278-wütend

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Schweigen. Ruhe. Stille.

Geschockte Augen starren mich sprachlos, fassungslos an. Alle halten in ihren, gerade noch so regen, Bewegungen inne, blinzeln mich an, die Münder weit offen stehend. Bestürzen, Verblüffung steht in die Gesichter meiner Familie geschrieben, die ich mit der Frage offensichtlich überrumpelte.

Von Grandpa ertönt leises, unangenehmes Klappern, als er seinen Teller langsam, in einem Schneckentempo auf den Tisch stellt. Seine grauen Augenbrauen sind überrascht zusammen geschoben und die alte Stirn liegt in Falten.

Seine Ehefrau sitzt bewegungslos neben ihm, wollte sich eigentlich gerade eine Kartoffel auf ihren Teller füllen. Die roten Lippen sind geöffnet, bilden ein bestürztes O. In den braunen Augen erkennt man, dass sie abwartet, nichts Falsches sagen möchte und trotzdem nachdenkt, irgendwie diese Situation lösen zu können.

Dad beißt sich fest auf die Zunge, dies sehe ich deutlich. Sein Blick huscht hastig zwischen mir und meiner, neben mir sitzenden Mutter, hin und her. Man erkennt, wie seine Atmung sich drastisch erhöhte. Die Nase zieht er leicht kraus, die Hände auf dem Tisch liegen habend, wo er mit seinem Finger schnell tippt, nicht ruhig bleiben kann.

Und meine Mutter?

Mom ringt mit sich, sucht die richtigen Wörter. Sie setzt an, öffnet den Mund und schließt ihn dann enttäuscht wieder. Sie sieht mich mit einer Furcht und auch Nervosität an, dass mir bange wird. Den Griff des Messers umschlingt sie, klammert sich quasi an dem Metall fest, hadernd nach einer Antwort suchen, stammelnd.

Niemand aus meiner Familie möchte der erste sein, der die erdrückende Stille unterbricht.

Manchmal werfen sie sich gegenseitig Blicke zu, stellen sie die herrschenden, ungewissen Fragen per Gedanken. Grandpa nickt Mom einmal streng zu, die darauf ihre Augen warnend hebt. Eine Eigenschaft, die ich allzu gut kenne, da ich selber sie erbte, Ethan und Nathan schon früher warnend ansah, wenn sie etwas für sich behalten sollten.

Genau deswegen weiß ich nun, dass ebenso meine Großeltern all die Jahre von der Trennung wussten.

Es mag sein, dass ich sie anlog, Geschichten erfand, hinter ihren Rücken Geheimnisse für mich behielt, wofür ich mich schämte, Jahre lang schlecht fühlte. Andererseits waren sie nicht anders, nicht besser und spielten mir vor, nichts von der Trennung zu wissen, mir meine Lügen zu glauben.

Meine Eltern, meine Großeltern hätten mir schon vor Jahren diese Last und Qualen abnehmen können, taten es gleichwohl nicht. Sie belogen mich ebenfalls und nun frage ich mich, wer sich von uns schlechter fühlen sollte?

Ich? Die, die Jahre lang immer wieder, Tag für Tag, neue Lügen erfand, ihren Eltern in die Augen blickte, sagte, dass sie sie liebt und dann solch falsche Dinge erzählte? Oder meine Familie? Die Menschen, welche genau wussten, dass ich leide, mich schäme und trotzdem nichts dagegen unternahmen?

"Erhalte ich eine Antwort?", frage ich nun, meine Hände auf dem Tisch abstützend. Gerade noch so, schaffe ich es ruhig und nicht unfreundlich, pampig zu reden, schaue ernst dabei zu meiner Mom, dann meiner Grandma und dann zu den beiden Männern.

"Schatz, wir-", beginnt die Frau links von mir, doch stoppt, sucht erneut nach den richtigen Worten.

Natürlich will sie es mir richtig erklären, nichts Falsches sagen und auch für Harmonie sorgen. Dies verstehe ich ja, doch möchte ich Antworten. Mir selber wurde die Chance genommen ihnen die Wahrheit zu erzählen, all dieses Leid zu beenden. Harry kam mir zuvor, noch ehe er überhaupt Schluss machte.

"Mom", seufze ich, greife nach ihrer Hand. "Wenn ihr jetzt nicht anfangt, dann tue ich es", meine ich ernst, nicke entschlossen. Einer von uns muss den Anfang machen, auch wenn mir nur noch die Möglichkeit einer Entschuldigung bleibt. "Es tut mir leid, dass ich euch angelogen habe, all die Jahre. Da herrschte einfach dieses Gefühl von Scharm und Angst in mir, weil ich euch nicht enttäuschen wollte. Aber wahrscheinlich, habe ich genau dies getan -euch enttäuscht."

Small FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt