Kapitel 23

185 8 0
                                    

"Ugh, das ist doch Müll!" Entnervt warf sich Livvy gegen die Hauswand unseres Internats. "Drei Stunden Therianthropie und dann bis 16:00 Uhr Unterricht der Menschen. Und dann dürfen wir zu unseren Häusern und dort bis 19:00 Lykanthropie. Welches Wesen soll diese Tortur bitte ertragen? Und dann labert Vincent auch noch so 'ne Scheiße über Mates. Jungs, ich kann nicht mehr. Ich will nicht zu Kouhei und James."
Gelangweilt stand ich etwas von ihr entfernt und musste mir ein Lachen verkneifen. Sie war nie die Art von Mensch gewesen, die gerne sich so stresste, aber das gehörte nun mal dazu.
"Liv, hör auf rumzuheulen. Das ist unser erster Tag, bitte reiß dich zusammen." Grob packte Isabelle ihre Schulter und riss sie von der Wand. Überrascht stieß sie etwas Luft aus, ehe sie unbeholfen auf den Boden fiel.
"Ich kann nicht. Dieses ganze Gelaber von Mates geht mir einfach nur auf den Sack. Ich will das nicht mehr hören!" Energisch starrte sie uns an, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass kaum jemand ihre Gedankengänge verstand. Außer Isabelle, die verständnisvoll wirkte.
Doch ehe jemand etwas erwidern konnte, hörten wir einen panischen Aufschrei. Sofort rissen wir unseren Kopf zur Seite und starrten in die Richtung der angespannten Stimmung. Abgesehen von Marco, der seinen Kopf in die andere Richtung drehte.
"Hört bitte auf!" Ein junges Mädchen mit blauen Haaren drückte sich an die Wand und funkelte verzweifelt durch ihre Wimper die Umstehenden an. Aber keiner reagierte. Sie kam mir bekannt vor, was vermutlich daran lag, dass wir in eine Klasse gingen. Aber ich konnte mich nicht an ihren Namen erinnern.
"Warum sollten wir? Immerhin hat eine Schade wie du, nichts zu sagen." Lachend rammte ein Junge in Thomas' Alter seine Hand direkt neben ihren Kopf. Sofort zuckte sie zusammen, wobei einige blaue Strähnen ihr ins Gesicht fielen. "Du kennst die Regeln, aber wenn du weiterhin glaubst, dass es so besser ist, können auch wir dir nicht helfen." Lachend trat der junge Mann mit weißen Haaren etwas näher an sie heran.
Sofort versuchte sie noch näher an die Wand zu gelangen, aber um das zu erreichen, hätte sie mit der Wand eins werden müssen. "Ich- bitte lasst mich einfach zu meinem Unterricht gehen."
"Das reicht!" Schrie Livvy, ehe der schmierige Typ noch was antworten konnte. "Lasst Alex in Ruhe, sie hat euch nichts getan!" Entschlossen packte sie den Arm des blauen Mädchens und zog sie hinter dem Typen hervor.
"Halte sie auf!" Flüsterte Marco mir panisch zu. Ich hatte nicht bemerkt, dass er die Szenerie doch mitbekommen hatte. Und als ich ihn kurz ansah, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. "Es gibt auch ungeschriebene Gesetze an diesem Internat. Der stärkste Wolf eines Hauses macht die Regeln. Wer sich nicht daran hält, wird verstoßen. Das sind Regeln gegen die sich nicht mal Tante Penny stellen kann. Alex und Olivia haben da keine Chance. Halte sie auf, ehe sie sich noch ihren gesamten Werdegang versaut!" Panisch packte er meinen Arm und ich konnte ehrliche Besorgnis für meine kleine Schwester in seinen Augen sehen.
Doch ich schüttelte meinen Kopf. Meine Schwester war stark und sie würde alleine klarkommen. Sie wird nicht ohnehin von Thomas' Leuten gefürchtet. Ich vertraute darauf, dass sie es schaffen würde. Aus diesem Grund mischte ich mich nicht ein.
"Du weißt also nicht mal das. Warum bist du nur so dumm?" Verwirrt blickte ich auf. Diese Stimme klang ehrlich besorgt und bekümmert, aber diese Worten sprachen eine ganze andere Sprache.
Ich bemerkte einen relativ großen jungen Mann an Livvy herantreten. Selbstgefällig legte er einen Arm um ihre Schulter und beugte sich etwas runter, um ihr ins Gesicht schauen zu können. Mit dieser Bewegung vermischten sich seine schneeweißen Haare mit ihren Tiefschwarzen. Ohne diese Situation wäre es eine recht niedliche Szenerie gewesen.
"Halt die Klappe. Du bist der Letzte, von dem ich etwas hätte hören wollen." Genervt stieß sie ihn von sich weg, aber nicht so sehr, dass er hinfiel oder das Gleichgewicht verlor.
"Du weißt es also nicht. Diese kleine Alex ist im Bunde mit dem Erbe der Morgans." Lachend packte der Typ mit der Porzellanhaut das blauhaarige Mädchen und warf sie erneut gegen die Wand. "Aber vermutlich kannst du nicht mal was mit den Morgans anfangen. Was bist du nur für eine unwissende Alphastochter."
"Was willst du mir damit sagen? Lass sie doch mit den Leuten rumhängen, mit denen sie rumhängen will. Ist doch ihre Sache, wenn sie sich mit diesen MORGANS rumtreiben will. Kümmer' dich um deinen eigenen Scheiß, du ach so toller Alpha der Whitenights." Livvy war wütend. Auch wenn sie nur genervt wirkten, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie explodiert. Ihre Haltung war abwertend, ihre Worte ignorant und abfällig. Sie hielt rein gar nichts von dem jungen Mann, welcher goldene Augen besaß.
"Kleiner Wolf, die Morgans sind die Nachkommen und Erben der Wendigos. Wendigos sind die Teufel der Erde. Sie fressen ihre eigene Art, um an Stärke zu gelangen, schänden Leichen und fressen diese zu jeder Tageszeit ohne große Bedenken auf. Dieses Mädchen soll Teil meines Rudels sein, aber wer sich mit solchen Wesen abgibt, kann sich als ein Leben als Ausgestoßener bereit machen. Eigentlich kann sie genauso verschwinden wie diese verdammte Lesbe der Silverstones. Und so eine soll unsere Vertreter darstellen? Das ich nicht lache. Sie sind einen Scheiß wert. Jetzt kümmer' du dich um deine Angelegenheiten und komm wieder, wenn dein Mal vervollständigt ist oder verschwinde für immer."
Livvy ballte langsam ihre Hände zu Fäusten und als sie sprach, war ihre Stimme so sanft wie die einer Mutter, welche zu ihren Kindern sprach. "Ich hatte anfangs wirklich geglaubt, dass ich dich tolerieren könnte. Aber du bist ein Stück Dreck. Wenn du so über das Leben anderer redest, kann man nicht von dir behaupten, dass du mehr wert bist, als die Leute auf die du herablassen blickst." Livvy machte nicht mal eine Anstalt, über die Morgans zu reden. Sie nahm es so hin. Sie akzeptierte seine Herkunft und verteidigte ihn in Angesicht eines Alphas. Und das ohne auch nur einmal zu zögern.
Man konnte aber sehen, dass es in ihrem Inneren tobte, als ein rotes Feuer in ihren braunen Augen aufflammte und ihre gesamte Iris blutrot färbte. Aber auch der weiße Mann blieb von ihren Worten nicht unberührt. Sofort packte er sie am Kragen ihres Pullovers und zog sie in die Luft. Da er ungefähr so groß war wie ich, berührte Livvy den Boden nicht mehr. Sie hing ohne jeglichen Halt an ihrem Kragen in der Luft.
"Wer hat dir das Recht gegeben, darüber zu urteilen, wer wie viel wert ist?" Brüllte er meine kleine Schwester an. Seine Augen färbten sich nun auch feuerrot und eine Intensität ging von den Beiden aus, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob es Leidenschaft oder Hass war.
"Das sagst du, der jemanden wegen seiner Herkunft als minderwertig bezeichnet? Du bist noch viel weniger wert als meine abgenutzten Schuhe. Dein Vater schämt sich vermutlich dafür, dass er einem inkompetenten kleinen Jungen sein Rudel überlassen hat!" Wutentbrannt riss Livvy ihre Beine hoch und schlang sie um die Schultern des jungen Mannes.
Doch er blieb ebenfalls nicht stehen. Ihre Worte schienen etwas in ihm auszulösen, da er einmal herumwirbelte und Livvy dann gegen die Hauswand stieß. Sie war immer noch um ihn geschlungen.
Sofort wichen die umherstehenden Wölfe und Alex den Beiden aus und erst wollte ich eingreifen, aber Isabelle griff kopfschüttelnd meine Schulter. Sie hatte recht, das war Livvys Angelegenheit.
"Wage es ja nicht, über meine Familie zu reden. Du hast kein Recht dazu." Stark zuckte ich zusammen. Als Alphassohn ist man mit der Stimme des Alphas gewöhnt und sollte gegen diese Autorität mehr ankommen als die meisten anderen Wölfe, aber als er Livvy anbrüllte, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich war paralysiert und so ging es auch den anderen. Sie blieben wie versteinert stehen und in den Augen dieser konnte man die blanke Panik erkennen.
"Und du hast kein Recht dazu, über den Wert andere Wandler zu reden, als seien sie Gegenstände. Schieb dir diese Scheiße in deinen Arsch, aber halt die Klappe! Hör auf über die Herkunft anderer zu reden. Hör auf über ihre Sexualitäten zu urteilen. Hör auf sie zu bewerten wie Ware." Plötzlich roch ich Verzweiflung. Von Livvy ging nicht mehr die unbändige Wut aus, sondern Verzweiflung, die sich durch ihr Herz fraß. Immer und immer weiter. Unaufhörlich wie eine inoperable Krankheit. "Hör auf deine Macht so auszunutzen!"
Ich lief los. Ich wusste, dass ich nicht viel Zeit hatte, also ignorierte ich alles um mich herum. Jetzt zählte nur noch Livvy.
Meine Schwester hatte sich von der Wand gestoßen und aus irgendeinem Grund fand der junge Alpha keinen Halt. Und ich entdeckte auch, warum er sich gegen Livvy nicht wehrte. Tränen der Verzweiflung hatten sich in ihren Augen gesammelt. Sie fing unaufhörlich an zu zittern und ihre Atmung ging stoßweise. Doch da war noch was anderes. Ein weiteres Glänzen grub sich durch ihre blutrote Wut. Es war ein kaltes grün. Es strahlte so kalt wie das metallische Gold in den Augen des Alphas. Und als der Alpha nahezu paralysiert mit Livvy auf seiner Brust auf dem Boden aufschlug, waren ihre blutroten Augen giftgrün.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt