Kapitel 29

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Schockiert starrte ich ihn an. Mir fehlten die Worte. Wie konnte er so selbstverständlich über mich reden? "Du verarschst mich doch, oder?" Ich konnte nichts weiter als ihn anstarren.
"Warum sollte ich?" Überrascht trat er auf die Bremse und das Auto kam zum Stehen.
"Weil du Christopher Whitenight bist. Du lässt niemanden an dich heran und bist ein gnadenloser Anführer. Du vertraust niemanden und bist viel zu arrogant, als dass du jemanden in dein Leben lassen könntest. Du unterdrückst andere einfach zum Spaß und nutzt deine Macht für deine Zwecke aus!" Mit großen Augen versuchte ich von ihm wegzurutschen, aber da die Türen geschlossen waren, konnte ich mich nur an diese lehnen. "Was willst du mit diesen Lügen erreichen?"
Langsam drehte er sein Gesicht zu mir. Seine Porzellanhaut schimmerte in der Mittagssonne und ließ ihn noch weißer wirken. Das schneeweiße Haare hing ihm durcheinander im Gesicht und an der Länge konnte man erkennen, dass ein Haarschnitt überfällig war. Aber sein Gesicht war ernst. Ich konnte kein Schmunzeln der letzten Tage darin sehen oder einen abfälligen Blick für die anderen. Ich konnte ihn praktisch nicht mehr wiedererkennnen. Der Christopher Whitenight, der auf andere herabgeschaut und sich nichts aus dem Leben seiner Mitmenschen gemacht hat, war verschwunden. Er sagte die Wahrheit.
"Wie kann ich nur so einen Ruf in deinen Augen haben? Ich wollte doch nur, dass du dich von mir fernhältst. Wie kann ich nur in einem so schlechten Licht stehen?" Leicht hob er eine Augenbraue und ich merkte, dass diese gar nicht weiß war. Weiß war zwar seine natürliche Haarfarbe, aber die Augenbrauen waren dunkler und definierten das Gesicht, wie die schwarzen Augenbrauen das Gesicht meines Bruders definierten.
"Das, was du Alex antust, zum Beispiel. Was denkst du dir dabei?" Entnervt schaute ich zu ihm und als er eine Hand ausstreckte, um mich wieder zu sich zu ziehen. Doch ich schlug seine Hand nur weg. "Ich werde dich erst in einem anderen Licht sehen, wenn du mir erklärst, was das soll!"
Christopher schloss seine Augen und atmete sichtbar genervt aus. "Kinder in diesem Alter sind grausam." Er öffnete seine Augen wieder und ein warmer Goldton traf mein verwirrtes Braun. "Wenn sie nicht jemanden haben, den sie runtermachen können, dann fangen sie mit jedem Stress an. Sie brauchen ein Opfer, um eine Art Ausgleich zu haben. Ich weiß auch nicht. Mir wurde nur gesagt, dass ich jemanden finden soll, der das Opfer wird, damit die Leistungen meines Rudels gesteigert werden. Außerdem hatte Lawrence damit kein Problem, ich habe ihn davor gefragt, ob er für mich arbeitet." Verteidigend hob er seine Hände, auch wenn ich mich nicht rührte.
Wer würde einem jungen Alpha so was eintrichtern? Das ist doch dämlich! "Und du denkst wirklich, dass ich dir das einfach so glaube?" Ich hob eine Augenbraue. Ich war nicht dumm. Mag zwar sein, dass er ehrlich wirkte und dass sein Herzschlag konstant blieb, aber gute Lügner können auch jemanden aus der Familie täuschen. Mein Bruder oder eher dieser Leonard war einer von ihnen.
"Tust du das nicht schon? Ich habe dir die Wahrheit gesagt, jetzt bist du mir Antworten schuldig. Was ist passiert?" Fragte er und ich konnte nicht schnell genug reagieren. Da hatte Christopher schon meinen Arm gepackt und zog mich von der Tür weg. Er sagte nichts, aber sein Blick verriet mir, dass ich keine andere Wahl hatte.
"Wir haben diesen Test gemacht, um herauszufinden, in welches Haus wir kommen würden." Sagte ich dann schließlich. Er hatte nun seine Antwort, aber warum ließ er mich nicht los?
"Und weiter?" Seine Stimme war ruhig und hatte einen tiefen Klang, der mein Herz beruhigte, aber ich konnte und wollte nicht weiter darüber reden.
"Halt die Klappe. Das alles geht dich 'nen Scheiß an. Kümmer' dich lieber um Dinge, die dich wirklich was angehen!" Ich zog an meinem Arm, aber sein Griff war einfach zu fest, dass ich am Abend bestimmt noch seine Abdrücke und blaue Flecken haben würde.
"Hör doch mal auf damit." Genervt starrte er mich mit einem eindringlichen Blick an, der mir zurief, dass ich mich nicht so zieren sollte. "Ich bin der verdammte Alpha, ok? Ich bin der einzige Alpha an dieser Schule und solche Dinge sind auch mein Belangen. Warum hast du diesen Test gemacht?"
"Das geht dich gar nichts an!" Rief ich ihm zu, aber aus irgendeinem Grund konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. "Du bist so ein möchtegern Alpha, der gar keine Ahnung vom Leben hat. Hattest bestimmt noch nicht mal eine Freundin." Ich konnte nicht aufhören zu schmunzeln.
"Hatte ich auch noch nie, da ich immer nur auf die Eine gewartet habe. Aber scheinbar ist die Liebe meines Lebens nur ein verzogenes Mädchen, das nicht weiß, wann Schluss ist." Auch wenn diese Worte ziemlich anklagend waren, musste auch er leicht grinsen.
"Und ich hatte immer gedacht, dass sich Alphas alle Weiber klären, die nicht bei drei auf einem Baum sind." Ich merkte, wie er seinen Griff lockerte, aber aus irgendeinem Grund riss ich mich nicht los, sondern beließ es bei dieser Berührung.
"Dann muss dein Bruder ein richtiger Aufreißer sein."
Lachend schüttelte ich den Kopf. "Du hast Recht. Das ist sinnlos."
Ich hatte die Augen geschlossen und lachte erstaunlich unbeschwert für diese Situation, aber ich konnte trotzdem spüren, wie er mich beobachtete und das mit einem Blick, der Besorgnis, Vertrautheit und Liebe ausstrahlte.
"Was ist passiert?" Wiederholte er seine Frage und als ich ihm in die Augen sah, konnte ich nicht mehr schweigen.
"Der Test..." Fing ich an und merkte, wie sich sein Griff um meinen Arm verstärkte. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass ich wirklich reden würde. "Er hat mir gezeigt, dass ich im falschen Haus bin. Ich hatte diesen DNA-Test nie gemacht, aber wenn ich ihn gemacht hätte, dann wäre ich nicht ins Blackstorm Haus gekommen. Das war alles geplant. Jeder hat mich und Isabelle belogen. Mein eigener Bruder hat mich belogen. Er wusste davon und hat einfach geschwiegen. Er selbst ist nämlich gar kein Werwolf. Woher soll ich nun wissen, wem ich vertrauen kann, wenn man mich seit Beginn angelogen hat?" Ich stoppte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich wirklich alles sagen würde.
"Was ist denn dein Bruder für ein Wesen?" Vorsichtig legte er seine freie Hand auf meine Wange und drehte mein Gesicht zu sich. Er hatte Angst, dass er sich dieses offene Sprechen mit seinen Fragen kaputt machen könnte und damit lag er auch gar nicht falsch.
"Das weiß ich nicht." Gab ich nach einiger Zeit zurück. "Aber ich weiß auch gar nicht, ob er wirklich mein Bruder ist."
"Warum glaubst du gleich, dass er dich verraten haben könnte?"
Ich verkrampfte mich. Ein Unwohlsein kam in mir auf und ich konnte spüren, dass mein Körper anfing zu zittern, aber irgendwie fühlte ich mich, wie außerhalb meines Körpers. Es fühlte sich nicht so an, als würde in meinem Körper sein und als ich ihm antwortete, hörte ich meine Stimme aus weiter Ferne. "Weil ich schon mal verraten und belogen wurde. Vor zehn Jahren hätte dieser Verrat beinahe mein Leben gekostet."
"Was ist dir damals widerfahren?" Er packte nun beide Schultern und zog meinen gesamten Oberkörper in seine Richtung. "Erzähl es mir."
Zitternd holte ich Luft und schloss die Augen. Noch nie hatte ich mit jemandem über die Ereignisse gesprochen, aber das sollte hiermit enden. "Vor zehn Jahren, nachdem meine Familie Isabelle Reddinson adoptiert hatte, gab es viel Stress in meinem Rudel und niemand konnte sich mit den Kindern beschäftigen, weshalb ich häufig alleine war. Aber das war ein Fehler, da ich somit ein leichtes Ziel für Entführer war." Ich schloss die Augen und versuchte alles um mich herum, zu vergessen und nur an Christopher zu denken, der sich um mich sorgte. "Es gab Verräter in unseren Reihen, die bis heute nicht gefasst wurden. Sie haben mich entführt und zu einer Organisation gebracht, die mich Monate lang gefoltert und Experimente an mir durchgeführt hat. Tag ein Tag aus wurde meine Haut aufgeschnitten, an meinen Gedärmen operiert, mir wurden Gifte gespritzt und Blut gestohlen. Aber sie betäubten mich nie. Ich konnte sehen, wie sie meinen Oberkörper aufschnitten und mein Herz in den Händen hielten."
Entsetzt starrte er mich an. "Wer hat dich verraten? Wer hat dich entführt? Warum wurde dir das angetan?"
Doch ich schüttelte nur den Kopf. "Ich wurde verraten von Vertrauten. Sie haben mich belogen und dann diesem Schicksal ausgesetzt. Wer sagt, dass mein angeblicher Bruder nicht das Gleiche tun könnte?"
Christopher schwieg.
"Ich weiß aber bis heute nicht, warum sie mich wählten. Sie redeten immer davon, dass sie eine Nagual-Prinzessin brauchten, aber ich bin die Blackstorm-Prinzessin. Sie wollten immer mein Blut haben, aber mit dem hat irgendwas nicht gestimmt, weshalb sie mich töten wollten, aber ich konnte fliehen. Der Beta meines Vaters hat mich gefunden und er war auch der Einzige, vermutlich der nach mir gesucht hat. Ich habe ihn aber seit Monaten nicht mehr gesehen und wir haben nie darüber nachgedacht, einen Ersatz zu finden. Christopher, verstehst du denn nicht, dass ich das nicht mehr kann? Ich habe heute noch Panikattacken, wenn ich darüber nachdenke und es nicht ausgeschlossen, dass Leon mich ebenfalls so verraten könnte!" Ich merkte, wie meine Stimme immer lauter wurde, aber ich konnte diesen Gefühlsausbruch nicht kontrollieren.
Sanft berührte er meine Wange. "Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Leon nicht doch dein Zwilling ist. Vielleicht ist die Möglichkeit da, dass er dich verraten wird, aber er hat dich nicht aufgehalten, die Wahrheit zu erfahren, oder? Er ist immer noch der Junge, mit dem du aufgewachsen bist, der dich beschützt hat und immer lieben wird. Werwolf hin oder her."
Langsam sammelten sich Tränen in meinen Augen und ich spürte meine Atmung nicht mehr. Er hatte mich belogen, aber Christopher hatte vielleicht recht. Das von damals-
Hektisch schnappte ich nach Luft, aber meine Lungen füllten sich nicht. Sofort reagierte mein Körper darauf und fing an zu zittern, als die Luft immer knapper wurde. Verzweifelt versuchte ich mich an Christopher festzuhalten, aber meine Sicht verschwamm und ich schaffte es nicht seine Arme zu greifen. Vor meinen Augen tauchten die Gesichter dieser Monster auf. Ich spürte die Klingen auf meiner Haut und wie sie jeden Bereich von mir aufschnitten.
Dumpf hörte ich jemanden meinen Namen rufen, aber ich spürte nichts mehr. Mein Körper fühlte sich taub an und ich konnte weder etwas hören noch sehen. In meinem Kopf spielten sich alle Ereignisse von damals ab. Und plötzlich blieb mir die Luft weg.
Ich konnte nicht mehr einatmen oder meinen Mund öffnen. Und dann verschwand langsam das Taubheitsgefühl. Ich spürte eine warme Hand an meiner Schulter und eine weitere an meiner Wange. Ich sah eine goldene Farbe vor mir und bemerkte einen warmen Atem auf meiner Haut. Alle Bilder verschwanden und ein Gefühl der Geborgenheit übermannte mich. Die bis zum zerreißen angespannten Muskeln und Nerven ließen locker und ich ließ mich in die starken Arme meines Gegenübers sinken und merkte dann, weshalb ich meinen Mund nicht mehr öffnen konnte.
Christopher hatte seine Lippen auf meine gelegt, um meine unkontrollierte Atmung zu stoppen und hatte sich nicht von mir gelöst, ehe er nicht die Klarheit in meinen Augen sehen konnte. Das war mein erster Kuss mit meinem Mate.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt