265-Ciao

851 114 102
                                    

"Ciao Honor", verabschiedet sich einer meiner Kollegen, den ich aber nicht mal mehr richtig wahrnehme oder groß beachte. Ich höre ihn reden, diese Worte sagen, spüre eine Präsenz vor mir, die sich zur Tür bewegt, welche Sekunden später auf und zugeht, ehe ich alleine hier bin.

Müde reibe ich mir über meine Augen, zähle weiter die Scheine durch, bis ich zu einem real klingenden Ergebnis komme, welches ich aufschreibe. Dann sortiere ich das Papier wieder in die Kasse ein, mustere manchmal das Gesicht der alten Frau, die ihre Krone voller Stolz trägt.

Die Kasse zu drückend gähne ich laut, nehme nun meine Schürze ab und hänge sie zu denen der anderen, bevor ich in Emils Büro gehe, wo er an dem kleinen Schreibtisch sitzt, der nur durch das Licht der Schreibtischlampe beleuchtet wird.

Den Kopf mit den aufgestemmten Armen hoch haltend, den Rücken gekrümmt und fertig auf dem Holzstuhl sitzend, liest er sich einen Brief durch, während der Bildschirm seines Laptops neben ihm ein Video abspielt. Die kurzen Haare stehen in alle Richtungen, wirken spröde und so, als würden sie auch mal eine Dusche, so wie Emil, benötigen. Den er sieht wirklich mitgenommen aus.

"Die Abrechnung für heute", melde ich mich leise zu Wort, langsam den Zettel mit der Summe neben ihm legend, sodass sie in seinem Augenwinkel liegt.

Er nickt mir knapp dankend zu, liest dann seinen Brief erneut seufzend, seine Stirn in Falten krausend, deprimiert den Kopf schüttelnd. Langsam mache ich mir Sorgen um ihn, auch wenn er nur mein Chef ist, der seine Kunden täglich verarscht. Aber trotzdem ist er ein Mensch und meine einzige Hilfe dabei, die Wohnung zu finanzieren.

Deshalb frage ich ihn ruhig und besorgt zugleich: "Alles in Ordnung?", worauf er nickt, dann aber den Kopf schüttelnd und dann plötzlich doch wieder nickt, bis er seine Stirn auf die harte Tischplatte fallen lässt, seine Hände über dem Kopf zusammen faltet.

"Manchmal ist das hier echt anstrengend, Honor", murmelt er gedämpft zu mir, reicht mir dabei das Stück Papier, welches ich beginne zu lesen. "Der Laden und das Leben."

Rechnung auf Grund eines Wasserschadens

"Das Leben ist immer kompliziert. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede", entgegne ich, den Zettel wieder vor ihn legend, da ich alles gelesen habe. "Aber ich weiß auch, bin mir um ehrlich zu sein sicher, dass du das schaffen, wirst."

Langsam hebt Emil jetzt seinen Kopf, sieht mir dankend in die Augen und nickt zustimmend, den Zettel mit einem Mal vor meinen Augen zerreißend. "Du hast Recht." Entschlossen steht er auf. "Ich lass mich von Nichts runterziehen."

"Genau!", stimme ich lachend zu, stemme, ebenso wie er, meine Hände stolz in die Hüfte. Es ist lustig, wie der Mann vor mir steht, in seinem Hawaiihemd und der dunkelblauen Hose, die ihm jedoch nach fünf Zentimetern unter seinem Knien endet.

"Und du lässt dich auch von Nichts runterziehen", bestimmt er dann ernst, seine rechte Hand auf meiner Schulter platzierend.

"Wie meinst du das?" Verwirrt fragend überlege ich, worüber er sprechen könnte.

"Ich sehe, wenn dich etwas bedrückt -auch wenn ich keine Ahnung habe, was geschah", erklärt er mir, daraufhin ein Nicken von mir erhaltend.

"Danke, Emil."

"Danke, Honor", wiederholt er meine Worte, grinst breit. "Und jetzt geh nach Hause und ruh dich aus."

"Dankeschön", bedanke ich mich erneut bei ihm, schon auf dem Weg zum Ausgang seines Büros.

"Ach, das mit deinem Urlaub nächste Woche geht frei. Genieße deine Abschlussfeier", ruft er mir nach, wozu er zusätzlich winkt, dann wieder an seinem Tisch Platz nimmt, sich erneut an die Arbeit macht.

Small FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt