Die kleinen Finger von Olivia schlingen sich kaum merklich um meine Hand. Wie ein aufgescheuchtes Huhn hüpft sie jedoch, sehr auffällig, neben mir auf und ab, wobei das Mädchen immer wieder an meinen Arm zieht.
Offensichtlich freut sie sich sehr, hier zu sein und darüber, dass ich ihr nun eine Geschichte vorlesen werde. Wenigstens einer von uns beiden ist glücklich über die Situation.
Das soll nicht heißen, dass ich mich nicht über sie freue, ich liebe sie. Olivia bringt mich immer zum Lachen und heitert mich auf. Sie ist ein Sonnenschein, in der finstersten Dunkelheit. Doch mich stört der Grund, die Absicht, weswegen sie sich hierbefindet.
Und die Tatsache, dass Harry nie auch nur ein Wort mit mir darüber sprach, mich am Samstag nicht dabei haben zu wollen. Ohne große Ankündigung holte er Olivia -als Mittel zum Zweck- aus Corby. Er fuhr ernsthaft vier ganze Stunden, während ich schlief.
Nur für diese Sache!
Aber Olivia trägt keine Schuld, woran ich mich nun wieder erinnere und dann ergeben seufze.
"Na, komm", meine ich zu ihr, ein kleines Lächeln über meine Lippen bringend. "Wir bringen dich ins Bett, ich les dir eine Geschichte vor und dann schläfst du. Einverstanden?"
Ein 'J'' fiepend und hektisch den Kopf schütteln, wodurch das blonde Haare wie ein Mopp um sie herum fliegt, antwortet sie mir, bevor das Gehüpfe schon wieder von vorne startet, bis sie, endlich im Schlafzimmer angekommen, dort auf die auf geblasene Luftmatratze springt und unter die Decke kriecht.
"Hast du ein Buch mit?", erkundige ich mich bei ihr, als mir auffällt, dass Harry und ich kein einziges Kinderbuch besitzen. Aber wieso sollten wir auch eins haben?
"Ja." Erneut wackelt der kleine Kopf rauf und runter. Man müsste sich langsam mal Sorgen um sie machen, damit sie keine Gehirnerschütterung bekommt. "In meinem Rucksack. Da" -ihre Hand deutet auf den Rucksack, welcher neben dem Bett steht, und auf dem mich breit und winkend Olaf und Elsa angrinsen. Sie wird dieses Zeug wahrscheinlich nie vergessen.
Nickend gehe ich auf das Gepäckstück zu, in dem ich nach einer kurzen Suche, zwischen Wäsche und Haarbürste ein Buch finde, das ich hervorhole. Skeptisch mustere ich das Cover.
Ein wenig überrascht, da ich mit Frozen gerechnet hatte, bewege ich mich zurück zu dem provisorischen Schlafplatz, vor dem ich auf dem Boden Platz nehme, das alte Buch in meinen Händen, über dessen Einband ich nun vorsichtig streiche.
In schnörkeliger Schrift steht 'Die Geschichte von Dornröschen' in weißer Farbe vor einer hohen Hecke an Rosen, unter denen eine schöne Prinzessin schlafend liegt. Ein wenig sind die Ecken des Buches schon geknickt, ebenso löst sich der Einband leicht vom Buch, welches schon ein paar schlimme Zeiten erlebt haben muss.
Die erste Seite aufschlagend entdecke ich eine Widmung, auf leicht vergilbtem Papier und in ausgeblichener Schrift. "Für meine liebe Enkelin, Olivia. In Liebe, dein Opa", lese ich hauchen vor, erhalte ein Nicken von dem Kind, das mir dann erklärt: "Als ich noch ganz klein war, da hat er mir immer diese Geschichte zum Schlafen vorgelesen, wenn ich zu Besuch war. Aber jetzt bin ich ja nicht mehr klein."
"Nein", entgegne ich, zustimmend nickend. "Jetzt bist du schon fast sieben."
Und trotzdem hüpft sie manchmal noch wie eine Dreijährige vor mir auf und ab. Aber mir gefällt es, wenn sie sich nicht zu großartig ändert. Sie soll immer dieses kleine, leicht tollpatschige Mädchen bleiben, das damals im Kindergarten einen geheimen Freund besaß, mit dem ich sie spät abends im Gebäude erwischte. Nur, weil ich meine Jacke vergessen hatte.
Irgendwie war es vielleicht Schicksal, oder?
Wenn ich meine Jacke nicht vergessen hätte, und dadurch nicht nochmal zurück gemusst hätte, dann wäre ich Harry damals nie auf die Schliche gekommen. Ich hätte von dieser Sache nichts gewusst und diese Sache spielte irgendwie eine große Rolle in unserer Entwicklung damals.
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Small Freaks
Fanfiction"Es fühlt sich an wie sterben!" Honor muss feststellen, dass auch sie sich in den Menschen aus ihrer Umgebung täuschen kann. Doch nicht nur sie schätze Menschen falsch ein, sondern auch Harry, der dadurch wütend wird, beginnt an einigem zu zweifeln...