214-Indianerehrenwort!

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"Noch einmal diesen grauenhaften Gesang überlebe ich nicht, Baby", beschert Harry sich grummelnd, leise an meinem Ohr, damit Olivia ihn nicht hört. "Wirklich, wenn dieser Hund noch einmal von Freundschaft und der Liebe aller Menschen singt, dann drehe ich durch", meckert er weiter.

Dieser Hund, dessen Name ich zum Glück vergessen habe, singt sein zehntes Lied, weil diese Folge die wir mit Olivia schauen, irgendeine Spcialfolge ist. Während sie lautstark, jubelnd immer in die Hände klatscht und versucht mitzusingen, leiden Harry und ich. Das kleine Mädchen hockt im Schneidersitz auf dem Boden, wir beide hinter ihr aneinander gekuschelt auf der Couch, wobei Harry von hinten mit seinen Fingern meinen Bauch ein wenig kitzelt.

Den aktuellen, präsenten Moment könnte man als schön, einprägsam bezeichnen, wenn diese Sendung nicht laufen würde.

Irgendwo verstehe ich es ja, weil man Kindern gute Werte vermitteln möchte, sie etwas lehren und gleichzeitig Musik mit einbringen möchte. Aber man sollte die Finger vom Autotune lassen, wenn man nicht wegen Gehörschäden verklagt werden will.

Wohlgemerkt, bei den Eltern, die immer mit gucken müssen.

Denn man wird scheinbar immer gezwungen mitzugucken.

Olivia wollte sich nicht ohne uns ins Wohnzimmer bewegen, die Sendung alleine schauen. "Ihr sollt aber mitgucken", maulte sie, die Unterlippe vorgeschoben und die Arme verschränkt. "Bitte!" Lange quengelte sie, bis wir uns genervt ergaben und nun seit über einer dreiviertel Stunde hier liegen und zuhören.

Der Hund und sein Freund mit den Sommersprossen singen die ganze Zeit, kämpfen dann zwischen durch nochmal gegen den bösen Dr. Magnelie, ehe die nächste Folge beginnt, bei der Harry erneut genervt in mein Ohr stöhnt.

"Honor, mach was?", fleht er mich quasi schon an.

"Was denn?", entgegne ich. "Soll ich den Stecker ziehen?"

"Nein, nachher ziehst du den Falschen und legst alles lahm", antwortet Harry, worauf ich mich sofort aufrichte.

"Ich muss kurz mal ins Bad. Harry bleibt bei dir Olivia", wende ich mich dem Mädchen zu, ohne in die entschuldigenden Augen des Mannes zu schauen, der seinen Kopf zurück in die Kissen sinken lässt. Hastig tragen meine Füße mich zur Tür, bis ins Bad, wo ich das Schloss zufallen lasse.

Manchmal verdient er es auch einfach, weil er ganz schön frech und keck sein kann -auch, wenn er es nie böse meint.

Etwas schmunzelnd nehme ich auf dem Rand der Badewanne Platz, erinnere mich schleierhaft an gestern Abend, wo wir einfach nur im Bett lagen, Harry mich so lange auf dem Rücken streichelte, bis ich einschlief, was erstaunlicherweise ohne Meckern funktionierte. Diese ruhigen, stillen und doch bedeutsamen, liebevollen Momente liebe ich, weil nichts uns stört, wir ohne Probleme sind.

Es wird niemals für immer so bleiben, weshalb ich diese manchmal kurzen Minuten auskoste, genieße. Sie sind es wert. Harry ist es wert.

Bei dem Klingeln an der Haustür richte ich mich dann aber wieder auf, trete nach draußen, wo Olivia Harry an seiner Hand, der ihren Rucksack in der anderen hält, mit sich zur Tür zieht, die sie nur mühsam schafft auf Zehenspitzen zu öffnen. Strahlend begrüßt sie meinen Vater, der sich nach unten zu ihr beugt und sie begrüßt.

Die beiden verstehen sich scheinbar besser, als ich jemals erahnt hatte. Das Mädchen vertraut ihm richtig und auch ohne Murren zieht sie sich ihre Schuhe an, lässt sich ihre Jacke reichen.

"Wir zwei sehen uns spätestens zu Ostern oder den Sommerferien wieder", verspricht Harry ihr, wobei er sich zu ihr kniet, seine Hände auf ihren schmalen Schultern platziert. "Dann fahren wir beide in Corby wieder an den See und gehen ein Eis essen."

Small FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt