231-blöden Kuh

1K 102 38
                                    

"So reiste der Prinz in das weit entfernte Land, um seine Prinzessin zu retten", lese ich vor, blicke danach kurz auf zu Harry, der aufmerksam und gebannt auf meine Lippen schaut. "Er fürchtete sich sehr vor dem bösen Ritter, doch trotzte dieser Angst. Tage und Wochen ritt er erschöpft über Täler, durch Dörfer, rastete nur kurz in einer großen Stadt, bis er in das weit entfernte Land kam und vor dem großen Turm hielt."

Mir selber ist bewusst, dass diese Geschichte eher dem Kaliber einer Kinderstory entspricht, doch mir gefällt das Ende, welches eine Moral besitzt. Auch die kleinsten können etwas schaffen und sollten nicht unterschätzt werden.

Harry langweilt sich wahrscheinlich, hört nur mit halbem Ohr zu, doch er unterbricht mich nicht, beschwert sich ebenfalls nicht über den schüchternen Prinzen, der sein Leben für eine Prinzessin riskiert, die ihn vorher abblitzen ließ.

Der junge Kerl wurde schon oft genug, ganz leise fluchend als Idiot der einer Schlampe nach läuft bezeichnet.

Darüber beklage ich mich nicht, weil mir sein Fluchen fehlte, seine Ansichten Dingen gegenüber, die ich ganz anderes wahrnehme. Unsere Meinungen sind oft differenziert, weswegen ich ahne, dass es nach dem Ende zu einer hitzigen Diskussion mit Harry kommen kann.

"Und wie er nun einmal war, einfältig und geblendet von seinem protzigen Verhalten, bemerkte der böse Ritter nicht, dass ein kleiner, vor Angst zitternder Prinz sich an ihm vorbei schlich und mit einer einfallsreichen List es schaffte, die Prinzessin zu befreien. Denn er sorgte dafür, dass das böse Pferd des Ritters ausriss, weswegen man es fangen musste. Und so sollte euch gesagt sein, dass auch die Kleinsten vermögen das zu schaffen, was die Größten unter euch, ja gar nicht ahnen."

Seufzend schlage ich auf die aller letzte Seite des Buches, wo groß Ende steht, klappe es nun zu, bevor ich nachdenklich über den dicken Einband streiche.

"Und der wird jetzt mit der blöden Kuh glücklich, die ihn vorher nie wollte?", fragt der Mann hinter mir neugierig. Ich merke aber, wie sehr er den Prinzen für einen Idioten hält.

"Ich weiß nicht", antworte ich, zucke dabei ratlos mit den Schultern. „Uns wurde nicht erzählt, dass es einen zweiten Teil gibt. Aber du hast recht, irgendwie wäre es..."

"Bescheuert", unterbricht Harry mich kopfschüttelnd. "Es wäre so dumm und hirnverbrannt, wenn er sie nun heiratet. Weil das sieht man doch immer unter glücklich in solchen Geschichten an. Verheiratet und so."

Ihm gefällt das Ende ganz und gar nicht. Genau damit habe ich gerechnet.

"Die Trulli wollte ihn vorher nicht, da soll er sie jetzt abblitzen lassen." Weiterhin sich aufregend reißt er leicht seine Arme in die Luft, nimmt mir das dicke Buch nun ab, welches auf den kleinen Nachttisch gefeuert wird.

"Du wolltest mich vorher auch nicht", necke ich ihn leicht, küsse jedoch kurz darauf schon seinen Hals zärtlich.

"Bei uns ging es früher nie um eine Beziehung", kontert er schnell. Seine Arme um mich schlingend fügt er hinzu: "Außerdem war ich damals dumm, weil ich nicht erkannte, wie viel du wert bist."

"Vielleicht erging es der Prinzessin ja auch so."

"Nein, die hat nur die Größe seines Schatzes gesehen. Und eventuell noch die seines Schwanzes", meint der Lockenkopf sofort abwehrend.

Mein Vorschlag wird augenblicklich abgelehnt, da er, wenn es um seine Meinung geht, nichts anderes richtig sein kann, nur seine Ansicht, die einzig wahre sein darf.

"Dies weißt du aber nicht, da es nirgendswo gesagt wurde." Seine Arme legt er von hinten nun um meinen Bauch, zieht mich wieder etwas höher auf die Matratze, da ich durch meine gemütliche Position beim Lesen immer weiter runterrutschte. "Außerdem finde ich dieses offene Ende gut, da man sich somit mehr auf die Lehre konzentrieren kann."

Small FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt