320-Antrieb

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Ungeduldig werfe ich immer wieder einen Blick auf mein Handy, obwohl ich es auf laut gestellt habe. Immer wieder ziehe ich es aus meiner Hosentasche, nur um meinen leeren Hintergrund zu sehen, während Olivia gespannt in den Fernseher guckt, stolz bei Anna und Elsa mitsingt.

Mit ihren kurzen Beinen wackelt sie vor der Couch hin und her, manchmal in die Hände klatschend und manchmal sich die Fernbedienung schnappend, um den Ton lauter zu stellen. Vor allem wenn Olaf spricht und sie den Text quasi schon mit spricht.

Draußen ist es mittlerweile schon sehr dunkel. Die Straßenlampen wurden angeschaltet und der Mond erscheint langsam hinter den hohen Häusern von London. Irgendwo in der Stadt befindet sich auch Harry, alleine mit Niall, in der Nähe seines verrückten Vaters.

Zu gerne würde ich bei ihm sein, in meine Arme nehmen oder zumindest mit ihm sprechen -egal ob von Angesicht zu Angesicht, oder nur übers Telefon. Ich möchte für ihn da sein.

Es fühlt sich falsch an, dass er dort ist, während ich hier sicher Zuhause bin. Er kämpft, begibt sich in die Gegenwart dieses scheußlichen Mannes. Ich hocke nur hier Zuhause im Warmen, bekomme genug zu essen, zu trinken und habe ein Dach über dem Kopf.

Was Harry angeht, bin ich mir bei allem unsicher.

"Soll ich das Essen vorbereiten?", zieht Anne mich aus meinen Gedanken, liebevoll eine Hand auf meine Schulter legend. "Ich könnte das Abendessen kochen, damit du dich vielleicht noch etwas ausruhen kannst. Du wirkst ziemlich erschöpft", teilt sie mir freundlich mit, leicht besorgt dabei guckend.

"Nein!" Schnell schüttele ich meinen Kopf, antworte ihr ruhig. "Ich besitze keine Nerven, um schlafen zu können. Da mach ich mir nur noch mehr Sorgen um ihn und wälze mich hin und her. Aber ich könnte dir helfen", biete ich zum Schluss an, worauf sie einverstanden nickt.

Seufzend richten wir beide uns von der bequemen Couch auf und als ich zur Uhr blicke, muss ich feststellen, dass wir es bereits kurz vor halb sieben haben. Harrys Kampf beginnt, glaube ich, in einer halben Stunde und er hat mich immer noch nicht angerufen oder geantwortet.

"Olivia!" Die Aufmerksamkeit des kleinen Kindes lenke ich kurz auf mich, um ihr nur zur Sicherheit mitzuteilen, wo Anne und ich uns befinden werden. "Wir sind in der Küche, wenn etwas sein sollte, ja?"

"Okay!" Sie nickt wild mit ihrem Kopf auf und ab, murmelt ihre Antwort jedoch eher beiläufig, total fasziniert von dem Film.

Ich verstehe einfach nicht, wie sie das immer noch toll finden kann, obwohl sie ihn zum nun schon bestimmt tausendsten Mal schaut. Das muss doch irgendwann langweilig werden, wenn man das Ende schon kennt und alle Texte auswendig aufsagen kann.

Mir würde das Anschauen dann irgendwann keinen Spaß mehr machen, doch sie scheint sich noch an jeder Kleinigkeit zu erfreuen. Genau deswegen finde ich sie so liebenswert.

Olivia regt sich über nichts und niemanden auf, erfreut sich an jedem Bisschen, das sie im Leben erhält. Sie beschwert sich nicht und gibt sich immer große Mühe, niemanden zu verletzen. Man kann sie nur lieben.

"Hat er sich immer noch nicht gemeldet?"

Im Flur hält Anne mich kurz auf, sieht mich besorgt und neugierig an. Als Antwort schüttele ich nur meinen Kopf, deprimiert seufzend. Es tut weh, nicht zu wissen, wie es ihm gerade geht und der Schmerz in meiner linken Brust wird immer größer.

"Er wird es bestimmt noch tun, da bin ich mir sicher", möchte die Frau mich dann aufmuntern, streicht zuversichtlich über meinen Rücken. "Ganz bestimmt!"

"Hoffentlich", kann ich nur säuselnd entgegnen, begebe mich dann weiter in die Küche, wo ich den Kühlschrank öffne, die Hähnchenkeulen und das gefrorene Gemüse aus dem Kühlfach hole. Olivia wünschte sich dies unbedingt, weswegen wir es heute kauften.

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