290-Neologismus

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"Gott, wie sehr ich diesen scheiß Kerl hasse."

Wütend sein Handy zurück auf den kleinen, von mir selbst gebastelten Nachtschrank legend, dreht Harry sich wieder zu mir. Mit einem angespannten Ausdruck, gestressten Blick und geschürzten Lippen seufzt er tief in meine Halsbeuge.

Ungefähr eine halbe Stunde lang konnten wir seelenruhig nach dem, naja, nach dem, was wir halt taten, liegen bleiben. Der Mann verteilte ständig küsse auf meiner Schulter, meinem Hals oder meinem Gesicht, was sehr stark kitzelte. Ich zog kleine Kreise mit meinen Zeigefinger auf seiner blanken Brust oder lauschte dem Herzschlag, der durch den Brustkorb pochte.

Er besitzt ein Herz, eindeutig.

Leider jedoch rief vor ein paar Minuten dann jemand an, der Harry nun scheinbar aufregt, denn er wirkt nicht mehr so locker und entspannt. Seine Stirn liegt in Falten und auch auf seiner Nase bildet sich dieser kleine Streifen, den ich zu gerne glatt streifen würde.

"Harry?", hauche ich leise. Vorsichtig melde ich mich zu Wort, um die Sache sanft anzugehen. "Wer war das?"

"Mein blöder Vermieter, dieser alte Pisser will, dass ich seine blöden Blumentöpfe aus dem Dachboden hole", knurrt er wütend. Den Stoff meiner Decke zieht er fest mit seinen geballten Fäusten, was ich unwohl beobachte. Es wirkt, als würde er sie gleich in kleine Fetzen reißen. "Er denkt, dass er immer noch Offizier in der britischen Army ist und ich sein Rekrut, den er durch die Gegend scheuchen kann."

Ohne Kontrolle kann ich mir mein Kichern nicht verkneifen, schlage mir amüsiert und aus Schreck mein Hand vor den Mund, in der Hoffnung, der Mann habe es nicht gehört. Leider wird meine Hoffnung kurz darauf aber schon zu Nichte geschlagen, als Harry mich mit den grünen Augen grimmig ansieht und ich verfolgen kann, wie seine Hand sich unter die Decke schiebt, bis ich seine Finger an meinem Handgelenk spüre.

"Ich finde das wirklich nicht lustig!", meint er bedrohlich, sich meinem Gesicht nähernd. "Ganz und gar nicht."

"Aber es ist doch schon irgendwie lustig, dass ein alter Mann dich durch die Gegend kommandiert, während du genervt stöhnst", entgegne ich entschuldigend, leicht den Kopf neigend. "Ich meine, er würde bestimmt so etwas sagen, wie 'Also früher gab es solch einen Ungehorsam in meinem Battalion nicht! Da wurde jede Weichmeme sofort zurückgelassen', und dann würdest du mit einem Spruch antworten, der ihn nur noch mehr empört."

"Das würde dir so gefallen. Stimmt's?", entgegnet Harry mir, worauf ich kichernd nicke und einen entschuldigenden Blick aufsetze.

Murmelnd antworte ich dann: "Also ein wenig schon."

"Und wie kommst du bitte auf das Wort Weichmeme?", erkundigt er sich weiter. Es wirkt so, als würde er nun überlegen, ob dieses Wort überhaupt so existiert, aber zum Glück passte ich damals in der Schule, im Gegensatz zu Harry, auf und kann nun ein Wort raushauen, welches ich schon immer hasste. "Neologismus!"

Zusätzlich verschränke ich meine Arme lässig vor meiner Brust, klemme mir aber den Stoff der Decke zwischen Arme und nackte Haut.

Auch der Lockenkopf muss nun lachen und beugt sich etwas beruhigter nach vorne, weil er mich küssen will. Doch ich lasse dies nicht zu, denn mich beschäftigt noch eine Frage. Meinen Kopf drehe ich schnell weg, frage ihn so, dass er weiß, dass ich nichts anderes akzeptiere: "Du wirst ihm doch helfen?"

"Ganz bestimmt nicht", kontert der Mann sofort, vehement den Kopf schüttelnd. "Ich bleibe bei dir", meint er weiter, mich eng an sich ziehend. "Wir könnten nochmal miteinander schlafen, oder gemeinsam duschen gehen, dann würde ich dir eine tolle Massage auf der Couch anbieten und ein leckeres Frühstück kochen", raunt der Mann mit seiner heißen, leicht brüchigen Stimme verführerisch an mein Ohr, küsst dann diese eine Stelle kurz unter meinem Ohrläppchen.

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