Kapitel 22

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"Es ist euch vielleicht aufgefallen, dass es neben den Werwölfen auch noch andere Gestaltwandler gibt. Ich werde euch kurz etwas über die anderen Familien erzählen, aber genaueres werdet ihr in Stammkunde erfahren." Vincent griff nach einem Stück Kreide und fing an verschiedene Namen an die Tafel zu schreiben. "Es gibt natürlich die Werwölfe, welche für ihre Stärke, Loyalität und Ausdauer bekannt sind. Sie sind die am häufigsten vertretene Spezies und somit auch die Bekannteste. Mein Unterricht wird sich auch auf diese Spezies fokussieren, da dies immerhin ein Werwolf-Internat ist. Jedenfalls wandeln dort draußen auch noch Werkojoten oder auch einfach nur Kojoten genannt. Es wird häufig behauptet, dass sie eine Nebenfamilie der Wölfe sind, aber sie sind eine ganz eigene Spezies, die sich als Einzelgänger in Wüstengebieten ausgebreitet haben. Sie sind als Überlebenskünstler in Extremzonen bekannt. Die dritte Familie stellt die Druiden dar. Sie sind seit Jahren unsere Wächter und Hüter, damit das Geheimnis der Gestaltwandler nicht ans Licht kommt. Sie sind verschlossen und geheimnisvoll, hochintelligent und manipulativ wie kein zweiter. Aber sie sind unsere Wächter, also ist es erträglich, nicht wahr?" Fragend ließ er die Kreide sinken und schaute uns an.
Seine Stimme war sehr angenehm und ich hatte das Gefühl, dass wir hier sehr viel lernen würden. Zwar war das alles sehr viel auf einmal, aber da es nur eine Art Exkursion für Stammkunde darstellte, folgte ich ihm so weit es ging.
"Die vierte Familie ist bekannt als die Trickster Japans. Es sind die Kitsunes oder auch Fuchsgeister. Sie sind die gerissenste Spezies von allen und für Unheil und Glück gleichermaßen bekannt. Um ehrlich zu sein, konnte ich diese Biester nie leiden. Sie haben mich schon so oft über's Ohr gehauen, dass ich nicht mehr gerne beim Japanern essen gehe." Er kratzte sich kurz am Hinterkopf, aber überspielte die Peinlichkeit mit einem leichten Lachen. "Die nächste Spezies nennt sich Nagual." Er hielt kurz inne.
Irgendwo hatte ich das schon mal gehört, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mir jemand etwas über Nagual beigebracht hat. Verwundert wollte ich mich anders hinsetzen, doch stieß dabei meinen Tisch an. Ein Stift drohte herunter zu fallen, weshalb ich ruckartig meine Hand ausstreckte, um ihn aufzufangen. In diesem Moment erblickte ich meinen Arm und die Narben auf ihm. Sie stammten nicht von dem Training am Internat, sondern vom Vorfall von vor zehn Jahren.
Eine Nagual-Prinzessin? Hoffentlich ist sie die Richtige. Immerhin müssen wir den Hybriden zur alten Stärke verhelfen.
Hey Kleines, schließ die Augen, dann ist es nur halb so schlimm ~
Geschockt starrte ich meinen Arm an. Was waren das für Erinnerungen? Nein, ich kannte diese und selbst wenn ich sie verdränge, würde es nicht an der Tatsache ändern, dass es damals geschehen ist.
"Ganz ruhig." Vorsichtig griff mein Bruder nach meiner Hand und zog sie an seine Brust. "Spürst du das? Es ist das Zeichen, dass ich da bin. Ich bin für dich da. Beruhig dich." Ich spürte seinen ruhigen Herzschlag in seiner Brust hämmern. Er war da. Mein Bruder war an meiner Seite.
"Ein Nagual ist ein Werjaguar. Sie sind wie Kojoten Einzelgänger. Sie sind für ihre Skrupellosigkeit bekannt, gefürchtet für ihre Stärke und Gerissenheit und relativ selten. Aber sie sind nicht so selten wie die sechste Spezies der Wendigos. Wendigos sind verflucht mit dem Kannibalismus und daher meidet man sie. Dementsprechend existieren kaum noch diese Wesen." Kurz hielt er inne und überlegte erneut. "Jedenfalls können wir jetzt mit dem eigentlichen Unterricht anfangen." Vincent drehte sich um und schaute in die Runde. Ich hatte mich wieder beruhigt und schaute ebenfalls zu meinem Kurs. Einige hatten den Arm gehoben, aber unser Lehre winkte ab. "Keine Fragen. Ihr werdet alles weitere von eurem Therianthropie-Lehrer erfahren."
Was ein Lehrer. Aber um ehrlich zu sein, hätte ich nicht alle Fragen zusammenbekommen, die sich aufgetan haben. Kannibalismus? Das würde schon Stunden einnehmen, ehe ich dieses Thema verstehe.
"Was wisst ihr alles über Werwölfe? Fangt an!" Mit Schwung warf unser Lehrer ein Stück Kreide in die Runde und ein junger Wolf fing sie auf.
"Wie Werwölfe entstanden sind, weiß man nicht so genau. Es gibt zwar viele Mythen, aber man weiß nicht, was letztendlich doch der Wahrheit entspricht. Es gibt einerseits die Legende, dass der erste Werwolf einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist und einen Gürtel erhielt, mit dem er sich verwandeln konnte. Dann gibt es noch die Version, dass es eine Strafe Gottes war. Ein Vater wollte sein eigenes Kind verfüttern und wurde damit gestraft, sich in einen Wolf zu verwandeln. Es wird aber auch gesagt, dass Lykanthropie, die Verwandlung von Mensch in Wolf, eine Krankheit ist wie Tollwut. Man weiß also nicht, woher der Werwolf stammt." Der Junge holte nach seinem Redeschwall tief Luft und schaute sich um.
Wir alle waren geschockt. Wie konnte man in einem Atemzug nur so viel reden?
Etwas beschämt setzte er sich hin und warf die Kreide zu Alex, die sich bemerkbar gemacht hatte. Als sie aufstand, um zu reden, hörte ich, wie einige Schüler genervt ausatmeten. Was hatten die denn gegen Alex?
"In viele Legenden und Mythen, die sich aufgetan haben, wird behauptet, dass Werwölfe sich nur in der Vollmondnacht verwandeln können. Heutzutage wissen wir, dass das nicht der Wahrheit entspricht, da wir uns zu jeder Tageszeit verwandeln können. Das gilt auch für die andern Gestaltwandler. Werwölfe haben bessere Sinne als Menschen, sind viel schneller und stärker als diese und haben eine gesteigerte Regeneration. Wie gut sie aber allgemein ist, kann man nicht sagen, da sie von Wolf zu Wolf variiert. Wir sind zudem auch in der Lage, Menschen mit einem Biss zu verwandeln. Der Vollmond beeinflusst nur Jungtiere und zu dieser Zeit sind sie nur unkontrollierter." Alex setzte sich sofort wieder hin und warf die Kreide zum nächsten Wolf.
Ich hörte Getuschel und wie einige meinten, dass dieses Miststück einfach die Klappe halten sollte und dass diese Schande von Werwolf nichts zu sagen habe.
Schande? Was haben die denn alle?
Ein kleines Mädchen stand auf und sprach mit einer viel zu tiefen Stimme für diesen Körper. "Der Alpha wird als Erbe mit einem Mal auf dem Rücken geboren, dass sein Potential darstellt. Es wächst mit der Chance, nach dem Erbrecht Alpha zu werden und wenn es sich über den gesamten Rücken ausbreitet, dann wissen auch Außenstehende, dass dieser Wolf ein Alpha ist. Im Schnitt erkennt man es aber auch an seinem Auftreten, seiner Verwandlung und seinen Augen. Er kann andere Wölfe kommandieren, kontrollieren und manipulieren. Sie sind stärker, schneller, größer und mächtiger als jeder andere Wolf. Er sucht sich einen Vertrauten oder talentierten Wolf und macht diesen zu seinen Stellvertreter, der ihn in bestimmten Fällen vertritt. Der Partner des Alphas wird als Luna bezeichnet, wobei das Geschlecht keine Rolle spielt."
Nun erhob sich Marco und fing die Kreide mit Leichtigkeit auf. Das will ich auch können!
"Jeder Werwolf hat einen Seelenverwandten. Dieser Seelenverwandte wird einem nicht aufgezwungen, sondern ist jemand, der perfekt zu dir passt. Es ist jemand, dem du vertraust und ohne zu zögern dein Leben schenken würdest. Er ist für dich da, wenn es niemand ist. Er unterstützet dich, wenn es niemand will. Er glaubt an dich, ehe es jemand anderes tut oder wenn es niemand sonst würde. Er wird dein bester Freund und die Liebe deines Lebens-" Schockiert blinzelte Marco ein paar Mal. Scheinbar hatte er nicht bemerkt, dass er sich etwas festgeredet hatte. Peinlich berührt legte er die Kreide auf seinen Tisch und setzte sich wieder hin.
Kurz räusperte sich Vincent und zog damit die Aufmerksamkeit von Marco auf sich. "Das sollten erstmal die gröbsten Informationen über den Werwolf sein. Weiter gibt es noch die Legende, dass Seelenverwandte, Soulmates oder einfach nur Mates eine Seele darstellen. Es wird gesagt, dass Werwölfe mit einer halben Seele geboren werden und erst durch den Mate vervollständigt werden. Es wird auch berichtet, dass man es spürt, wenn der Mate einen ansieht. Dass es ein Gefühl ist, als würde der Blick seine Seele durchbohren, da diese Person die andere Hälfte besitzt. Ich kann das leider nicht bestätigen, da ich meinen Mate noch nicht kennengelernt habe."
Der will mich doch verarschen! Niemals im Leben würde ich Christopher auf diese Weise ansehen, als sei er meine verlorene Hälfte. Dieser Typ ist viel zu selbstgefällig,  als dass er jemand anderes als sein eigenes Spiegelbild in sein Leben lassen würde!

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt