240-in den höchsten Tönen

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"Nehmt Platz", fordert Mom uns, kaum, dass wir die Küche betreten haben. Sie hastet währenddessen schon wild zum Herd, auf dem zwei Topfe stehen. Der eine dampft wild, weswegen meine Mutter die Temperatur nun runterstellt, sich danach seufzend zu uns dreht, leicht an die Theke gelehnt. "Wie war eure Fahrt?"

"Ganz gut", antworte ich ihr. Schon wieder hantiert sie rum, zieht eine Schüssel mit ihren rosanen Handschuhen aus dem Ofen, was mich überlegen lässt, ihr nicht zu helfen. "Soll ich was übernehmen, Mom?"

Kopfschüttelnd und beruhigend lächelnd meint sie: "Nein, nein. Bleib du sitzen, ruh dich aus."

Fragend werfe ich einen Blick zu Dad, ob alles in Ordnung sei, worauf er mir zu nickt. "Du kennst sie doch", murmelt er, sodass Mom es nicht hört. Doch wahrscheinlich bekommt sie es sowieso nicht mit, da die Frau konzentriert in dem roten Topf rührt, immer wieder etwas reinstreut.

Mom übernimmt sich gerne, kocht viel und manchmal auch zu viel, wenn sie Besuch erwartet. Egal, ob jemand Bekanntes kommt oder Arbeitskollegen von Dad, die Frau kocht für einen ganzen Trupp hungriger Menschen, die Jahre auf einer einsamen Insel ohne Essen verbrachten. Oder wenn ihre Tochter mit ihrem Freund kommt.

Als ob wir in London verhungern, da wir ja noch so jung sind und nicht kochen können.

Bei mir stimmt es ja, doch Harry kann wirklich gut kochen, sodass ich nicht verhungern werde. Aber wie Mütter nun mal sind, macht sie sich Sorgen, weswegen ich mit einem dankenden Blick ihr zu lächle, als sie sich endlich setzt, die zwei Töpfe und die Schüssel auf dem Tisch stehen.

"Lasst es euch schmecken", beginnt Dad das Essen, sich schon schnell den Topf mit Kartoffeln greifend, worauf Mom ihn auf den Handrücken leicht, mahnend schlägt. "Wirst du wohl deiner Tochter und ihrem Freund zuerst etwas geben", meckert sie, die Augenbrauen dabei zusammen schiebend.

"Schon in Ordnung", murmelt Harry. Er traut sich wenigstens etwas zu sagen.

"Nein, nein. Füll dir bitte etwas auf, Harry", bittet Mom ihn, weshalb Dad den Topf weggibt.

Ich habe es doch geahnt, dass uns hier noch Stress erwartet und wenn der schon beim Essen losgeht, bangt es mir vor den kommenden Tagen.

Mit einem nachdenklichen, unwohlen Blick schaut der Mann mit den Locken zu mir, nimmt sich dann meinen Teller auf den er was auffüllt. "Danke", hauche ich, muss danach husten. Beklommen gucken wir beide uns an, wissen nicht genau, wie wir mit dieser übertriebenen Gastfreundschaft meiner Eltern umgehen sollen, obwohl wir sie zu Weihnachten auch überlebten.

"Wie läuft es denn in der Uni?", erkundigt Mom sich. Nun füllt sie sich selber Kartoffeln auf, nimmt dankend mir den Rotkohl ab.

"Gut", bringe ich gequält hervor. "Also sehr gut", versuche ich ihr noch mehr zu erzählen, rede deshalb weiter: "Wahrscheinlich müssen einige eine extra Vorprüfung schreiben, damit sie dieses Semester überhaupt bestehen und ja..."

"Jetzt tue mal nicht so, als ob du die schreiben müsstest", mischt sich der Lockenkopf mahnend ein, streicht unauffällig über meinen Rücken. An meine Eltern gewandt sagt er dann: "Sie ist die Klassen- und wahrscheinlich auch Jahrgangsbeste."

Verlegen boxe ich gegen seine Schulter, fordere ihn damit auf, dass er so schleimt und über mich spricht. Vielleicht muss ich diese Extraprüfung wirklich nicht schreiben, jedoch möchte ich davon noch nicht ausgehen. Er sorgt nur dafür, dass ich mich selber nicht runtermache, wofür ich ihm dankbar bin, doch jedes Mal erscheint mir solch eine Situation, in der mich andere vor anderen in den höchsten Tönen loben als peinlich.

"Ich möchte nichts überstürzen. Nachher muss ich sie schreiben und dann-"

"Baby, du musst diese Prüfung nicht schreiben", unterbricht Harry mich energisch, fest bei seiner Meinung bleiben.

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