Kapitel 42

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Erschöpft hob ich meinen Kopf und erblickte Isabelle, wie sie mit einer wunderschönen Frau das abgelegenes Zimmer, das sie zuvor aufgesucht hatten, verließen. Ich wusste zwar nicht so genau, wer sie war, aber die Art und Weise, wie die Frau Isabelle betrachtete, ließ mich darauf schließen, dass das ihre Mutter war. Aber sie sahen sich nicht unbedingt ähnlich, aber das hätte ich auch von Leonard und Olivia behaupten können. Die beiden waren Zwillinge und auch wenn es zweieiige Zwillinge gab, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die beiden wirklich Zwillinge sind.
"Es wird schon alles gut." Flüsterte mir eine tiefe und vertraute Stimme zu. Ich wollte ihr glauben, aber ich konnte nicht. Leonard war verschwunden, Olivia wurde vermutlich entführt und Christopher war immer noch nicht zurück. Keiner konnte sicher sein, dass sie noch lebten und diese Ungewissheit fraß sich in mein Herz.
Doch trotz meiner Bedenken nahm ich seine Hand und schaute zu Shang hoch. Seine braunen Augen hatten einen dunklen Ton angenommen. Ich erkannte den hitzköpfigen Jungen von damals nicht wieder, der sich mit Isabelle ausgelassen sexuelle Witze an den Kopf warf, der mit Leonard Schimpftriaden über das dreckige Geschirr führte und sich mit Olivia Wettkämpfe der Beleidigungen lieferte. Er wirkte viel erwachsener und ruhiger, als ich es kannte und es war angenehm so eine Konstante an seiner Seite zu haben.
Doch als es für einen Moment still war und ich mich auf die verschiedenen Herzschläge des Hauses konzentrieren konnte, wurde die Tür aufgerissen und eine große Gestalt stand vom strömenden Regen getränkt in der Tür. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es angefangen hatte zu regnen und ich wusste auch nicht, warum ich mich automatisch von der Treppe erhob. Ich wusste nicht mal, wer in der Tür stand.
"Willst du dich endlich entschuldigen?" Eine weitere große Gestalt drängelte sich ungeduldig an der Durchnässten vorbei und warf Isabelle einen flüchtigen Blick zu.
Doch der große Mann zögerte. "Ich meine es so, wie ich es gesagt habe und ich bin nicht hier, um mich zu entschuldigen, sondern um euch die Wahrheit zu sagen. Die vollständige Wahrheit, ohne euch etwas zu verheimlich oder etwas auszulassen."
Und als dieser Mann das Zimmer betrat, erkannt ich auch, warum ich mich erhoben habe. Dieser Mann war ein Alpha. Seine bloße Anwesenheit ließ mich erschaudern und mich Respekt zollen. Ich wusste zwar, wie Christopher Whitenight seine Autorität zeigte, aber dieser Mann musste mich nicht mal bedrohen und ich hatte schon Angst vor ihm. Das war also die Kraft und Präsenz eines erfahrenen Alphas.
"Bist du dafür bereit, Maximilian?" Ernst starrte das Alphatier nach oben und als auch ich meinen Kopf in die Richtung drehte, entdeckte ich Maximilian und eine rothaarige junge Frau. Als diese Frau in das Haus platzte, hätte ich beinahe vor Schock aufgeschrieen, da auch ihre Präsenz den Raum erfüllte, dass ich mich auf den Boden werfen wollte. War das die Art von Alphafamilie, der man aus dem weg gehen sollte?
Maximilian nickte nur leicht und schlurfte etwas träge die Treppe hinunter. Und als er so die Treppe hinunterkam, beobachtete ich ihn und die junge Frau. Sie trug eine dicke Brille, die ihre grauen Augen größer wirken ließ und die Art, wie sie den jungen Wolf beobachtete, sprach von reiner und unverfälschter Liebe. Seine grünen Augen dagegen wirkte leer und verloren. Was hatten die Beiden besprochen, was diesen energiereichen und lebensfrohen Wolf so brach?
Aber ich konnte nicht darüber nachdenken, da Shang meine Hand griff und mich in unser Wohnzimmer zog. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Zeiten, in denen die Zwilling, Isabelle und ich auf Shang warteten, der bei Whitenight war, um ihn anschließend nach Hilfe bei den Hausaufgaben zu fragen. Später kamen dann auch noch Maximilian, Alex und Lawrence vorbei und wir alle zwangen Shang uns ein Abendmahl zu kochen, was er letztendlich nach viel Protest auch tat. Es waren ausgelassene Tage und unser größtes Problem war nur das rechtzeitige Aufstehen. Aber das hatte sich alles geändert.
Wenn ich mich jetzt umsah, konnte ich mir die ausgelassene Stimmung nicht mehr vorstellen. Shang saß angespannt hinter mir und hielt krampfhaft meine Hand, als könnte ich jeden Moment weggerissen werden. Isabelle hatte sich aufgelöst in Maximilans Armen geworfen, welcher sie verzweifelt hielt und ich konnte mir nicht vorstellen, was diese lebhaften Geister so brach. Die wunderschöne Frau stand mit Armen verschränkt hinter diesem Alpha und beobachtete uns aus wachsamen Augen, während sich das rothaarige Mädchen und die andere große Gestalt, welche von der Gesichtsstruktur Olivia stark ähnelte, ebenfalls auf die Couch niederließen.
Doch ehe der Mann anfangen konnte, uns etwas zu offenbaren, richtete sie Isabelle wie eine Salzsäule auf und riss ihren Kopf in jede erdenkliche Richtung. "Wo ist Christopher? Wir können nicht ohne ihn beginnen!"
Entgeistert starrte der Mann zu ihr. "Du meinst den Whitenight-Burschen? Was sollte ihn unsere Familienangelegenheit angehen?"
"Wenn ich zu dieser Familie gehöre, dann tut er es auch." Und mit diesen Worten stürmte Isabelle aus dem Haus in den strömenden Regen und ließ uns verwirrt und irritiert zurück. Nur die schöne Frau mit den klaren blauen Augen schien zu wissen, was sie vorhatte.

Ich rannte los. Ich war zwar dankbar für meine Familie und liebte sie, da sie immer für mich da waren, aber dort draußen war ein junger Mann, dem das gleiche Blut durch die Adern floss. Ich hielt zwar nicht viel von Christopher Whitenight, aber ich kannte ihn auch nicht. Liv hatte sich zwar immer über ihn beschwert, aber ich hatte sie nie dabei beobachten können, wie sie sich für eine Sache so sehr begeistern oder hineinsteigern konnte, wie bei ihm.
Ich eilte über den Platz und schaute mich panisch um. Die Jäger befanden sich immer noch auf diesem Gelände und ich stand hier im strömenden Regen in der Dunkelheit. Die Kälte zerrte an meinen Kräfte und ich erinnerte mich an den Trainingsausflug von damals. Damals wie heute rannte ich irritiert durch die Dunkelheit und wusste nicht, was ich tun sollte. Aber diesmal war keine Liv hier, die mich hätte beschützen können. Dieses Mal war ich auf mich gestellt.
Ich wusste nicht, wie lange ich rannte, aber irgendwann erreichte ich den Wald, in dem das Blackstorm-Haus immer trainierte. Es roch nach Wald und nassem Hund. Sofort beschleunigte ich meine Schritte und ignorierte Holz und Stein, das meine Haut aufschlitzte. Ich stoppte erst, als ich die Gestalt des jungen Alphas entdeckte.
Christopher Whitenight, mein eigener Cousin, saß zusammengekrümmt im dunkeln Wald und summte eine leise Melodie vor sich hin. Überrascht zögerte ich. Ich kannte diese Melodie. Caliria hatte mir diese vorgesungen, als ich aufgelöst in ihre Arme gefallen bin, aber ich weiß, dass ich sie schon vor ihr kannte, bevor ich von den Blackstorms adoptiert wurde. Diese Melodie stammte von meiner Mutter, meiner leiblichen Mutter. Als ich noch ein Jungtier war, sang sie es mir jede Nacht vor, als ich aus Angst vor meinem Vater nicht schlafen konnte. Es war als eine Melodie, die den Whitenight-Kindern vorgesungen wurde. Das wurde mir schlagartig bewusst.
"Komm mit. Du wirst noch krank." Vorsichtig trat ich an ihn heran und reichte ihm meine Hand. Seine weiße Porzellanhaut hatte eine ungesunde Farbe angenommen und er wirkte sehr kränklich, was für einen starken, jungen Alpha ungewöhnlich war. Doch als ich noch näher an ihn herantrat, schüttelte er nur seinen weißen Kopf.
"Ich werde nicht zurückkehren, wenn ich sie nicht gefunden habe." Seine tiefe Stimme ließ mich erschaudern und mir war bewusst, dass er mit seiner Alphastimme sprach, aber aus irgendeinem Grund affektierte es mich nicht so stark, wie ich es in Erinnerung hatte. Und als ich nicht von der Stelle wich, riss Christopher seinen Kopf in die Höhe und starrte mich mit rot leuchtenden Augen an. "Verschwinde, Reddinson! Was ich mache, geht dich gar nichts an!"
Mein erster Gedanke war 'Lauf!', aber ich zwang mich, mich nicht zu rühren. Trotz der Dunkelheit konnte ich seine weißen Reißzähne fletschen sehen, aber ich musste hier bleiben. Für ihn. Für mich. Für Liv. "Es geht mich sehr wohl etwas an. Du und Liv, ihr seid meine Familie und ich werde nicht mitansehen, wie ihr euch zerstört. Wenn du weiterhin hier draußen wartest, wirst du noch sterben und damit wäre keinem geholfen. Ich bin genauso an ihrem Verschwinden schuld wie du und ich werde alles dafür geben, sie wieder zu finden. Jetzt zeig mir, dass du ein wahrer Alpha bist, der mit dieser Kraft geboren wurde und setz dich in Bewegung!"
Mir war durchaus bewusst, dass das auch meinen Tod hätte bedeuten können, wenn ich mich so vehement gegen einen Alpha stellte, aber ich wollte nicht aufgeben. Meine goldenen Augen würden ihn mit Sicherheit nicht einschüchtern, aber Leuten wie Christopher muss man zeigen, dass man ihm nicht alles durchgehen lassen kann. Man muss auch mal standhaft sein und wenn das bedeutete, einen Schlag eines Alphas einzufangen.
"Ich bin nicht deine Familie." Überrascht trat ich einen Schritt zurück. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser gebrochenen Stimme, die vor Schmerz aufzuschreien drohte.
Vorsichtig hockte ich mich hin. "Doch das bin ich." Leicht berührte ich seine Wange und hob seinen Kopf in meine Richtung. "Einsamkeit ist eine furchtbare Strafe. Liv hätte sich das bestimmt nicht für dich gewünscht, also reiß dich zusammen und komm mit mir." Christopher war ein gebrochener Mann. Er war von Einsamkeit geplagt und hatte nichts und niemanden. Diese Fassade des starken Alphas konnte er in Momenten wie diesen nicht aufrecht halten. Aber ich wollte ihn nicht mehr so sehen. Er war meine Familie und ich muss für ihn da sein.
"Warum tust du das für mich?" Der Regen war zwar laut, aber ich war mir sicher, dass er das gehaucht hatte. Seine Augen wirkte so leer und verlassen, als der Goldton zurückkehrte und es brach mein Herz, einen Alpha, der erst zwanzig Jahre zählte, so am Boden zu sehen. Er war noch so jung.
"Weil ich Katharinas Tochter bin und sie für ihre Familie auch alles getan hätte."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt