300-kein Gegner

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*300 ist als mein letztes Kapitel für diese Geschichte geplant.*

Fassungslos, betroffen und empört blicke ich mit starrem Blick auf die Tür, durch die der Mann gerade ging, die er mit einem lauten, in der Halle schallenden Knall hinter sich zu fallen ließ. Dem Menschen nach, der alles für uns so schlimm, grauenhaft gestaltet.

"Nein!", korrigiere ich mich selber, kopfschüttelnd dieses kleine Wort überzeugt murmelnd.

Das war kein Mensch, niemand in dem dieses kleine, lebenswichtige Organ schlägt. Es war Satan höchstpersönlich in meinen Augen.

Immer größer wird der Hass in mir. Der Hass gegenüber Harrys Vater. Der Hass gegenüber all diesen Menschen, die ihn unterstützen. Der Hass gegenüber jedem, der meinen Freund, welcher so regungslos neben mir steht, als den wahren Übeltäter, als das Böse ansieht.

Ich verabscheue sie alle, die die scheußliche Ideologie Harrys Erzeugers unterstützen. Alle samt.

"Lass uns gehen", fordere ich den Mann auf, leicht an seiner eingefrorenen Hand ziehen. "Wir müssen raus aus dieser Hölle." In der Halle stinkt es nun bestialisch. Ein ätzender Geruch breitet sich aus, brennt in meiner Nase, sorgt für Tränen, die über meine Wange kullern.

Oder ich weine von selber, bilde mir diesen Auslöser nur ein.

Vielleicht weine ich, weil mir der kleine Junge von damals leid tut, der in der Schule jeden mobbte, um sich selber ein Stück besser zu fühlen, da er Zuhause selber keine Liebe erhielt. Eventuell muss ich aufschluchzen, weil der Schmerz in meinem Herzen zu groß ist, ich mich nun zu dem Lockenkopf neben mir drehe und meine Arme um seinen Hals schlinge, meinen Kopf an seine Brust drücke, was er nur überfordert aufnimmt. Möglicherweise weine ich aus dem Grund, dass Harry alleine den Tod seiner Schwester vertragen musste, dass er sich immer so einsam fühlte und da er in den letzten drei Jahren ebenfalls alleine war.

Er besaß niemanden, der ihn in die schützenden Arme schloss, als Gemma starb. Harry wurde nicht liebevoll über den Kopf gestrichen, wie meine Mom es damals tat. Der kleine Junge bekam nicht viele Geschenke zwischendurch, oder gar zu Weihnachten. Eher schenkte sein Vater ihm eine Tracht Prügel, als ein schönes Armband mit weißen Perlen, welches kaputt geht, sobald man irgendwo hängen bleibt, sodass sich die kleinen Kugeln auf dem gesamten Boden verteilen.

Unsere Kindheiten verliefen so unterschiedlich.

Da wünscht man sich das pure Glück für den nun erwachsenden Mann, der dann doch wieder durch die Hölle gehen muss, Aufgaben für den Kerl erledigt, der ihm für dreiundzwanzig Jahren das Leben schenkte. Der boshafte Mann freute sich nie über das Baby, welches mit diesen grünen Augen jeden anstrahlte.

Von seinem eigenen Vater als Loser, Verlierer bezeichnet zu werden zählt zu den größten Enttäuschungen, die man erhalten kann. Und ausgerechnet Harry, welcher schon so oft verletzt, gedemütigt, hängen gelassen wurde, musste diese Beleidigungen in den vergangenen Jahren viel zu häufig mit anhören.

Weiterhin hänge ich dem Mann um den Hals, vergrabe mein verweintes Gesicht an seiner Halsbeuge und ziehe stark den Lavendelduft durch meine Nase ein. Die gequälten Schluchzer ersticke ich jedes Mal durch den weichen Stoff Harrys Oberteils, während ich wacklig auf Zehenspitzen stehe.

Regungslos befinden sich die Hände des Lockenkopfes an meiner Hüfte, halten mich sicher fest. Kein Ton, kein Wort, nicht einmal ein scharfes Geräusch durch Luft einatmen kommt von ihm. Und ich spüre sein Herz nicht gegen meinen Brustkorb schlagen, vermisse den bekannten Rhythmus, was mich langsam in Panik versetzt.

Bis mit einem Mal sich die Arme so fest um mich schlingen, dass ich kaum noch Sauerstoff durch meine Lungen schießen spüre, sodass sich meine Füße vom Boden lösen und mein Oberkörper sich so anfühlt, wie das Fell einer Trommel, auf die mit voller Wucht geschlagen wird.

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