251-vollgekritzelte Idiot

666 102 30
                                    

"Herzlichen Glückwunsch meine Damen und Herren", spricht die strenge Prüferin, die Zeugnisse austeilend. Ihre hohen Absätze hallen dabei auf dem Marmorboden wieder, während sie jedem einzelnen sein Zeugnis überreicht und dabei, nochmals einen skeptischen, prüfenden Blick über die Person werfend, die Hände schüttelnd. "Ich gratuliere zur bestanden Prüfung des ersten Jahres. Sie eröffnen damit vielen weiteren Anwärtern die Tore zu unserer Uni."

In dem Raum herrscht eine eher strenge Stimmung, da niemand sich traut vor den Augen der Frau laut vor Freude aufzujubeln. Wer weiß, ob sie einem nicht doch gleich das Zeugnis wieder entreißt und aus dem Raum stöckelt.

Der enge Bleistiftrock reicht ihr bis zu den Knien. Die weiße Bluse wurde ordentlich in den Rock gesteckt, worüber sie einen Blaser trägt, der mir sehr warm an diesem sonnigen Tag erscheint. Zu dem Outfit wählte sie als Accessoires eine weiße Perlenkette, Perlenohrringe und eben die klackernden dunkelblauen Pumps. Von ihrer glänzenden Handtasche möchte ich gar nicht anfangen, denn ich frage mich immer noch, welches Krokodil dafür sterben musste und blau angesprüht wurde.

Ethan würde mich wahrscheinlich aufklären, dass kein Krokodil dafür starb -zum Schutz des guten Rufes der Mode und einfach, weil ich aus meiner Angst übertreibe.

Diese Frau wirkt auf mich nämlich wie eines der grünen Reptilien, das mich jeden Moment auffressen könnte. Einfach den autoritären Blick anheben, mich einmal mustern, dann die roten Lippen so weit wie möglich öffnen und mich kleine, schlotternde Maus verschlingen.

Mit zitternden Beinen verfolge ich, wie Maja neben mir nun ihr Zeugnis erhält, ganz genau begutachtet wird. Sie macht sich nichts daraus, erwidert stolz den Blick, der bei dem großen Tattoo an ihrem Arm, eine Reaktion, in Form von einer hebenden Braue, hervorruft.

Majas neues Tattoo zeigt einen großen Vogel, der drei riesige Schlüssel in seinem Mund trägt. Mut, Selbständigkeit und Stärke steht auf den einzelnen Schlüsseln drauf. Die drei größten Wünsche und Voraussetzungen, welche die junge Schwarzhaarige sich von ihrer Zukunft erhofft. Verewigt nun auf ihrer Haut und ich finde, dass es schlimmere gibt. Sie sind Erinnerungen, kleine Notizzettel für meine beste Freundin, dass sie Mut, Selbständigkeit und Stärke zeigt.

Mut gegenüber ihres Vaters, der sich vor kurzem mit ihr wegen Noah stritt. Er will nicht, dass seine Tochter einen vollgekritzelten Idioten liebt. Der Mann bemerkt gar nicht, wie glücklich dieser vollgekritzelte Idiot seine Tochter macht.

Selbständigkeit da sie endlich selber über ihr Leben entscheiden möchte. In Majas Augen mischen sich ihre Eltern viel zu häufig in dieses ein, entscheiden über Dinge, die sie selber bestimmen möchte. Zum Beispiel zwang ihre Mutter, sie erst kürzlich wieder dazu ein rosefarbenes Kleid auf einer ihrer Veranstaltungen zu tragen. Maja erträgt dies nicht mehr.

Und Stärke, damit sie endlich ihrer Familie sagen kann, dass sie und Noah sich nicht trennen werden und sie sich dies auch nicht verbieten lassen wird. Sie möchte einfach solch eine Kraft besitzen, dass sie sich traut ihren Freund mit nach Hause zu nehmen und vor ihrem Vater zu verteidigen.

Ich bin der Meinung, dass nichts gegen ihr Tattoo spricht, beobachte deswegen weiter den musternden Blick der rigiden Frau, welche sich erst nach einer Minute von Maja mit einem gequälten 'Herzlichen Glückwunsch' abwendet.

Mist, denke ich mir, mit weichen Knien.

Die hellen, blauen Augen werfen einen scharfen Blick auf mein Zeugnis in der perfekt manikürten Hand der Frau. "Miss Chapel", liest sie meinen Namen vor, betont das P dabei so sehr, dass ich hart schlucken muss und unwohl nicke.

Ihre Zähne die durch das grelle Rot so sehr weiß leuchten wirken noch bedrohlicher, als von weitem, bereiten mir eine Gänsehaut. Dieses gesamte Auftreten macht mich fertig und die Tatsache, dass sie nun den Kopf leicht neigt, mir direkt in die Augen blickt, nicht besser.

Small FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt