Kapitel 4

677 30 1
                                    

"Bah was ist das?" Hörte ich Thomas aus der Küche rufen. "Oh, ist das von Livvy? Ihr seid so ein tolles Geschwisterpaar! Richtig hilfsbereit. Hach, ist das niedlich." Verträumt kam mein Bruder aus der Küche und trug nur eine Schürze und Socken. Wenn man mit diesen Bildern aufwächst, erscheint einem so was normal, aber für viele Außenstehende wäre die Situation vermutlich mehr als merkwürdig. Auch wenn Isabelle schon seit mehr als zehn Jahren bei uns als ein Teil unserer Familie lebte, kann sie sich immer noch nicht an unseren fast vollständig nackten Bruder gewöhnen.
"Er hat lediglich den Müll weggebracht- Warum versuche ich es überhaupt?" Erschöpft ließ Isabelle den Kopf in die Hände sinken und schüttelte den Kopf. Hätte sie eine Alternative, würde sie bestimmt ausziehen. Aber da ihr das nicht möglich war, wird sie bei uns bleiben müssen.
"Leo, komm mal bitte her. Ich müsste euch noch ein, zwei, hundert Dinge erklären, bevor ihr dann morgen ins Internat fahrt!" Mit einem Bein zog sich Thomas einen Stuhl heran und setzte sich hin. Ich konnte förmlich spüren, wie sich der Ekel in Isabelle ausbreitete. Wie oft sie schon Familiensitzungen einberufen hatte, um Thomas das Sitzen in diesem Stadium zu verbieten. Es war unglaublich, dass sie überhaupt noch die Kraft hatte, sich darüber aufzuregen. Man konnte schon fast sehen, wie sich ihr blondes Haar gräulich färbte und ihre indigoblauen Augen erschöpft schimmerten. Sie war wirklich fertig mit den Blackstorms.
Leonard trat aus der Küche mit einem Löffel im Mund. Und während er sich hinsetzte, fragte ich, was er jetzt essen wollte, da er nichts in den Händen hielt. "Gar nichts." Antwortete er. "Ich wollte nur den Löffel." Schulterzuckend nahm er den angesprochenen Löffel aus dem Mund und hielt ihn uns hin.
Angewidert warf Isabelle die Hände in die Luft. "Ist ja gut, macht ihr das grad mit Absicht? Ich hatte nur um einen ruhigen Nachmittag gebeten. Einen! Egal, Thomas erzähl einfach." Erschöpft warf sie sich gegen die Couch und starrte Thomas abwartend und gleichzeitig verzweifelt an.
"Also... als erstes solltet ihr wissen, dass das Internat eine interne Angelegenheit ist. Weder Freunde von Außerhalb noch Familie aus anderen Gebieten dürfen davon erfahren. Natürlich wissen alle Werwölfe von dem Internat, aber nicht, was sich darin abspielt. An diese Regel müsst ihr euch auch halten!" Ernst schaute Thomas uns an, mich und Isabelle auf der Couch und Leon auf dem Boden neben mir. Aber irgendwie erschien mir die Situation nicht so ernst, wie mein nackter Bruder es geplant hatte.
"Warum ist es denn so wichtig, dass Dritte nichts davon erfahren?" Verwundert setzte sich Isabelle wieder auf und starrte ihn an. Sie schien sich wieder beruhigt zu haben oder viel mehr wieder ihren Willen, mit uns Zeit zu verbringen.
"Nun ja, das Wissen ist nicht allen gewährt." Kurz hielt Thomas inne und überlegte. Wenn man nur sein Gesicht betrachtete, war er ein wirklich gut aussehender junger Mann. Sein dunkles Haar, das wie Obsidian glänzte, hatte er seit einer Weile nicht geschnitten, da es viel Stress im Rudel gab. Dementsprechend wirkten seine nahezu schwarzen Augen noch dunkler, durch die tiefen Augenringe unter seinen Augen. Aber sonst war seine Haut rein, wirkte weich und hatte eine leichte Bräunung. Mit seinen definierten Kieferknochen und dem harten Gesicht, wirkte er sehr erwachsen und auch sein gut gebauter Körper sprach für seine Erfahrungen. Wenn man mal davon absieht, dass er nur eine rosa Schürze und zwei verschiedenfarbige Socken trug.
"Es gibt zentrales Wissen der Werwölfe. Und sonst wird das meiste mündlich übertragen. Warum machen die sich so Mühe, den Rest zu verbergen? Es geht doch um unser aller Geheimnis." Isabelle hatte recht. Wenn es wirklich nur darum ging mit Wolf und Mensch im Einklang zu sein, sollte man es allen beibringen. Warum wurden viele aber auch abgelehnt?
"Es ist so, unser Internat wurde von mehreren Familien gegründet. Es ging darum, nach einem Krieg der Familien die Harmonie wiederherzustellen. Aber da es ziemlich schwierig ist, den Menschen unser Vertrauen zu schenken, sollten wir erstmal in unseren eigenen Reihen die Probleme beseitigen. Im Internat wurden die wichtigsten Dinge zusammengefasst und diese werden den Jüngeren beigebracht. Die Lehrer werden es euch allen noch mal erklären, aber ihr werdet alle Werwölfe sein und in Wohnhäusern zusammenleben. Ihr werdet in riesigen Wäldern euer Tier beherrschen können und in der Schule alles über die Vergangenheit und das wichtige in der Menschenwelt erlernen. Da wir Werwölfe aber Jäger sind, brauchen wir keinen Abschluss, um unsere traditionellen Jobs zu betreiben. Aber um unter den Menschen leben zu können, brauchen wir diese Ausbildung. Aber bevor ihr fragt, ja, es werden Wölfe abgewiesen, aber das hat seine Gründe. Das Internat hat nur eine begrenzte Kapazität und Werwölfe gehören nicht zu einer vom Aussterben bedrohten Art. Außerdem können wir nicht von Wölfen aus der ganzen Welt erwarten, dass sie zu uns reisen, deshalb gibt es mehrere Standorte. Hört nicht auf diese Gerüchte, sie versuchen schon alle zu finden." Thomas stoppte. "War das jetzt zu viel auf einmal?"
Stumm schüttelte Leon den Kopf. "Ich denke, das reicht aber trotzdem. Lasst uns gehen, es ist schon spät." Ohne auf eine Rückmeldung zu warten, verließ Leon das Wohnzimmer und ging in sein Zimmer.
Erschöpft streckte sich Isabelle. "Ihr macht mich fertig und es ist schon nach elf. Ich find's wirklich erstaunlich, dass Peter und Caliria sich nie beschweren, aber da wir schon um vier los müssen, gehe ich dann mal. Und Thomas, bitte zieh dir wenigstens... Handschuhe oder so an. Das ist einfach zu viel Haut." Und somit verließ auch meine Adoptivschwester unsere kleine Versammlung.
Stumm schaute ich zu Thomas und dieser erwiderte den Blick. "Ich bin immer noch nicht zufrieden damit, zum Internat zu gehen." Trotzig kreuzte ich meine Arme.
"Wenn du nicht gegen die Regeln verstoßen hättest, hättest du eventuell noch eine Chance gehabt, aber das ist deine Strafe. Halte dich einfach an die Regeln und du kannst dem eher aus dem Weg gehen." Wissend stand er auf und schob den Stuhl beiseite.
"Jaja." Genervt stand ich auf und wollte nun auch das Zimmer verlassen, bis mir etwas einfiel. Sofort machte ich auf der ersten Treppenstufe kehrt und schaute zu Thomas, der den Rest noch wegräumen wollte. "Bruder, wie läuft es denn mit deiner Alpha-Ausbildung?"
Kurz stoppte er und schaute mich dann grinsend an. "Nach meinem Abschluss nahmen mich viele zu praktischen Übungen mit, damit ich ein guter Alpha werden kann. Also mach auch du deine Arbeit gut und habe eine blühende Zukunft. Ich hoffe einfach nur, dass ich nicht allzu bald die Arbeit unseres Vaters übernehmen muss." Er grinste mich nicht nur mit seinem Mund, sondern auch mit seinen Augen an. Aber ich wusste, dass es nur ein Vorwand war, mir nicht seine betrübten Augen zu zeigen.
"Das hoffe ich auch. Auch wenn du zu den besten Erben gehörst, von denen die meisten gehört haben, wünsche ich dir auch noch ein ruhiges Leben." Außerdem will ich unseren Vater noch nicht verlieren. Aber diesen Gedanken sprach ich nicht aus. Es war daneben, ihn an diese Bürde zu erinnern. Den Thron der Blackstorms konnte man eben nur erben, indem man den alten König entmachtete. Und das ging nur indem man ihm das Leben nahm.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt