261-wunder Punkt

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Die Thermoskanne gefüllt mit Tee in der Hand, müde mein Gähnen unterdrücken und mit schnellen Schritt, eile ich durch die Gänge der leeren Uni, auf den Weg in die große Halle, die auch als Aula bezeichnet wird, wo dieses Jahr die Abschlusszeremonie stattfinden soll. Die Leitung der Uni meinte, wir müssen die ganzen wichtigen Dinge, wie Auflaufen, Hände schüttelnd und freundlich lächeln, einmal üben, weswegen ich um kurz vor halb acht durch die Mauern laufe, obwohl ich Zuhause in meinem warmen Bett liegen könnte.

Bis vor einer Stunde schlief ich seelenruhig unter der Decke, auch wenn diese nach einer Weile zu warm wurde, weswegen irgendwann mein Po, bedeckt von der hellblauen Unterhose, entblößt wurde. Fünf Minuten später dann auch mein Shirt, welches bis zu meiner Brust hochgerutscht war.

So geschieht es jedes Mal, wenn ich schlecht schlafe und mich hin und her wälze. Morgens sehe ich dann im Spiegel, den Abdruck meines Kissens auf meinem Gesicht, entdecke ein Vogelnest auf meinem Kopf.

Seit der Party konnte ich nicht mehr richtig schlafen, wachte in der Nacht ständig auf, geplagt von den traurigen grünen Augen, die mich so ehrlich ansahen. Der schlimmste Traum war der, als ich dachte, Harry würde neben mir liegen.

Während ich noch schlief, seine Lippen auf meinen spürte, vernahm ich diese Wärme, dachte, seine Hände würden sich, mit meinen, verschränken oder über meine Haut streichen. In mir stieg ein Gefühl von Sicherheit, Liebe und Zweisamkeit aus. Dieses schon alte, vor vielen vergangenen Jahren bekannte Gefühl.

Es war wunderbar, fantastisch -bis mein blöder Wecker klingelte und dieses blöde Freudenslied anging, das lautstark in meinen Ohren dröhnte.

Ich habe keine Tasche voller Sonnenschein, sondern nur ein Schiff vollgeladen mit Problemen.

Mein Frühstück bereitete ich mir unordentlich und durcheinander vor, weswegen mein Spiegelei aus einander gefallen war und anstatt Löffel oder sogar noch Gabel, nur ein Messer auf dem Tisch lag, mit dem ich tatsächlich zu essen beginnen wollte. Meinen Kakao verschüttete ich über der alten Tischdecke, wofür meine Mutter mich hassen wird und die Unordnung in meiner Abwäsche wird immer mehr. Von den Scherben meiner Tasse möchte ich gar nicht erst reden.

Seit Freitag bin ich ein vollkommener Tollpatsch und bezeichne es als ein wahres Wunder, dass ich noch lebe.

So viel lief schief, aber am schlimmsten verlief immer noch dieses Aufeinandertreffen mit Harry. Eindeutig.

Es ist der Auslöser für alles. Der Schuldige!

Ständig erklingen seine Worte in meinem Kopf oder ich sehe seine Augen, wie sie mich ansehen, wie er sich mir nähert, bis uns nur noch wenige Meter trennen. Und irgendwann bin ich so weit, dass ich wieder auf dem Parkplatz in Corby stehe, einen flachen Atem besitze, diesen Mann nur noch küssen möchte.

Ethan und Nathan schrieben mir am Samstag, dass sie nicht böse auf mich sind, sondern verstehen, wieso ich gegangen bin. Sie unterstützen meine Meinung. Ob Harry noch mehr zu ihn sagte, als nur, dass ich weg bin, erfuhr ich nicht, auch wenn es mich ein kleines Bisschen interessiert.

Mein ganzes Umfeld zählt für ihn scheinbar zu einer kompletten Trennung von mir.

Es bedrückt mich, dass ich meine Eltern seit drei Jahren anlüge, weil ich sie nicht enttäuschen möchte. Ich finde es schade, da ich eigentlich immer dachte, dass er sich gut mit meinen beiden besten Freunden versteht. Da gibt es eine Menge wunder Punkte, die die Gedanken an den Lockenkopf jedes Mal wieder treffen.

Tausende, tiefe, wunde Punkte.

Mit meiner freien Hand ziehe ich mit Schwung die schwere Tür zu der großen Halle auf, aus der mir sofort laute, durcheinander redende Stimmen entgegen dringen. Ein bunter Haufen steht dort, von denen sich immer wieder Gruppen unterhalten. Einige von ihnen lesen sich sogar den Plan durch, den die Leitung aufstellte, weil wir alle in einer bestimmten Reihenfolge zusammen sitzen müssen.

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