Kapitel 72

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Ich lief so schnell ich konnte, nachdem ich außer Sichtweise der beiden Erben war, Yako Watanabe und Henry Beaumon. Es ging mich zwar nichts an, aber mich würde mal interessieren, welche Beziehung die beiden pflegten, da es mich sehr verwirrte. Sie empfanden aber eine sehr intensive Emotion für den anderen. Aber war es Hass oder Liebe? Verachtung oder Leidenschaft? Oder gar beides? Ich wusste es nicht.
Aber das spielte nun auch keine Rolle. Ich musste so schnell wie möglich zu Marco, da ich ihn kämpfen sehen wollte. Wenn er sich immer noch nicht verwandeln kann, dann muss er im Nahkampf unterrichtet worden sein und von meiner Schwester habe ich erfahren, dass Tyra die beste darin ist. Meine Schwester ist schon sehr gut und kann ohne viel Kraftaufwand eine ganze Schar von ausgebildeten Gestaltwandlern überwältigen. Das konnte ich an einem frühen Wintermorgen erleben, als ich die Fähigkeiten meiner Schwester anzweifelte.
Sie nutzte keinerlei Nagual-Kräfte und konnte die Elitekämpfer der Kitsunes und Kojoten mit leichterhand besiegen. Sie war ein Meister des Martial Arts und ich konnte von ihr lernen. Doch als ich sie fragte, ob sie jemals besiegt wurde, meinte sie nur eines zu mir. 'In einem ehrlichen Zweikampf habe ich oft verloren, aber nur gegen eine einzige Person. Es war immer dieselbe und das, obwohl wir denselben Lehrmeister hatten. Der Name unseres Lehrmeisters war Theodor Kyle und seine Tochter, Tyra, war die einzige Person, die mich jemals besiegen konnte.'
Ich würde von mir selbst behaupten, sehr geschickt geworden zu sein. Natürlich fehlt mir noch sehr viel Erfahrung in einem richtigen Kampf oder gegen andere außer Jiaki, aber an sich würde ich mich als sehr geschult bezeichnen. Wenn es aber dort jemanden gibt, der die letzte Zeit nur damit verbracht hat, Martial Arts zu erlernen und nicht, wie ich, auch noch Wolf und Jaguar trainieren musste, dann kann ich mir vorstellen, dass es eine richtige Bestie geworden sein muss. Wir Wölfe sind sehr schnelle Lerner. Wir brauchen nicht Wochen, um eine Technik zu meistern, da wir von Natur aus eine sehr konkrete Kontrolle über unseren Körper besitzen und wir jeden Muskel somit richtig trainieren können.
Ich beschleunigte meine Schritte, als ich begeisterte Rufe und Jubel hörte. Der Kampf muss schon angefangen haben. Erfreut hob ich meinen Kopf, als ich den Platz sah, um den sich viele Personen versammelt haben, doch dann wurde es plötzlich schwarz.
Eine Gestalt in schwarzer Kleidung flog direkt auf mich zu und nur durch die Aktivierung meines Jaguars konnte ich noch rechtzeitig ausweichen. Überrascht duckte ich mich unter ihn hinweg und drehte mich sofort um. Der junge Mann flog noch ein Stück und als er auf dem Boden aufkam, wurde er durch den Druck noch einige Meter durch den Dreck geschleudert, ehe er gegen ein Zelt knallte und endlich stehen blieb.
Schweratmend erhob er sich und schenkte mir einen furiosen Blick durch seine flammenden Augen, die wie ein unkontrollierbares Feuer wirkten. "Was guckst du denn so?" Fauchte er mich an und rappelte sich schwerfällig auf.
Was hätte ich denn sagen soll? Ja, du bist eben auf mich zugeflogen und ich wollte nur wissen, warum ich fast verreckt wäre. Danke der Nachfrage.
"Sie schaut nur ein kleines Opfer an." Plötzlich erschienen zwei starke Arme um meiner Taille und zogen mich an einen harten Oberkörper.
Verwirrt spannte sich alles in meinem Körper an. Diese Stimme und dieses Auftreten! "Marco?" Verwirrt riss ich meinen Kopf in die Höhe, um den jungen Mann hinter mir irgendwie seitlich ansehen zu können. Und tatsächlich stand dort Marco Silverstone mit einem überlegenen Lächeln. Seine grauen Augen zeigten keinerlei Unsicherheit und auch sonst wirkte er sehr selbstbewusst.
"Keine Sorge, Liv. Dieser Typ wird sein Maul nicht mehr aufreißen. Wer von einer kleinen zierlichen Bitch in High Heels durch die Gegend getreten wird, sollte nicht allzu eingenommen von sich selbst sein." Ich starrte Marco perplex an. Was ist passiert?
Ich hörte nur ein Schnauben und ging davon aus, dass sich der junge Fuchs zurückzog. Ich konnte mir das nicht anschauen, da Marco einfach... was ist passiert? "Marco, du-"
"Tut mir leid." Er senkte leicht seinen Blick und schaute mir direkt in die Augen. Das Überlegene verschwand und seine Augen nahmen einen liebevollen Ausdruck an. "Der Typ sollte aber mal lernen, sich angemessen zu verhalten. Er befindet sich immerhin in einem fremden Land und beleidigt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Jedenfalls..." Er beendete seinen Satz nicht, sondern drehte mich in seinen Armen um, bückte sich leicht und nahm mich sofort in den Arm, als ich zu ihm gedreht war.
Das war der Marco, den ich kannte. Seine liebevolle und zuvorkommende Art hatte mir gefehlt. Natürlich würde ich den kleinen unsicheren Wolf vermissen, aber dieses neue Ich hatte auch etwas an sich.
Ich erwiderte sofort die Umarmung und genoss den vertrauten Geruch einer Person, der ich mein Leben anvertrauen würde. Ich hatte zwar seinen Kampf verpasst, aber die Art und Weise, wie der Fuchs geflogen ist, erinnerte mich an mich. Am Anfang hat mir Jiaki auch immer und immer wieder gegen den Brustkorb getreten und ich bin daraufhin durch das gesamte Zimmer gefolgen. Ich kannte diesen Angriff, aber bei Marco wirkte er bei weitem kräftiger. Jiaki schonte mich nicht, nur weil ich ihre Schwester war und Marco hatte diesen Typen vermutlich schon verschont. Ich fliege nur wenige Meter, doch dieser Fuchs flog beinahe über den gesamten Platz, der sich über viele Quadratmeter erstreckte.
Marco würde ich mittlerweile mein Alles anvertrauen und er würde es ohne Zweifel beschützen.
"Wo ist Shang?" Murmelte ich in seine Brust. Er ist sehr kräftig geworden und das spürte man auch. Er hatte nun vermutlich nicht mehr diesen weichen und zarten weiblichen Körper, aber er würde mit Sicherheit immer noch in einem Kleid hervorragend aussehen.
Vorsichtig löste er unsere Umarmung und schaute sich suchend um." Es sollte nicht schwierig sein, ihn zu finden." Ein Schrei unterbrach seine Überlegungen und sofort folgte dem ein Knall. "Da ist er ja." Lachend streckte Marco seinen Finger aus und zeigte in die Richtung, in der sich sein Freund befinden sollte.
Und tatsächlich konnte ich Shang mit seinem schwarzen Kopf erkennen. Seine Haare sind etwas gewachsen und mit diesem unordentlichen Zopf ähnelte er James in gewissen Maßen. Aber sein Verhalten sprach wiederum gegen deren Ähnlichkeit. "Ich mach euch alle fertig! Will noch jemand? Traut sich jemand? Kommt ruhig her! Kojoten! Wölfe! Füchse! Alle auf einmal! Immer her damit! LOS!" Mit einer gewissen aggressiven Art packte er einen Jungen, der vortrat, am Bein und schleuderte ihn in eine beliebige Richtung. "KOMMT SCHON!"
Etwas verängstig schaute ich wieder zu Marco, doch der wirkte tiefenentspannt. "Wenn du jetzt denkst: Mann, ist der aggressiv geworden. Ja, ja das ist er. Das verdanken wir Jayden Archer. Er hat etwas in Shang aktiviert, das seine unterdrückte Wut an die Oberfläche brachte und nun lebt er es aus. Keine Sorge, er ist immer noch der gleiche Schelm in den anderen Bereichen, aber im Kampf... du kannst es ja sehen."
Ich nickte gedankenverloren. Ich habe letztens ein Gespräch mitbekommen, in dem Thomas und Henry sich darüber stritten, wer Alexandra Williams als Kommandanten erhalten dürfte. Ich freute mich für sie in diesem Moment, aber wenn ich mir so ansehe, was aus den anderen geworden ist und wenn ich daran denke, dass nur Alex das Angebot erhalten hat, muss das bedeuten, dass sie um Längen besser ist als Shang und Marco. Und das schockierte mich.
