"Steh auf!" Unnachgiebig schrie mich meine Schwester an.
Ich wollte etwas erwidern, aber der Sturz auf meinen Rücken hatte mir die Luft geraubt. Hechelnd lag ich da und überlegte mir noch mal ganz genau, ob es das wirklich wert war.
Mein Vater wollte uns die Möglichkeit geben, zu Kriegern zu werden und alles schien gut, bis mein Unterricht mit Jiaki begann. Im Gegensatz zu den anderen hatte ich keine Wahl, zu wem ich gehe. Meine Schwester und ich waren die einzigen Chimären und im Gegensatz zu mir, hat sie sehr viel Erfahrung mit diesem Leben. Ich wusste bis vor einigen Tagen noch nicht mal, dass ich eine bin.
"Jiaki, warte." Verzweifelt stemmte ich mich hoch und streckte meine Hand aus, um sie etwas abzuwenden. Doch sie trat ohne zu zögern gegen meinen Brustkorb. Da sie aber unglaublich stark war, flog ich durch den halben Raum, in dem wir uns befanden.
"In einem richtigen Kampf kannst du nicht einfach nach einer Pause bitten. Kämpfe!" Ich erkannte meine Schwester nicht mehr. Ich wusste zwar nicht, wer oder wie genau sie war, da ich sie erst vor kurzem kennengelernt habe, aber sie war ein ruhiger Mensch. Sie schwieg meistens und antwortete nur selten auf Fragen, dafür hatte sie immerhin Tyra. Aber nun war Tyra in der Stadt und unterrichtete die Wölfe, Kitsunes und Kojoten im Nahkampf und brachte ihnen die Kunst des Schwertkampfes näher.
Ich beneidete sie. Ich wollte ebenfalls mit einem Schwert kämpfen können oder wie Max unsere Welt studieren.
Als wir uns entscheiden konnte, von wem wir unterrichtet werden, entschied sich Max für seine Schwester. Er wollte, genauso wenige wie sie, Blut an den Händen haben. Er wollte Wissen erlangen und uns mit dieser Macht unterstützen. Er war kein Schläger oder Kämpfer. Wenn er etwas war, dann ein Druide mit dem falschen übernatürlichen Körper eines Werwolfes. Er wird zwar niemals die Macht der Druiden erlangen können, aber das Wissen steht jedem frei. Das Wissen über unsere Welt, die Spezies und alle möglichen Sprachen, die in Vergessenheit geraten sind. Dieses Wissen konnte er nun erlangen und was tat ich? Ich ließ mich von meiner Schwester durch den Raum treten.
Missmutig fiel ich auf die Knie und versuchte, mich nicht zu übergeben.
Lass uns nur mit unseren reinen Menschenkräften kämpfen, sagte sie. Das wird bestimmt lustig, sagte sie. Du wirst sehr viel lernen, sagte sie. Das wird deine Alternative für alles. Das ist wichtig, sagte sie.
Vom Lernen sehe ich aber rein gar nichts. Der einzige Grund, warum ich nicht schon längst gegangen bin, ist der Deal, den ich mit Jiaki habe. Sie versprach mir, mir zu erzählen, wo sich Isabelle und Christopher aufhalten und was als nächstes mit Leon geschehen würde, sollte ich sie überwältigen können. Aber diese Aufgabe erschien mir schier unmöglich.
"Das ist erbärmlich." Ich hörte ihre Schritte, als sie vor mich trat und mich von oben herab betrachtete. "Du hast wirklich keinerlei Erfahrung im Nahkampf." Lautstark seufzte sie und reichte mir ihre Hand. "Wir müssen wohl noch alle Grundlagen durchgehen."
Sofort schnallte mein Kopf in die Höhe und ich hoffte ihr mit meinen Augen mitteilen zu können, dass ich ihr das bereits gesagt habe und sie mich unnötiger Weise durch den Raum getreten hat. Aber ich war erleichtert, dass es vorbei war und griff sofort nach ihrer Hand.
Doch irgendwas war anders. Ich fühlte den Boden unter mir nicht mehr und plötzlich drehte sich alles, bis ich wieder diesen Druck auf meiner Lunge spürte und schockiert ausatmete. Das war jedoch ein Fehler, da keine Luft mehr in meine Lunge drang und ich nur keuchend am Boden liegen konnte.
"Grundlage eins: Der Kampf ist erst vorbei, wenn dein Gegner wirklich besiegt ist. Grundlage zwei: Glaub nicht, dass sich im Kampf jemand umentscheiden wird und dich unterstützen will. Kämpfe bis zum letzten Atemzug." Das Gesicht meiner Schwester erschien über mir. Ihre schwarzen Haare fielen aus ihre Zopf und umrahmte ihr bleiches Gesicht, welches ein blaues und ein grünes Auge beherbergte.
Auch wenn sie so wunderschön und engelsgleich war, blieb sie ein Jäger. Der Begriff 'besiegt' stand für sie eigentlich nur für töten und das machte mich kirre. Wie sollte ich sie besiegen, wenn ich sie nicht töten will oder kann? Und warum schleudert sie mich ständig durch die Gegend? Können wir nicht einfach das Verwandeln lernen? Ich bin noch nicht bereit für den Nahkampf.
"Wie lange weißt du eigentlich von deinen Nagualkräften? Oder um die Frage präziser zu stellen, wann hast du das erste Mal die zweite Macht in dir gespürt? Chimären werden mit Heterochromie geboren. Sie haben also zwei verschiedene Augenfarben. Ich habe zwar einen Lehrer an deiner Schule mit der gleichen Auffälligkeit gesehen, aber der ist ein reiner Werwolf." Sie meinte James. Mir ist schon aufgefallen, dass die beiden die gleiche Augenfarbe haben, aber sie hatte für Jiaki eine ganz andere Bedeutung. Für Jiaki symbolisierte es ihre Herkunft und für James war es eine genetische Anomalie.
Ihre Augen hatten nicht grundlos diese Farbe. Das blau stammte von unserer Mutter und wurde in ihrer Nagual-Gestalt grün, was eine typische Charakteristik der Naguals ist und ihr grünes Auge, von dem ich ausging, dass es von der Familie unserer Mutter stammte, wurde rot und zeigte ihren Werwolfanteil. Ich hatte jedoch ganz klassische braune Augen, was in der Familie der Blackstorms nicht ungewöhnlich war. Aber wenn Heterochromie ein Zeichen der Chimären war, dann ist das schon fragwürdig.
"Wann habe ich das das erste Mal mitbekommen?" Kurz überlegte ich, als ich wieder zu Atem kam. "Ich denke, es war bei dem Eintrittsexam."
Überrascht weiteten sich ihre Augen. "Damals? Das ist doch mittlerweile ein halbes Jahr her. Du willst mir erklären, dass du trotz der Aktivierung deine Kräfte bändigen konntest? Als ich sie das erste Mal aktiviert habe, habe ich diesen Raum hier zerfetzt und drei Rudelmitgleider krankenhausreif geschlagen. Diese Selbstbeherrschung muss man wirklich anerkennen."
Ich spürte meine Augen vor Begeisterung aufleuchten. "Kannst du mir dann nicht lieber zeigen, wie man sich verwandelt? Ich konnte mich bis jetzt immer nur berherrschen, da mich Leon aufgehalten hat, aber ich müsste das nun alleine lernen. Außerdem wollte ich mich schon immer mal in einen Nagual verwandeln. Das sieht unglaublich cool aus!"
Ich fühlte mich, wie ein kleines Kind, das sich auf Weihnachten freut, aber das spielte nun keine Rolle. Jiaki lachte auch nur leicht darüber und nickte anschließend. "Meinetwegen. Du bist so scheiße im Nahkampf, da bringt ein bisschen Prügel auch nichts." Mit einem sanften Lächeln reichte sie mir ihre Hand und ich wusste, dass sie mir dieses Mal nichts antun wird.
Und als ich ihre Hand berührte, verspannte sich keiner ihrer Muskeln. Sie wollte mich wirklich nur hochziehen. Aber das war nicht mein Plan.
Just in dem Moment, in dem ich etwas mehr Stand hatte, zog ich ihren Arm herunter und schleuderte sie über meine Schulter auf den Boden, als sie überrascht zu taumeln begann. Doch das war nicht genug. Anstatt sie loszulassen, damit sie auf den Boden fiel, verstärkte ich meinen Griff um ihre Hand, drehte mich zu ihr und trat ihr, wie sie es vorhin bei mir getan hat, ebenfalls gegen den Brustkorb.
Da ich aber nicht so stark war, wie sie, rutschte sie nur etwas zurück, aber brach zusammen. Keuchend presste sie ihre Hand gegen die Brust. "Du bist wie ein Fuchs." Verwirrt beobachtete ich meine Schwester, die versuchte aufzustehen, bis ich bemerkte, wie ungünstig ich sie geschleudert hatte. Ihr Fußgelenk starrte in eine anatomisch inkorrekte Richtung, was sie zum Zusammensacken brachte. "Du bist gerissen, beobachtest genau und trickst dann deine Gegner aus, vorzugsweise mit ihrer eigenen Technik." Meine Schwester hob ihren Kopf und starrte mich mit grün und rot leuchtenden Augen an. "Es wird mir eine Ehre sein, dich zu unterrichten, Schwesterchen."
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If I hadn't met you
Hombres LoboVerstehst du denn nicht, dass es die einzige Chance ist? Töte ihn und ich komme zurück. Töte ihn und ich kümmere mich um das Rudel. Töte ihn und wir werden diesen Feind ein für alle mal los. Es spielt jetzt auch keine Rolle mehr... auch wenn er dein...