"Damn girl, was machst du denn hier alleine?" Ein Kopf erschien im Türspalt des Zimmers. Ich hatte die Tür wohl nicht richtig verschlossen.
"Verschwinde, Leonard." Ich vergrub mein Gesicht wieder in meinen Knien. Ich wollte mit niemandem mehr reden. Zolin konnte sich auch nicht einmal zurückhalten und mich in Frieden leben lassen, oder?
"Was wollte Levi von dir?" Mein Bruder stieß die Tür auf und wartete auf eine Antwort, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass ich ihm alles erzählen würde. Wir sind vielleicht Blutsverwandte, aber ich traute ihm nicht.
Trotzdem brachte mich seine lockere Haltung dazu, ihm die Wahrheit zu sagen. "Sie haben Christopher entführt und zu mir gebracht. Ich habe versucht, mich von ihm zu lösen, aber seine Augen machen mich immer noch verrückt."
Eine Weile geschah nichts. Dann hörte ich sanfte Schritte über den Boden gleiten, bis sich Leonard vor mich hockte und mich zwang, ihn anzusehen. Ich starrte ihm in seine blauen und schwarzen Augen, aber konnte einfach nicht verstehen, was er von mir wollte. "Soll ich dich von ihm ablenken? Ich bin dein großer Bruder. Es ist meine Pflicht!"
Ich wollte ihn von mir stoßen, aber als ich ihn wegdrückte und er einfach nur auf den Rücken fiel, mussten wir beide lachen. Etwas widerwillig und mit einem unguten Gefühl im Magen machten wir uns auf den Weg uns... was auch immer er mir zeigen wollte, anzugucken.
"Was willst du mir zeigen?" Fragte ich schließlich, als er nach einer ganzen Weile immer noch schwieg.
"Etwas lustiges." Er zog an meinem Ärmel und führte mich zu der schweren Stahltür, die die Oberwelt der Basis von der Unterwelt und der Arena trennte. "Du kennst doch Jamie, oder?"
Ich dachte angestrengt nach. Meinte er das Mädchen, das mir die Arme ausreißen würde, sollte ich nur ihren Mate angucken oder das Mädchen, das mich grundlos mit meiner Zunge füttern würde? Oder meinte sie das Mädchen, das mir im Schlaf die Augen nehmen und dann als Ohrringe tragen will? Warte, das ist ja alles dieselbe Person! "Ich habe von ihr gehört."
"Sehr gut." Mit diesen Worten stieß er die Tür auf und ein weiteres mal schlug mir der ekelhafte Gestank von Blut und Eisen entgegen. Jedoch war heute irgendwas anders. Irgendwas sorgte dafür, dass sich meine Nägel aufrollen wollten. Irgendwas stimmte ganz gewaltig nicht. "Sie hat einen neuen Gegnern. Sie wollte schon immer gegen ihn kämpfen." Aufgeregt wie ein kleines Kind packte Leonard meine Hand und zog mich an das Gelände der Arena. "Schau nur, wie glücklich sie ist!"
Leicht beugte ich mich über das Gelände, um mir die tiefliegende Arena zu zeigen. Ich erstarrte. Das Blut in meinen Adern war schon lange kein Eis mehr. Es fühlte sich so an, als würde alles zersplittern. Mir blieb die Luft weg. Ich versucht immer wieder einzuatmen, aber keine Luft drang in meine Lunge. Ich versuchte, Halt zu finden, aber als ich nach dem Gelände oder meinem Bruder greifen wollte, stieß ich nur auf Luft.
"Ist ekelhaft, nicht wahr? Du kannst vielleicht keine Panikattacken mehr bekommen, aber dafür hat dir dein Bruder etwas neues geschenkt. Die Darachs haben jedesmal, wenn sie dir Blut abnahmen, auch ein Gegenmittel gegen den Alphafluch gegeben. Das ist der Grund, warum du mich nie leiden gesehen hast und selbst nicht mehr leiden musstest. Diese Auralia Gray ist nicht die Messlatte für die Fähigkeiten der Druiden. Sie ist sogar ziemlich schlecht in dem, was sie tut. Die letzten Tage haben dir die Darachs aber kein Gegenmittel gespritzt. Jeder kleine Schock kann dich somit in einen Zustand unendlichen Schmerzes versetzen. Amüsant, oder?"
Ich fiel fast vorne über, als ich die Worte hörte. Ich verstand schon, was er sagte, aber seine Worte wirkten so unendlich laut, dass mein Schädel dröhnte und es sich so anfühlte, als würde man mit einer Nadel mein Trommelfell zerstechen. Ich konnte mich gradeso etwas zurückdrücken. Leonard packte meinen Nacken und zog mich vom Gelände. Mit diesem Griff drückte er mich auf den Boden. Das tat normalerweise nicht weh, aber durch diesen verdammten Fluch fühlte es sich so an, als würde er mein Genick brechen und als würde der Stein meine Haut abschaben und nur noch offenes und empfindliches Fleisch hinterlassen, das an der kühlen Luft zu gefrieren schien.
"Warum... war-warum tut i-ihr das?" Presste ich heraus, was dafür sorgte, dass mein Hals brannte, als hätte ich glühendes Metall geschluckt.
"Warum? Weil wir dir nicht vertrauen? Du hast dich in den letzten Monaten ziemlich clever angestellt. Hast immer brav das getan, was wir wollte, um unter dem Radar zu bleiben. Wir sind aber nicht so dumm. Wir wissen, dass du uns nicht trauen willst und wir wissen auch, dass wir dir niemals so vertrauen werden wie Mictlan oder mir. Der Fluch hat es bestätigt. Wenn du einer von uns wärst, hättest du nicht reagiert. Du warst aber schockiert und hast Mitleid empfunden, was den Fluch aktiviert hat. Dein eigener Körper hat dich verraten!" Lachend drückte mich mein Zwilling noch weiter zu Boden, was mich vor Schmerz aufschreien ließ.
Ich wusste aber, dass mir keiner helfen konnte. Ich wusste es besser, als jeder andere. Christopher hatte recht. Ich konnte mich auf niemanden sonst verlassen. Ich hatte nur mich und nur ich selbst könnte mich retten. Doch in diesem Zustand war ich nicht dazu in der Lage. Ich konnte nicht nach dem schreien, der mir geholfen hätte. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Schmerz und die Demütigung zu ertragen.
"Schrei, so viel du willst. Keiner wird kommen. Du hast selbst gesehen, dass der kleine Wolf keine Chance gegen Jamie hatte, aber das hatte sie uns bereits gesagt. Es ist lustig, dass du deinen Christopher wiedersehen konntest und Jamie ihren... Marcel? Mario? Markus? Ich hab's Michael! begegnen konnte." Sein Griff verstärkte sich. "Es ist toll, nicht wahr?" Seine Stimme klang angespannt, als er meinen Kopf anhob, um ihn mit Schwung auf den Boden zu donnern.
"Marco." Keuchte ich, als sich nicht mehr alles drehte.
"Stimmt, ihr Bruder heißt Marco. Oder soll ich eher sagen, dass er Marco hieß? Ich bezweifle, dass er lange überleben wird. Sie ist ein verdammt guter Kämpfer und Marco ist nur... ein Niemand, der zufällig das Alphamal erhalten und unrechtmäßig diese Kraft erhalten hat. Selbst wenn er heute überlebt, wird sich diese ganze Tortur nur immer und immer und immer und immer und immer wiederholen, bis er von ihr endlich getötet wird. Hehe." Er kicherte, aber ich hatte das Gefühl, ein Dämon würde auf mir hocken.
"Wieso tut ihr das?" Ich wollte unbedingt, dass mir jemand dieses verdammte Genick nahm. Ich wusste aber auch, dass dieser Schmerz nur in meinem Kopf war. Ich musste dagegen ankämpfen. Ich durfte jetzt nicht die Kontrolle oder das Bewusstsein verlieren!
"Wieso? Oh mein Gott!" Schockiert sprang Leonard auf und rannte um mich herum, um sich vor mir auf den Boden zu legen. "Nicht weinen, Schwesterchen. Weißt du denn nicht, dass es Unglück bringt, Blut zu weinen?" Er fuhr mit seinem Daumen über meine Wange und hatte tatsächlich Blut an der Hand. Hypnotisiert starrte er es an und begann, es abzulecken. Angewidert wollte ich meinen Kopf abwenden, aber er zwang mich direkt wieder, ihn anzusehen. "Ich habe so schockiert aufgeschrien, weil ich nicht wollte, dass du das falsche Bild von uns hast. Bitte glaube nicht, dass wir Marco tot sehen wollen, weil er homosexuell ist. Wir haben rein gar nichts dagegen. Liebe den, den du lieben willst. Wir hatten sogar einen Verbündeten, der sich als weder Mann noch Frau sieht. Sein Name ist Mononoke. Er ist ein komischer Zeitgenosse. Will immer nur kämpfen. Wie öde. Uns ist relativ egal, wen du liebst oder als was du dich identifizierst. Anders als seine komische Großmutter Nina Silverstone. Die war bereit, ihre eigene Tochter zu töten, weil sie auf Frauen steht. Kannst du dir das vorstellen? Ich persönlich hätte auch nichts dagegen, einen Typen zu lieben, aber eigentlich habe ich gar kein Interesse an niemandem." Überrascht sprang er auf. "Sorry, ich schweife vom Thema ab. Ich wollte eigentlich sagen, dass Marco mit Sicherheit überleben wird. Aber das gilt auch nur, wenn du dich richtig verhältst. Wenn du Unfug machst, werden wir an ihm Experimente durchführen, die vermutlich schiefgehen und er deswegen sterben muss. Oder er ist so geschwächt, dass er sich nicht gegen seine kleine Schwester verteidigen kann und stirbt. Mal sehen, was als erstes eintrifft. HEY!"
Ich konnte deutlich den beleidigten Ton in seiner Stimme hören, aber das spielte keine Rolle. Ich musste hier weg. Ich konnte Marcos Blut riechen und es machte mich verrückt. Ich wollte sie alle hinter mir lassen. Ich wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Ich wusste aber, dass Marco nichts mit den ganzen Lügen zu tun hatte. Ich wusste, dass er unschuldig und unbeteiligt war und deshalb nicht leiden sollte, wie es Christopher verdient hätte.
Ich humpelte durch die Gänge. Ich wusste, dass es nicht nötig war zu humpeln, aber ich konnte mein rechtes Bein nicht mehr spüren. Dieser Fluch machte mich verrückt. Hätte ich meinen Vater einfach getötet, müsste ich nicht so leiden!
"Olivia." Leonards Stimme schallte in den leeren Gängen wieder. Ich wusste nicht genau, in welche Richtung ich gerannt bin, da das Blut meine Sicht sehr unscharf erscheinen ließ. "Wo willst du denn hin?" Trillernd hörte ich ihn durch den Gang hüpfen und er kam immer näher. "Ich würde dort nicht hingehen. Das wird nur schlimmer als meine Tortur!" Die letzten Worte sang er und ich bekam einfach nicht das Bild meines Zwillings auf einer Wiese aus dem Kopf, wie er singend Leute enthauptete.
Ich beschleunigte meine Schritte, auch wenn es nur dafür sorgte, dass ich mehr Kraft verlor und zu Boden stürzte. Dann hörte ich einen Schrei. Ich dachte erst, es wäre mein eigener Schrei, bis ich aufsah. Es war ein junger Mann vor mir, der nur eine Hose trug. Seine Haut schien glühend heiß zu sein. Er taumelte schreiend durch den Gang und versuchte, sich die Haut von den Knochen zu schieben. Jedoch blieb er erfolglos. Ich sprang panisch auf und wollte ihm ausweichen, bis er mich erblickte. "DU!" Schrie er und taumelte auf mich zu. "Das ist alles deinen Schuld! Dein Blut hat mir das anget-" Weiter kam er nicht. Plötzlich fing er an zu röcheln und zu würgen. Ich wollte von hier weg, aber meine Beine gaben nach, als eine leichte Berührung von ihm sich so anfühlte, als würde Zolin meine Knochen zerbersten. Der Mann brach zusammen und würgte auf seinen Knie weiter. Dann schrie er auf. Aus seinem Mund ragte sein Darm!
Schockiert schrie ich auf und rannte los. Mir war egal, wie sehr mir alles wehtat. Der Mann dort würgte seine eigenen Organe hoch! Ich wollte von hier weg, aber stieß gegen jemanden. "Du hast es also auch gesehen." Es war Leonard! "Der Mann hat nicht unrecht. Es ist deine Schuld. Die Darachs versuchen immer noch, herauszufinden, wieso dein Blut nicht ausreicht, das Hybridengen zu aktivieren. Es scheint effektiver zu sein, wenn dein, Jiakis und mein Blut gemischt wird, aber dann passiert so was. Der Mann konnte sich gar nicht mehr verwandeln, aber die Leichen zeigen uns, dass seine genetische Struktur dem Endziel viel näher ist als die von denen, die nur das Blut von einem von uns gespritzt bekommen haben."
"Wieso tut ihr das?" Ich hatte keine Kraft mehr, mich von Leonard zu stoßen. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich konnte damit leben, wenn ich leiden musste, aber ich wollte nicht, dass jemand wegen mir solche Schmerzen ertragen musste, dass man lieber sterben würde.
"Wir wollen die Hybriden. Und wenn du nicht mit einer grandiosen Idee kommst, die das Gen schnell aktiviert, werden all deine Mischlingsfreunde ein ähnliches Ende finden wie dieser Mann hier. Wie waren noch gleich ihre Namen? Ach stimmt: Alex, Lawrence, Marco, Isabelle und Christopher. Habe ich nicht recht?"
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If I hadn't met you
WerewolfVerstehst du denn nicht, dass es die einzige Chance ist? Töte ihn und ich komme zurück. Töte ihn und ich kümmere mich um das Rudel. Töte ihn und wir werden diesen Feind ein für alle mal los. Es spielt jetzt auch keine Rolle mehr... auch wenn er dein...