War das dann immer noch ein ausgeglichener Kampf mit den Darachs? Sie waren zwar gut darin, alles von sich zu verbergen und im Schatten zu kämpfen, unentdeckt und heimlich, aber ein direkter Kampf mit dieser Allianz sollte ein direktes Ergebnis erzielen. Wir hatten doch noch Hoffnung und wenn Christopher freigelassen wird, haben wir einen geborenen Alpha auf unserer Seite. Aber war der Sieg wirklich so sicher?
"Und was ist mit Lawrence?" Fragte ich schließlich und wandte meinen Blick von der Umgebung ab. Ich würde Alex vermutlich nicht finden. Aber sie war nun mal die Freundin von Lawrence und ich habe ihn schon mal kämpfen sehen. Wenn er nicht eine ähnliche Kampfkraft wie Shang hat, wäre ich sehr schockiert.
"Er ist..." Marco kratzte sich am Hinterkopf und schien die passenden Worte nicht zu finden. Früher lagen seine Haare immer glatt und geordnet auf seinem Kopf, aber jetzt hingen sie nur noch locker in seinem Gesicht. "Sagen wir's, wie es ist. Er ist eine Niete. Ein hoffnungsloser Fall. Irgendwas blockiert ihn und er kann nicht richtig kämpfen, aber das ist ihm selbst bewusst. Er würde ja nicht mal einer Fliege etwas antun."
Ich reagierte nicht. Vermutlich, weil ich mit einer ähnlichen Antwort irgendwo schon gerechnet habe, wenn man mal genauer darüber nachdachte. Er war der Erbe der Morgans und somit sehr gefürchtet. Wenn er dann auch noch kämpfen könnte, hätten die jungen Wölfe aus Lupus Luna ihn so lange aus allem geekelt, bis er die Schule verlassen hätte. Eine traurige Wahrheit und nun kann er nicht richtig kämpfen. Außer...
"Warte mal. Ich habe eine Idee." Voller Elan drehte ich mich zu dem Platz, an dem noch die ganzen Gestaltwandler standen und auf einen weiteren Kampf warteten. Lawrence und Shang waren gut miteinander befreundet. Sie gehörten zu den ältesten unserer Gruppe und irgendwie war Lawrence unsere besorgte Mutter und Shang der storrische Vater. Wenn Jayden Archer irgendwas getan hat, das Shang seine Wut fühlen ließ, wird das mit Sicherheit kein harmloses Streicheln gewesen sein. Jayden muss Shang irgendwas angetan haben und Lawrence schien ihn deshalb oder aus anderen Gründen nicht leiden zu können, obwohl er unserem geliebten Lehrer James sehr ähnelte.
Deshalb packte ich Jayden Archer an einem Arm und zerrte ihn auf die Fläche in der Mitte und erhielt dafür ein gespanntes Jubeln, das mit Knurren und Fauchen gemischt war. Dann rannte ich zu Lawrence, der sich etwas abseits auf einen Baumstumpf gesetzt hatte und zog ihn ebenfalls in die Mitte. Er war zwar sehr verwirrt, sagte aber nichts und ließ sich ziehen.
Dann klatschte ich in die Hände, als ich zwischen den beiden stand, und schaute mich einmal genau um. Die Masse bestand aus vielen Füchsen, was ich an deren permanenten roten Augen sehen konnte, aber auch aus Wölfen und Kojoten. Ich fragte mich, wie es bei Thomas und der Ausbildung unserer Rudelmitglieder lief.
"Lawrence." Ich rief seinen Namen, wie ich Rudelmitglieder rief, die einen schrecklichen Fehler begangen haben, was ihn sofort aufschrecken ließ. Mit großen Augen starrte er mich an. "Ich weiß, dass du niemals einfach so kämpfen würdest." Ich verschränkte meine Hände hinter meinem Rücken und drehte mich von ihm weg. "Du würdest nicht mal kämpfen, wenn es um dein eigenes Wohl oder Leben gehen würde." Ich hörte verschiedene Reaktionen in der Masse, aber alle schienen sich dagegen aussprechen zu wollen. Ich hörte den Geist der Masse rufen: Kämpfe und leben! Du hast jedes Recht dazu, also tu es auch! "Deshalb habe ich beschlossen, eine neue Methode auszuprobieren."
Unsicher kam Lawrence etwas näher. "Olivia, was hast du vor?"
"Ich nenne diese Methode sehr waghalsig, aber das ist es mir wert." Ich stand nun vor Jayden und starrte ihn direkt an, während ich zu Lawrence sprach. "Jayden Archer!" Ich sprach, soweit es mir mein Körper zuließ, mit meiner Alphastimme einen Befehl aus, den alle schockiert die Luft anhalten ließ. "Ich befehle dir, mich mit deinem tödlichen Biss zu beißen und niederzustrecken. Los!"

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt