Kapitel 78

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"Silverstone-Sama!" Außer Atem packte mich ein junger Fuchs am Arm und drehte mich zu sich. "Verzeiht, aber wir haben an der Westgrenze verdächtige Aktivitäten gesichtet. Wir werden es erstmal beobachten und wenn es ernst wird, handeln. Gibt es irgendwelche genauen Befehle? Wie sollen wir uns verhalten?"
Ich zögerte. Dieser Fuchs hatte mich vollkommen aus der Bahn geworfen. "Ich..." Verwirrt kratzte ich mich am Hinterkopf und sah zu ihm auf. Seine großen roten Augen schauten mich erwartungsvoll an. "Gebt mir das Protokoll. Ich wollte eh zum Alpha gehen. Ich kümmere mich darum."
Sofort nickte der Junge und drückte es mir in die Hand, ehe er sofort umdrehte und wieder gen Westen rannte. Es war immer noch sehr ungewohnt, von Älteren mit Sama angesprochen zu werden, da man dann plötzlich viel weiter oben in der Rangordnung erscheint und ich eigentlich nichts besonderes gemacht habe.
Seitdem wir die Nachricht der Darachs erhalten haben, dass der Krieg der dunklen Mächte in sechs Monaten beginnen soll, sind schon fünf Monate vergangen. Die meisten Gestaltwandler, die sich hier noch befanden, waren starke Spätzünder und die oberste Elite. Dazwischen gibt es nicht.
Alex und ich wurden zu Kommandanten der Werwölfe erhoben, was mich ehrlich überrascht hat. Alex wurde zwar von Anfang an für diese Position in Betracht gezogen, aber warum wurde ich ebenfalls befördert? Die meisten ignorierte diese Frage einfach, aber ich ging davon aus, dass Tyra Kyle mich empfohlen hatte.
Seitdem sind einige Wochen vergangen und eigentlich blieb auch alles ruhig. Lawrence trainierte mit Jayden Archer, da er endlich die Motivation aufbringen konnte, zu kämpfen und Shang hat einen eigenen Trupp erhalten, den er anführen und leiten kann. Ich hielt das zwar für eine äußerst schlechte Idee, da er die Tendenz hatte, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen und nur an den Kampf zu denken, aber bis jetzt haben alle überlebt, also will ich mich nicht beschweren.
Max dagegen steckte ganz tief in seinen Nachforschungen, um ein Heilmittel für Olivia und Jiaki zu finden. Ein Tag nach Olivias Geburtstag wurden wir aus den Betten gerissen und zu Tyra gezerrt. Ich hatte nicht verstanden, warum wir so bestraft wurden, aber die Erklärung rechtfertigte alles.
"Olivia stirbt." Der ernste Ausdruck in Tyras Augen wies sofort darauf hin, dass es kein Witz war. Olivia war äußerst blass und wirkte sehr kränklich. Die ganze Zeit, die wir mit ihr in ihrem Zimmer verbracht haben, hatte sie nicht einmal ihre Augen geöffnet oder sich auch nur annähernd bewegt.
Uns wurde dann erklärt, dass auf ihr Jiaki ein Fluch liegem und sie ohne ein Heilmittel sterben würde, da sie entweder dem Wahnsinn verfallen, sich selbst umbringen würde oder ihr Körper den Schmerz nicht standhalten könnte.
"Aktuell können wir nur alles unterdrücken, aber das sorgt dafür, dass sie in eine Art komatösen Zustand fällt. Ich habe zwar dasselbe Mittel genommen, aber ich hatte etwas nicht mit einkalkuliert." Erschöpft hatte sich Jiaki auf die Bettkante fallen lassen. "Olivia ist viel stärker als ich. Das habe ich schon einmal mitbekommen. Ich bin eigentlich viel erfahrener als sie, aber als ich ihr meinen Willen aufzwingen wollte, konnte sie sich davon losreißen und sogar in meine Gedankenwelt eindringen. Ich hatte erst gedacht, es sei ein Zufall, aber wenn ich jetzt so sehe, wie viel mehr sie unter diesem Fluch leidet, wird eigentlich klar, wie weit unsere Fähigkeiten auseinanderliegen. Je stärker, desto gravierender."
Sofort wollten wir natürlich wissen, wie es dazu kommen konnte und was man dagegen tun könnte, jedoch war sogar Auralia ahnungslos, da sie nicht genügend Zeit gehabt hatte, nach einem Heilmittel zu suchen.
Seitdem sind die Gray-Geschwister und die Whitenights nur dabei, ein Heilmittel für die Verfluchten zu finden. Sie konnten zwar einige Veränderungen vornehmen, aber ein Heilmittel konnten sie noch nicht finden.
Da aber Jiaki nicht so befallen davon war, konnte sie ihre Aufgaben als Vertreter bald aufnehmen und sich mit Tyra an Suchen beteiligen. Doch auch wenn die Atmosphäre draußen sehr ausgelassen war, war doch jeder im Haus ziemlich angespannt.
Thomas hatte Peter umgebracht und diese Tatsache hatte ihn und Auralia auseinandergetrieben. Caliria konnte ihrem Sohn auch nicht mehr in die Augen sehen und mein Vater kam immer nur gestresst vorbei, um sich über die vermehrten Angriffe auf Lupus Luna und sein unbeteiligtes Rudel zu beschweren, was nicht unbedingt zur Entspannung beitrug.
"Ist das nicht die Queen?" Verwundert blieb ich stehen. Ich hatte schon den Hügel erklommen und stand nun fast vor dem Haus der Blackstorms, aber die Stimme ließ mich stoppen. Durch den Akzent und die Tonlage wusste ich, dass es sich um Hyaku-Sama handelte, aber ich konnte ihn nicht sehen.
Ich mochte den Spitznamen nicht sonderlich, da die meisten ihn eher als Beleidigung verwendeten, weil ich ihnen zu feminin war. Aber wenn ihn meine Freunde nutzten, war es wieder was anderes. Das aus Hyaku-Samas Mund zu hören, war noch mal etwas ganz neues, da Füchse sich nicht auf Gossip einließen und sehr viel von ihren Vorgesetzten hielten.
"Was gibt es, Hyaku-Sama?" Verwundert blickte ich mich um, aber konnte ihn nicht ausfindig machen. Wo war er denn?
"Deine kleine Freundin hat nach dir gesucht." Wieder ertönte diese Stimme, aber diesmal konnte ich ihr sofort folgen und dort sah ich ihn liegen. Nutzlos wie immer lag er im Gras und starrte die Wolken an.
"Welche Freundin?"
"Weiße Haare, blaue Augen, ziemlich vorlaut." Leichtfertig zuckte er mit den Schultern und hob ein kleines Gefäß. "Wusstest du, dass Schlafmittel bei Gestaltwandlern nicht sonderlich effektiv sind? Ich wollte mich mit einer Überdosis umbringen, aber irgendwie wurde mir nur übel und ich musste mich hinlegen. Enttäuschend." Er ließ das Gefäß wieder fallen und starrte mit leeren Augen gegen den klaren Himmel.
"Das ist äußerst enttäuschend." Sagte ich nach kurzem Zögern. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Meinte er das ernst, sollte das nur ein Witz sein? Ich wusste es nicht. Deshalb ging ich dann auch einfach, als er nichts mehr zu sagen hatte.
Ich riss die Tür auf und betrat das kühle Gebäude. Es war mittlerweile wieder Sommer und die Temperaturen erschwerten das Training erheblich. Ich faulenzte zwar gerne, aber die Zeiten ließen das eher selten zu. Es sei denn, du bist Hyaku Watanabe.
"Ein Protokoll!" Rief ich und sofort tauchte Thomas' schwarzer Schopf in der Ecke des Wohnzimmers auf. Er hatte sich seit seiner Ernennung nicht mehr aus dem Haus bewegen können, da er viel zu viele Dinge regeln, Strategien planen und Befehle geben musste.
Hastig lief er auf mich zu und riss mir die Zettel aus der Hand. "Wegtreten." Sagte er dann, nachdem er den Bericht kurz überflogen hatte und setzte sich dann an einen Tisch, um die nächsten Befehle herauszugeben. Er erschien mir sehr gestresst, aber wenn ich ehrlich bin, ist er selbst schuld. Er hat Peter eigenwillig getötet und muss nun mit den Konsequenzen leben, auch wenn ich etwas wegen seiner Gesundheit besorgt war. Er schien sich nur von Kaffee und Luft zu ernähren und Schlaf schien ebenfalls ein Fremdwort zu sein.
Trotz meiner Zweifel verließ ich das Wohnzimmer und lief zu den Trainingsräumen. Es wurde irgendwann Gang und Gebe, dass wir uns dort trafen. Und wie zu erwarten, saß dort Isabelle Whitenight und drückte sich eben von Boden ab, um ihrem Cousin ins Gesicht zu treten. Der konnte aber ihren Fuß anfangen und riss sie mit einer leichten Bewegung wieder zu Boden. Isabelle stützte sich aber ab, wirbelte wieder nach oben und ein Knacken erfüllte den Raum. Ohne mit der Wimper zu zucken, brach sie sich das Bein, das Christopher hielt, um genug Schwung zu haben, als sie ihn gegen den Schädel trat. Vor Schock und mit der Kraft Isabelles ging der Alpha der Whitenights zu Boden und blieb dort auch liegen, während sich Isabelles Bein wieder einrenkte. Das war eine wirklich ekelhafte Strategie, aber sie war äußerst effizient und von allen in unserer Allianz gefürchtet.
"Ekelhaft." Sagte ich, als ich das Zimmer betrat und beide Whitenights sofort zu mir schauten.
Isabelle zuckte leichtfertig mit den Schultern. "Danke, höre ich oft. Gibt's irgendwas neues?"
Da die beiden die letzte Zeit immer unterwegs waren, um nach diversen Mitteln für Olivia zu suchen, diente ich ihnen als eine Art Informant. "Sir Archer konnte die Nordgrenze sichern und bestätigen, dass sich dort keine Feinde befinden. Das Silverstone-Rudel im Osten weist ebenfalls auf keine verdächtigen Aktivitäten hin. Im Süden ist Shangs Truppe noch am forschen und an der Westgrenze wurden tatsächlich verdächtige Dinge beobachtet." Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich mit meinem Rücken an Christopher, der nachdenklich sitzenblieb.
"Im Westen von Nalawe liegt Norkaru." Zähneknirschend starrte er auf den Boden, während ich mich aufsetzte und kleine Zöpfchen in seine immer länger werdenden Haare flechten wollte.
"Norkaru... die Heimat der weißen Wölfe. Ich hoffe wirklich, dass wir deswegen nicht schon wieder ausgefragt werden müssen. Ich hatte zwar nichts dagegen, da die Zeit mit dir ziemlich entspannt war, aber ich will dich nicht noch mal so viel ertragen müssen." Auch Isabelle setzte sich neben Christopher und begann auf der anderen Seite Zöpfchen zu flechten.
"Wer würde sich denn nicht über so viel Zweisamkeit mit mir freuen?"
"Leute mit einem gesunden Menschenverstand." Platzte es sofort aus mir heraus und Isabelle nickte nur zustimmend.
Kurz zögerte der junge Whitenight, ehe er mich, ohne sich umzudrehen, an den Schultern packte, mich über seinen Kopf hob und zwischen seine Beine warf. Schockiert atmete ich aus, als mir die Luft aus den Lungen gepresst wurde, aber da ich zu müde zum Kämpfen war, blieb ich einfach zwischen seinen Beinen liegen und starrte die Decke an. Isabelle betrachtete uns nur gelangweilt und fuhr mit ihrer Arbeit an seinem weißen Haar fort.
Ich fand es so erstaunlich, dass Isabelles Haare immer mehr die Farbe der Whitenights angenommen haben, je mehr sie sich ihrer Herkunft bewusst wurde. Ich habe zwar noch nie gehört, dass ein Werwolf dazu im Stande war, da diese Art der Verwandlung nur den Kitsunes vorbehalten war, aber sie war dazu ganz offensichtlich in der Lage.
"Wir konnten noch etwas Esche kultivieren. Da Leon jedoch die größte Esche zerstört hatte, fällt es uns sehr schwer, auch nur irgendwas davon zu finden. Dein Vater versucht zwar mit allen Mitteln, uns beizustehen, aber wenn wir keine Saat finden, kann keiner was deswegen unternehmen." Nachdenklich betrachtete mich Christopher, als er mir das sagte und strich währenddessen durch meine Haare, die auch unbedingt einen Haarschnitt benötigten. Ich konnte sie mittlerweile in einen Zopf binden. Und selbst wenn es ganz niedlich aussah, hingen sie mit praktisch nur im Weg.
"Esche... war das nicht die Zutat, die am effektivsten die Schmerzen unterdrückt?" Gedankenverloren griff ich nach seiner Hand und spielte mit seinen Fingern.
"Ja, das war die effektivste Zutat. Neben Wolfswurz, Vergissmeinnicht und Eisenkraut sind die Blüten der Esche besonders gut für die beiden Verfluchten." Erschöpft ließ sich Isabelle hinter Christopher nieder und lehnte sich mit ihrem Rücken an seinen. "Wenn wir sie nicht finden sollten, wird es ihnen nur schlechter gehen. Ich will nicht, dass Olivia stirbt."
Sofort stoppten Christopher und ich in unserer Bewegung und schauten uns betrübt an. Keiner von uns wollte, dass sie stirbt, aber wenn der Krieg erst beginnt, können wir nicht garantieren, sie ständig mit Medizin versorgen zu können.
"'nen Scheiß." Überrascht schnellte mein Kopf in die Höhe und meine Augen trafen zwei matte braune Augen. "Ich wollte nur sagen, dass Thomas einen Befehl für die Füchse im Westen hat. Ihr sollt sie ihnen überreichen." Und mit diesen Worten verließ uns die jüngste Blackstorm.
"Vielleicht sollten wir ihr doch weniger Esche geben. Seit sie vor drei Wochen wieder aufstehen konnte, ist sie mir viel zu energisch." Erschöpft erhob sich Isabelle und reichte uns ihre Hände, an denen wir uns hochziehen konnten. "Ihr wisst, wie wir das nun regeln, wer gehen soll."
Ernst schauten wir uns alle an. "Es gibt nur eine Möglichkeit." Knurrte ich.
Christophers Hand schnellte nach vorne und er schaute uns siegessicher an. "Schere, Stein, Papier!"

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