Kapitel 102

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"Trink das. Es beruhigt den Geist." Eine schneeweiße Hand kam in mein Sichtfeld. Zögernd hob ich meinen Kopf und starrte dem Mann dieser Hand in seine blauen Augen. "Was ist? Willst du es nicht?" Leicht drückte er mir das heiße Getränk in die Hand. Widerwillig nahm ich es an und setzte es auf meinem Schoß ab.
"Sie sind also Jason Whitenight?" Ich senkte meinen Blick und starrte in das dampfende Getränk. Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. Er hatte mich vor Zolin gerettet, aber die Tatsache, dass ich trotzdem mit diesem Nagual gefangen war und dass Lord Whitenight praktisch aus Licht bestand, beunruhigte mich.
"Das bin ich. Du kannst mich ruhig Jason nennen. Wir sind hier nicht so. Du kannst mich auch duzen. Die Darachs haben keinen Stock im Arsch, also musst du dich nicht zieren." Er setzte sich neben mich und lehnte seinen Kopf an die Wand hinter uns.
Nachdem er Zolin aufhalten konnte und mich aus dem Kerker zog, hatte er mich in ein Zimmer im Hybridengang gesetzt. Ich wusste nicht, was er vorhatte, aber im Moment war mir alles lieber als Zolin oder Jiaki.
"Warum haben sie- warum hast du das getan?"
Jason starrte mich von der Seite an. "Was meinst du?"
"Mich gerettet."
Seine Hand fuhr in die Höhe, was mich zusammenzucken ließ. Ich wollte nicht, dass er mich berührte. Zögernd ließ er von mir ab. "Ich wollte nicht, dass Zolin wieder einem Kind etwas antut."
Es war vermutlich ein Fehler, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich bereute es sofort, nachdem die Worte meine Lippen verlassen haben. "Du hast doch selbst junge Mädchen vergewaltigt. Solltest du nicht lieber über deine eigenen Taten nachdenken?" Schockiert ließ ich die Tasse fallen und schlug mir meine Hand vor meinen Mund.
"Olivia!" Schockiert sprang er auf und riss sich sein Oberteil vom Leib. Ich konnte mich aus Schock nicht bewegen, aber ich konnte trotzdem genau sehen, wie er das zerbrochene Glas beiseite wischte und die heiße Flüssigkeit von meinen Beinen wischte.
Zögernd wollte ich ihm ausweichen, aber er packte nur meine Beine und wischte mit seinem Oberteil die Flüssigkeit weg. "Was machen sie da?"
"Du verbrennst dich noch!"
Ich hob meine Augenbrauen und stieß ihn von mir. "Ich bin eine Chimäre. Meine Regeneration ist schon so weit, dass ich so etwas heilen kann." Ich stand auf und zeigte auf meine nackten Beine. Leonard hatte keine Wechselsachen für mich und nachdem ich zur Basis gebracht wurde, wollte ich mich umziehen. Er hatte nur eine seiner Shorts zur Verfügung, die ich trotzdem dankend annehmen konnte. "Sieh nur." Ich drehte micht etwas und bewies dem ehemaligen Alpha der weißen Wölfe, dass ich keine Brandverletzungen davontrug.
Langsam ließ Jason sein Oberteil sinken und atmete erleichtert aus. "Gott sei dank." Wieso war er besorgt, ich könnte mich verletzen? "Hör mal." Unbehaglich stand er auf und warf das nasse Oberteil beiseite. "Christopher hasst mich und das kann ich auch vollkommen verstehen. Ich habe ihn von seiner Mutter gerissen und die meiste Zeit alleine gelassen. Er hat sehr schlimme Verlustängste entwickelt und ich weiß, dass es meine Schuld ist. Vermutlich glaubt er, er würde nur leben, damit ich ihn zu meiner Marionette machen könnte, aber das stimmt nicht. Er ist mein Sohn und ich habe seine Mutter nie vergewaltigt. Jede Frau, die jemals mit mir geschlafen hat, hatte zuvor eingewilligt. Ich bin nicht wie Zolin. Das musst du mir glauben."
"Warum sollte es für dich eine Rolle spielen, was ich glaube? Ich bin ein Blackstorm und du bist ein Whitenight. Wir sind verfeindete Familien. Sollte es nicht dein Plan sein, uns auszulöschen? Du konntest meine Mutter nicht leiden und hast meinen Vater gehasst. Wieso solltest du mich nicht auch verachten?"
Jason starrte mich an. Ich konnte wirklich nicht sagen, an was er dachte, aber seine Augen wirkten zu einem weit entfernten Ort zu starren. "Du bist eine Verbündete." Sagte er langsam. "Wir vertrauen dir zwar nicht, aber das bedeutet nicht, dass du uns ebenfalls nicht vertrauen solltest."
"Was ist das für eine Logik?"
"Unsere." Schwerfällig erhob er sich. "Es ist schon spät. Du solltest schlafen gehen." Und mit diesen Worten drehte er sich um und wollte gehen.
"Warte!" Ich sprang auf und griff nach seinem Handgelenk. "Was habt ihr mit der Allianz getan?" Er hatte davon gesprochen, er würde ein Drittel auslöschen wollen. Ich verachtete dort zwar alles, aber das bedeutete nicht, dass ich sie tot sehen möchte.
Erneut schwieg er. "Sie leben noch." Was bedeutete das? Wie kann man seinen Feind auslöschen und gleichzeitig am Leben lassen? Was ist das für eine Logik? Wieder wollte er umdrehen und gehen, aber diesmal stoppte er von alleine. "Halte dich lieber von Leonard fern. Er mag in den ersten Moment wie ein Engel wirken, aber er wurde von Zolin großgezogen. Er ist manipulativer als die meisten hier und würde nicht davor zögern, alles und jeden auszulöschen. Du darfst ihm auf gar keinen Fall trauen. Alles, was er sagt und tut, ist nur zu seinem Vorteil. Traue ihm nicht."
"Und dir soll ich eher trauen? Woher soll ich wissen, dass du nicht auch lügst?"
Jason verkrampfte sich, aber ließ schnell wieder locker. "Das kannst du nicht. Du kannst mir nicht trauen oder darauf hoffen, dass meine Worte der Wahrheit entsprechen. Ich kann dich auch mit nichts überzeugen, daher sage ich es so: Vertraue keinem. Nicht mal dir selbst." Und mit diesen Worten verließ er mein Zimmer.
Er war ein komischer Mann. Mir wurde immer erklärt, er sei ein skrupelloser Mann, der immer auf Streit aus sei. Aber als er sich um meine Verbrennungen gesorgt hat, konnte ich nichts davon sehen. Ich wollte mich zwar auf Leonard einlassen, da ich nur einen Mann an meiner Seite haben wollte, aber Jason hatte recht. Statt Mictlan wurde Leonard wie Zolins Sohn erzogen. Ich durfte ihm nichts glauben. Was wohl alles gelogen war?
Grübelnd legte ich mich auf den nackten Boden. Es war nicht sonderlich angenehm, aber ich war sehr müde. Ich hatte keine Minute geschlafen und es ist so unglaublich viel passiert. Was wohl in nächster Zeit auf mich warten wird? Mich würde mal interessieren, was der Plan der Darachs und Hybriden sein wird, sollte das Gen entwickelt worden sein. Ich kann mir vorstellen, dass die Naguals mit ihren Verbündeten die Welt in Flamme sehen wollen. Jedenfalls war es das, was ich in Zolins Augen gesehen habe. Jason war mir dagegen ein Rätsel. Ich konnte nicht sagen, ob ich ihm vertrauen könnte oder ob er irgendeinen Masterplan hatte.
Wer wohl der Dritte König war. Er soll ein Darach sein, der nicht die gleichen Ideale wie der Redt hat. Obwohl- das ist das, was Leonard behauptet hat. Ich kann ihm nicht trauen. Weiß ich überhaupt irgendwas von meinen neuen Verbündeten?
Ich grübelte noch eine ganze Weile, bis ich letztendlich in einen unruhigen Schlaf versank. Ich hatte gedacht, mit meinem alten Leben abschließen zu können, aber als ich meine Augen schloss und in einer Traumwelt versank, konnte ich meine alten Freunde vor mir sehen. Ich träumte von Jayden, wie er mit Marco am Rand saß und Shang und Alex beim Kämpfen beobachtete. Marco hatte davon geschwärmt, wie gut Shang doch aussehe. Jayden Archer war davon etwas überrumpelt und hatte gemeint, er solle nicht neidisch sein, da er ebenfalls ein attraktiver junger Mann sei. Marco hatte nur gelacht und gesagt: Ich bin nicht neidisch, Archer. Ich bin gay.
Solche einzelne Moment fühlten sich jetzt schwer in meinem Herzen an. Ich wollte mehr glückliche Erinnerungen mit ihnen teilen, aber ich hatte sie verlassen, da sie schlecht für mich waren. Sie hatten mich alle belogen, verraten und Dinge vor mir verheimlicht. Obwohl Shang immer abweisend wirkte, war er dennoch ein wunderbarer Mensch. Er brachte mich immer zum Lachen, auch wenn ich manchmal glaubte, er macht gar keine Witze. Er ist eigentlich nur unglaublich gemein und unhöflich, aber er kommt mit allem durch, weil wir glauben, er würde Witze reißen.
Als mir Auralia die Kontrolle über meinen Körper genommen hatte, damit ich mir aufgrund des Alphafluchs nichts antue, hatten wir sehr viel Zeit. Isabelle besuchte mich erschreckend oft, da sie immer wieder von Christopher beim Training verprügelt wurde und Shang war auch verdammt oft da, da er immer an Marco klebte. Marco wollte dann Kiss, Marry, Kill spielen. Die Personen für Shang waren Isabelle, Alex und Lawrence und aus irgendeinem Grund hat er mich getötet. Ich war nicht mal Teil des Spiels gewesen.
Ich dachte gerne an solche Momente zurück, da sie zwar kurz waren, aber man sich ausnahmsweise mal wie ein normaler Teenager fühlen konnte. Ich versank weiter in meinen Träume, die eigentlich nur Erinnerungen waren. Ich wusste, dass ich vermutlich weinend aufwachen würde, aber es war wichtig, dass ich ein letztes mal an sie dachte. Wenn ich morgen aufwachen werde, lasse ich sie hinter mir. Ich werde mich den Darachs voll und ganz hingeben und nie wieder an solche Momente denken.
'Was habt ihr getan?' Hatte Max besorgt geschrien, als Lawrence und Shang klitschnass im Krankenzimmer angekommen sind.
'Lawrence ist meinem Charme verfallen.' Berichtete Shang stolz.
Lawrence dagegen ging nur genervt an ihm vorbei und warf sich auf den Boden. 'Ich bin nicht dir verfallen, ich bin die Brücke heruntergefallen.'
Ich würde solche Gespräche definitiv vermissen, aber nicht nur die. Als Christopher das gehört hat, hatte er unglaublich unbeschwert angefangen zu lachen. Ich fand es zwar kitschig, aber sein Lachen war wundervoll. Mein Herz hatte sich noch nie so leicht angefühlt, als ich meinen Mate das erste mal wirklich glücklich gesehen habe. Ich konnte damit überhaupt nicht umgehen, weshalb ich ihn nur mit meinen kraftlosen Armen wegdrücken wollte und dabei gerufen habe: Verpiss dich von hier. Wir wollen doch nicht, dass ich auf die Idee komme, du würdest dich wirklich um mich sorgen.
Wenn ich jetzt daran dachte, wünschte ich mir, er würde es ernst meinen. Ich würde es zwar immer noch abstreiten, aber ich wollte von Christopher wieder gehalten werden. Er hatte sich immer, ohne dass ich fragen musste, um mich gekümmert und war an meiner Seite. Wenn er mich nicht verraten und die Nachricht versteckt hätte, würde ich alle Mittel nutzen, ihn zu mir zu holen, aber er hat mich belogen und betrogen, obwohl er mir versprochen hat, das niemals zu tun.
Ich wollte meinen Mate, aber mein Mate war nur ein Lügner wie jeder andere der Menschen, von denen ich geträumt habe. Es war genug. Ich hatte genug. Es war vorbei. Diese Momente waren nur Erinnerungen an eine vergangene Zeit, die nicht mal echt war. Es ist vorbei.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt