuldig, dass es gar nicht mehr feierlich ist. Ich versteh das mit den Häusern nicht, was Werwölfe sind, ist mir immer noch unklar, was Mates sind, verstehe ich nicht und mein Bruder und Markie sind mir auch ein Rätsel." Es war echt frustrierend, dass ich so wenig Ahnung hatte.
"Wer ist Markie?" Verwundert schaute Max sich um, aber konnte nicht erkennen, wen ich meinte.
"Der Junge dahinten. Mit den platinblonden Haaren." Ich zeigte in Marcos Richtung, aber stoppte sofort. Dort waren zwei platinblonde Köpfe.
"Ahh genau und welchen der beiden meinst du?" Lachend ließ Max von mir ab, aber ich starrte weiterhin zu den beiden platinblonden Kindern. Marco hatte mir von seiner kleinen Schwester erzählt, aber man konnte es Max nicht verübeln, dass er beide für Mädchen hielt. Beide hatten etwas längere Haare und einen zierlichen Körperbau. Selbst wenn man beide von vorne gesehen hätte, würde man vermutlich nicht sagen können, ob es zwei Mädchen oder zwei Jungs waren.
Ich lief schnell auf die Geschwister zu. Er hatte mir praktisch alles über seine kleine Schwester erzählt. Er schwärmte davon, wie talentiert sie doch war, aber warf sich auf betrübt in meine Arme, wenn er daran dachte, wie nutzlos er im Vergleich zu ihr war. "Markie!" Ich schlug ihm auf die Schulter und er quietschte schockiert dadurch auf. "Willst du ich denn nicht vorstellen?"
Verwundert blickte er über die Schulter in meine Augen. Er hatte den Moment davor zwar gelächelt, aber wirkten seine Augen eher betrübt.
"Olivia Blackstorm, das ist Jamie Silverstone, meine kleine Schwester. Sie wurde letztens zwölf Jahre alt." Er trat etwas zur Seite, damit ich die ganze Szenerie überblicken konnte und zeigte auf seine Schwester. Erleichtert stellte ich fest, dass sich sein Herzschlag seit meiner Ankunft etwas beruhigt hatte.
Ein kühles Hallo ließ mich etwas zusammenfahren. Ich hatte rein gar nichts gegen sie. Auch wenn sie Marcos Selbstwertgefühl zerstörte, war sie immer noch seine kleine Schwester, die er liebte. Und nur weil sein Vater ihn misshandelt hatte, musste es nicht heißen, dass sie ebenfalls so war oder mit ihm in eine Schublade gesteckt werden sollte. Aber die Art und Weise wie sie mich anschaute und mit mir sprach, fühlte sich falsch an.
Sie sagte nichts gemeines oder abwertendes. Sie hatte mich lediglich begrüßt, aber allein der Klang ihrer Stimme ließ mich ihre Abneigung gegenüber ihres Bruders und seiner Freunde vernehmen.
"Freut mich auch, dich kennenzu-"
"Ja, was auch immer. Bruder, ich hoffe, dass du diese... Art abgelegt hast. Auch wenn Vater es toleriert, bedeutet es nicht, dass du dich so verhalten solltest. Denk an unseren Ruf!" Und wieder sagte sie es so sachlich und unpersönlich, dass ich ihr beinahe zugestimmt hätte, hätte ich nicht verstanden, was sie sagte. Und mit diesen Worten verließ sie den Kreis und eine verdatterte Olivia zurück. Was war das?
"Jedenfalls... das ist Lawrence Morgan. Einziger Schüler der Morgan Klasse." Marco erhob seine Hand und zeigt auf einen Jungen, dessen blondes Haar stark an frisches Stroh erinnerte und seine grauen Augen wie Quecksilber wirkten.
Als er mir ein Lächeln schenkte, hätte ich schwören können, mehr als eine Zahnreihe gesehen zu haben. "Warum ist er der einzige in der Morgan Klasse? Liegt es daran, dass du den gleichen Namen wie die Gründerfamilie trägst?"
"Wer weiß? Du trägst ebenfalls den Namen der Gründer. Was ist dein Grund im Blackstorm Haus zu sein?" Grinsend betrachtete Lawrence mich.
"I-ich weiß es nicht." Dieser Typ überforderte mich, obwohl er nur einen Satz gesagt hatte. Neben ihm fing ein Mädchen an zu kichern, was ihre grünen Augen funkeln ließ. Sie erinnerten mich an James' Augen.
"Na da hast du deine Antwort." Doch ehe ich auf diese Antwort reagieren konnte, rief jemand meinen Namen.
"YO klein Blackstorm, ich hab hier jemanden für dich!" Verwundert drehte ich mich um und entdeckte Shang in der Menge, dessen Haare noch etwas unordentlich in alle Richtungen standen. Sie waren nicht so lang wie James', aber dennoch lang genug, um einen Zopf zu machen. Doch aktuell hingen sie hin in alle Richtungen herum. "Komm her oder willst du den Besitzer der goldenen Augen nicht kennenlernen?"

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt