"Dieser fucking Pisser."
Müde, verwirrt und nur halb anwesend öffne ich langsam meine schweren Augenlider, worauf mich schon das einfallende Sonnenlicht blendet. Mein Kopf schmerzt und ich fühle mich grauenhaft schwach, so als könne ich den ganzen Tag einfach nur schlafen.
Aber ich kann es nicht, da dumpfe Geräusche an meine Ohren dringen und ich eine raue Morgenstimme fluchen höre.
Schweigsam starre ich zu dem Mann, der in einer kurzen Sporthose und einem Pulli gegen den schwarzen Boxsack schlägt, dabei schimpft und das Gesicht vor Wut verzieht. Mit ein wenig Verständnis für sein jetziges Handeln schaue ich Harry eine Weile einfach nur zu, beiße mir auf die Unterlippe und denke nach.
Dass er enttäuscht und wütend ist kann ich vollkommen verstehen. Wenn ich er wäre, würde ich wahrscheinlich nicht anders reagieren. Ich kann nachvollziehen, dass er den Boxsack massakriert und am liebsten kaputt schlagen würde, da er sich Leonards Gesicht vorstellt. Sein Handeln verstehe ich vollkommen.
Trotzdem würde ich mich auch über ein Stück Verständnis seinerseits freuen.
Menschen einfach so verurteilen, für etwas büßen lassen, dass sie aufgrund einer Krankheit taten, kann ich nicht. Das bin ich einfach nicht. Mr. Willoughby versprach mir, dass er seinen Sohn in eine Klinik bringt. Da benötigt er nicht auch noch Probleme wegen einem Gerichtsverfahren.
Leonard muss anders, als durch eine Anzeige, lernen, dass er krank ist und sich helfen lassen muss.
Das sind meine Beweggründe -auch wenn ich vielleicht zu gutmütig damit bin.
Nun, nach vielleicht fünf Minuten, in denen der Mann, dessen Harry zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden sind, wild gegen das Leder schlug, immer wieder Beleidigungen in den Raum, gegen seinen imaginären Gegner warf, richte ich mich ohne Worte auf, meine Beine über die Bettkante baumeln lassend.
Ohne Worte, ohne einen bestimmten Gesichtsausdruck mustere ich Harry, der nun aufhört auf den Sack zu schlagen. Schnaufend, mühsam den Klettverschluss seiner Handschuhe öffnend, starrt er zu mir, wirkt erschöpft und verschwitzt. Wer weiß, wie lange er schon wach ist und all seine Energie in die Wut gegen seinen Boxsack -gegen Leonard- steckt.
Einige Strähnen hängen aus dem Dutt raus, einige befinden sich direkt vor seinem Gesicht, welche er nun nach hinten schiebt, dann einen Schritt nach vorne setzt. Doch er stoppt dann auch schon wieder, beißt sich auf die Innenseite seiner Wange.
Ein Stechen in meinem Herzen lässt mich kurz zusammenzucken, aus dem einfachen Grund, dass ich den gestrigen Abend nicht heute fortführen will.
Wir sprachen quasi kein Wort mehr miteinander, weil ich, nachdem er mir an der Tür sagte, dass ich zu gutmütig bin, einfach ins Schlafzimmer verschwand. Konversationen und Streit bin ich aus dem Weg gegangen, erledigte meine Aufgaben für die Uni, in Stille und Verzweiflung.
Spät abends bin ich dann eingeschlafen, in meiner kurzen Hose und einem dicken Pulli, meine Beine in der Decke verwickelt. Harry lag da noch nicht neben mir. Ich weiß nicht einmal, ob er die Nacht neben mir schlief und dieser Gedanke tut weh.
„"Wie hast du geschlafen?", bricht der Mann nach einer Weile die Stille, die Arme streng vor der Brust verschränkt.
"Es geht", antworte ich, sehr still, kaum verständlich, wobei ich kurz meinen Oberschenkel kratze. "Und du?"
Dieses unangenehme Gefühl ist erdrückend, macht einen fertig.
Ich will mich nicht mit ihm streiten oder so distanziert verhalten. Nicht wegen Leonard, nicht wegen irgendjemanden.
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Small Freaks
Fanfiction"Es fühlt sich an wie sterben!" Honor muss feststellen, dass auch sie sich in den Menschen aus ihrer Umgebung täuschen kann. Doch nicht nur sie schätze Menschen falsch ein, sondern auch Harry, der dadurch wütend wird, beginnt an einigem zu zweifeln...