267-Luft der Gefangenschaft

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*Denkt dran, erst Kapitel 266 zu lesen, falls ihr -so wie ich- eure Benachrichtigungen von oben abarbeitet*

"Du siehst großartig aus, Schatz", komplimentiert Mom mich, die schon seit zwanzig Minuten, wie ein Indianer ums Feuer, tanzt. Ständig zupft sie an dem Stoff der weinroten Robe rum, kämmt meine Haare, krempelt die Ärmel um, da meine Arme zu kurz sind. "Wirklich. Ich bin so stolz auf dich."

"Danke, Mom", spreche ich ihr zu, mich erneut skeptisch und nervös im Spiegel betrachtend. Meine Wangen führen sich, wie die heißen Gluten aus dem Feuer an, meine Augen starren glasig zurück und meine Atmung geht flach, stockend, sowie schwer fällig.

Ich bin mir so unsicher darüber, ob mir diese rote Farbe steht, ich nicht, einfach Zuhause, bleiben sollte oder doch noch mit meinen Eltern reden, damit sie nicht zu sehr davon überrascht sind, wenn Harry sie nicht grüßt oder gar beachtet.

Doch ich kann diesen großen Tag meiner Mom nicht verderben.

In den letzten Tagen, an denen wir häufig abends telefonierten, klang sie schon immer so begeistert, meinte immer wieder, wie stolz sie auf mich sei, wie sehr sie sich freut und so viel mehr, weswegen ich diesen Tag nicht zerstören darf. Ich darf es ihr zur Liebe nicht.

Wenigstens verstand sie, dass ich mit ihnen heute Abend nicht feiern kann, weswegen sie, Grandma, Grandpa und Dad gemeinsam in ein Theater gehen werden, während ich auf einer Abschlussfeier kellnere, um mir noch etwas Geld zu verdienen.

Wenn ich in Corby bin, will ich nicht zu viel Hilfe von meinen Eltern verlangen und finde es schon so lieb von ihnen, dass sie mich bei sich wohnen lassen.

Und zusätzlich lenkt mich der Abend dann, von allem heute Geschehenen ab.

"Denkst du, dass ich so gehen kann?", frage ich meine Mutter, die ihr eigenes Kleid nun richtet, welches mir sehr bekannt vorkommt, bis es mir einfällt.

Sie trug dieses Zitronengelbe Kleid, als Harry bei uns zum Dinner eingeladen war. An dem Abend, an dem ich ihm nachlief, wir uns anbrüllten und meine Eltern mir davor diese komplizierte Familiengeschichte erzählten. Es war nur ein Dankesessen, mit so vielen Folgen.

"Du siehst wunderschön aus, Honor", meine sie, eine Träne unter ihrem Auge schluchzend wegwischen. "Wirklich. Wunderschön. Ich bin so stolz auf dich."

Dankend, nun fast selber am Weinen, umarme ich sie fest, lege mein Kinn auf ihrer Schulter ab. Häufig fällt es mir schwer, mich richtig bei ihr zu bedanken. Mir fehlen oft die Worte und irgendwie... Ich traue mich ständig nicht, aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder sie irgendwie... zu verletzen.

Vielleicht bin ich in den letzten Jahren auch einfach vorsichtig geworden und verspüre immer diesen Hintergedanken, dass ich sie solange schon anlüge, weswegen ich keinen richtigen Satz hervor bekomme, der ihr meinen ganzen Dank deutlich macht.

"Fertig?" Neugierig streckt Ethan seinen Kopf in den Raum rein, schaut staunend an mir herab, wie ich dieses weinrote, lange Ding trage. "Wow. Ruby, du siehst umwerfend auf", meint er, den Mund nicht mehr zubekommend, worauf ich mich verlegen, sowie kichernd wegdrehe, erneut unwohl im Spiegel betrachte.

Dieses Ding sieht so komisch aus und irgendetwas fehlt.

Harry. Harry fehlt, der neben mir stehen könnte, ebenfalls diese Robe tragend und sich über die Farbe und allgemein den Stoff aufregend, bis ich ihn beruhigt habe, dass er es so hinnehmen muss. Wo er wohl gerade steckt?

Vielleicht bei seiner Mutter, die eventuell genau so stolz wie meine, neben ihm steht und letzte Vorkehrungen trifft.

"Dir steht die Farbe besser als mir", gebe ich zurück. Langsamen Schrittes bewege ich mich auf Ethan zu, der mir seine Hand reicht und mich dann aus dem Schlafzimmer, raus in den Flur führt, wo der Rest meiner Familie, zusätzlich Nathan wartet, der sofort ein Foto von mir schießt.

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