293-wie ein Schweizerkäse

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Lange behalte ich meine Arme um den Mann, der mit seiner unverletzten Hand über meinen Rücken streicht, seine Lippen an meinen Hals drückt und tief in den Stoff meines Oberteils atmet. Wir halten uns gegenseitig fest, obwohl nichts geschah.

"Hat der Kerl irgendwas gesagt?", murmelt Harry leise, gedämpft durch mein Shirt. "War er verletzend?"

Seinen Herzschlag an meinem, den Lavendelgeruch in meiner Nase, die beruhigende Wärme, all dies kann ich genießen, bis der Mann mich vorsichtig, achtsam von sich ein Stück wegdrückt. Er zwingt mich, indem er mit Daumen und Zeigefinger unter mein Kinn fährt, aufzusehen, direkt in die grünen, wunderschönen Augen.

"Honor?" Bei meinen Namen, welchen er so rau, liebevoll, sowie besorgt ausspricht, läuft ein Schauer über meinen Rücken. Ein gutes Gefühl. "Warum bist du mit einem Mal so? Hat der Kerl dich angemotzt, oder...? Geht es dir gut?"

Die Besorgnis steht in sein angespanntes Gesicht geschrieben. Seine roten Lippen sind fest aufeinander gepresst, die Brauen zusammen gezogen und auf seiner Stirn befindet sich eine kleine Falte. Ebenso überlegt er, sieht mich ernst an, direkt und intensiv.

Leicht schmunzelnd, kichernd mir meine Hand vor den Mund haltend, streiche ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Es ist alles in Ordnung, Harry", entgegne ich, mich nach vorne beugend, um einen sanften Kuss auf seine Wange zu drücken. "Dein Vermieter, er-"

Mir wollen nicht ganz die richtigen Worte einfallen, weswegen ich abbreche, nachdenklich auf meine Unterlippe beiße. In den letzten Jahren tat ich es öfters, als es wahrscheinlich normal ist, da ich ständig über mein Leben, mich und den Sinn hinter allem nachdachte. Sehr lange und intensiv, weswegen ich mir schon häufig den Eisengeschmack in meinem Mund einbildete.

"Honor, was hat er dir in der Küche an den Kopf geworfen?", harkt Harry nun erneut nach. Energischer und ungeduldiger wird er, umklammert mit der einen Hand fest mein Handgelenk, während die andere über seinem Bein schwebt. "Meinte er etwas von wegen, du solltest mir nicht helfen, weil ein Soldat früher niemals weinte, oder hat er dich nur aufgehalten den Verbandskasten zu holen?"

Kopfschüttelnd nehme ich nun Harrys Gesicht zwischen meine Hand, siehe ich schmunzelnd an, wegen seinen ganzen Sorgen, die er sich macht. Mit einem weichen, lieblichen Gesichtsausdruck mustere ich die warme Haut, über die meine Daumen kleine Kreise ziehen.

"Um ehrlich zu sein hat er mich von etwas abgehalten", beginne ich nun nuschelnd, den Blick nicht von den roten Lippen nehmend.

"Von was, Baby?", haucht Harry. Er bettelt mit dem Baby, fleht mich an, ihm endlich alles zu erzählen.

"Von etwas Schlechten", entgegne ich raunend, erneut an all meine scheußlichen, schwachen Gedanken zurückdenkend. Mit einem Mal war ich solch eine erbärmliche Person, die an niemand glaubte. Und am schlimmsten ist, dass ich nicht an Harry glaubte, an seinen Plan und dem Versprechen, alles wird gut werden.

"Verdammt, Honor!" Zischend verdreht er nun ungeduldig die Augen, würde zu gerne mit seiner Handfläche auf das Holz der Treppen schlagen, wovon er sich gerade noch so abhalten kann. Wahrscheinlich würde er seine Hand, wie ein Schweizerkäse, durchlöchern. "Von was hat dieser Mistkerl dich abgehalten?"

"Von dem Weglaufen!"

Für einen Augenblick herrscht Stille im Flur. Nur das tiefe, schwere Atmen von Harry erklingt leicht und ein Ticken der Uhr ertönt sanft, jedoch nervig in meinen Ohren. Bis ich beginne zu reden, könnte man eine Feder zu Boden fallen hören, das Kratzen des Staubes, der über den Boden gleitet.

"Ich war so verzweifelt und gab mir an all diesen Problemen die Schuld. Das dein Vater dir wehtut, du nun verletzt bist und auch schon wegen den Dingen in Corby", teile ich ihm als erstes mit, stoppe wegen einem bitterlichen Schluchzen, das meine Lippen verlässt. "Mir erschien alles so falsch und als wäre immer wieder ich der Auslöser dafür gewesen, weswegen ich weglaufen wollte. Dein Vermieter, er kam rein und sprach mit mir, munterte mich auf, schenkte mir Mut."

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