298-Vernunft

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Beklommen rutsche ich auf dem Ledersitz des sich schnell bewegenden Wagens hin und her. Immer wieder muss ich hart schlucken, bevor ich tief Luft hole, da ich nach einer einem Herzkasper stehe.

Meinen Blick werfe ich hektisch zwischen dem Fenster links von mir, Harry und dem Rückspiegel, durch den mich der Fahrer beobachtet, hin und her. Und diese dunklen Augen sorgen jedes Mal für einen Herzstillstand in mir, wenn ich sie treffe.

Die Tatsache, dass Harry vorne sitzen muss gefällt mir dazu gar nicht. Ich sehe nicht, was er tut, ob er angestrengt oder gar verzweifelt nachdenkt. Seine gesamte Emotion, seine Gefühle und Körperhaltung sind vor mir verschlossen.

Das einzige, das ich sehe ist, wie er sich alle zwei Minuten mit seiner Hand durch die Haare fährt, höre dabei sein tiefes Seufzen und beobachte, seinen Blick aus dem Augenwinkel, welchen er wütend dem Fahrer zuwirft.

"Guck nicht so!", befiehlt dieser ihm nun ausgerechnet, bevor er amüsiert auflacht und mit seinem Zeigefinger auf das Leder des Lenkrads trommelt. "Ich erledige nur meinen Job."

"Einen Scheiß tust du, und das weißt du ganz genau!", zischt Harry zurück. Die geballten Fäuste, an denen man seine Knöchel klar hervortreten sieht, drückt er mit großer Kraft auf seine Oberschenkel. "Dir gefällt es", spricht der Lockenkopf weiter. "Wahrscheinlich hast du dich freiwillig gemeldet."

Lachen erfüllt den Wagen, der einfach so über die Kreuzung fährt. Überfordert drehe ich mich um, blicke auf die Ampel, von der wir uns wegbewegen und die klar und deutlich Rot zeigte.

"Da muss ich dir wohl vollkommen Recht geben." Mit einem breiten Grinsen, welches er kurz Harry zeigt, schaltet der Mann in der Lederjacke einen Gang höher, jagt noch schneller durch die vollen Straßen. "Denkst du, irgendjemand von uns, wollte sich dein Gesicht entgehen lassen. Der Boss musste auswählen, wer was tun darf."

Mich verwundert es, dass wir noch nicht gerammt wurden, niemand uns aufgebracht hinterher hupt, weil wir ihm frech die Vorfahrt genommen haben. Ebenso verwundert es mich, dass wir bei der Geschwindigkeit, mit der wir um die Kurven jagen, uns noch nicht in dem Glasfenster eines der Geschäfte befinden.

Der tiefste Graben wäre mir jedoch gerade lieber, als alles andere.

Dort müsste ich diesen grauenvollen Mann nicht treffen, der offensichtlich mit skrupellosen Männern zusammen arbeitet. Mir graut es vor diesem Treffen, dem ich gerade nicht entrinnen kann. Denn jetzt fällt mir auf, dass die Türen verriegelt sind und wir hier nicht so schnell rauskommen werden.

Scharf nach rechts abbiegend schnippst der Typ seine Zigarette nun unbedacht aus dem Fenster, worauf er zu Harry meint: "Öffne mal das Handschuhfach!", was dieser tut, ohne Gegenkommentar. Nur mit einer angespannten Bewegung.

In dem Fach befindet sich eine Stadtkarte, Kaugummis, eine kleine Flasche Whiskey und eine blaue Packung Zigaretten, die mein Freund hervorholt. Unter all den Dingen erblicke ich nun noch ein Feuerzeug, auf dem sich ein Datum und ein Bild befinden.

Auf schwarzen Untergrund steht in weißer Schrift das Datum des ersten Februars und darunter wurde ein Totenkopf mit brennenden Augen abgebildet.

Mein Herz stockt, meine Finger zittern, zwischen meine Oberschenkel nervös geklemmt, immer mehr.

"Anzünden", fordert der Kerl Harry auf, der ihm daraufhin die Zigarette mit dem Feuerzeug entflammt. "Nimm dir eine, früher hast du doch auch geraucht."

"Ich tue es aber nicht mehr!", entgegnet der Lockenkopf ernst, wobei er seinen Kopf ablehnend schüttelt.

"Na, dann ist heute doch der perfekte Tag, um damit wieder anzufangen." Diese tiefe Stimme sorgt für einen Schauer, der mir eiskalt über den Rücken läuft und meine Haare sich aufstellen lässt.

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