256-Erdbeereis

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Den Pappbecher mit dem geschmolzenen Eis in der Hand, die Decke über meine Beine gezogen und die nächste öde Liebesschnulze im Fernseher laufend, schluchze ich auf der Couch vor mir hin, weine und schöffel zusätzlich immer wieder einen großen Löffel Eis in meinen Mund, um die gequälten Geräusche von mir zu ersticken.

Letztes Jahr ertrank ich meine Gefühle in Tee, das Jahr davor verbrannte ich sie mit in der Kehle brennenden Hustenbonbons und dieses Jahr erfriere ich sie mit dem Erdbeereis.

Dabei hasse ich Erdbeereis.

Mir selber kann ich nicht erklären, wie diese Sorte es in das oberste Fach meines Gefrierfachs schaffte, jedoch tippe ich darauf, dass Ethan es einmal dort abstellte und dann vergaß. Er tat ähnliche Dinge schon häufiger.

Vergessener Orangensaft zwischen Milch und Cola, Bonbons, die er irgendwann mal bei mir wieder fand oder ekliger Käse, der schon Schimmel besaß. Mein Kühlschrank steht seit drei Jahren quasi leer, weswegen ich mich bei meinem besten Freund nicht beschwere.

Genauso, wie ich es nicht bei dem scheußlichen Erdbeereis tue, von dem ich mir einen weiteren Löffel in den Rachen schiebe, während die Hauptfiguren vor meinen Augen auf einem wackligen Boot rummachen -wie Nathan immer meint. Ich eventuell auch schon häufiger.

Über die Jahre hinweg, veränderte sich meine Wortwahl ein wenig. Manchmal fluche ich, manchmal bin ich zurückhaltend und bringe kaum einen Ton hervor. Abhängig von der Situation, der Person, mit der ich rede und am meisten von meiner Gefühlslage.

Einige Sachen nehme ich schon seit drei Jahren hin, andere wiederum nicht. Da bildet dieses Eis, dessen Sorte ich verabscheue nur eine kleine Verletzung in meinem gekränkten Zustand oder Leben.

Der Hauptdarsteller schaut komisch aus, wie er die Frau küsst, dabei über ihre Arme streicht und ich frage mich, wie viel er für dieses katastrophale Schauspiel wohl als Bezahlung erhielt. Sollte es viel sein, muss ich wohl doch ein wenig mein nicht vorhandenes Schauspieltalent nutzen und einen Film drehen, damit ich weiterhin mit dem Geld über die Runden komme.

Mein Gehalt als Kellnerin in einem kleinen Fastfoodrestaurant reicht nämlich gerade mal so für einen Monat.

Also zumindest bezeichne ich es immer als schäbiges Fastfoodrestaurant, während der Besitzer es als ein Angebot an verschiedenen Gerichten sieht, die einen satt werden lassen. Ja, fünf Minuten Pommes im Fett frittieren sättigt einen zwar, jedoch besteht unser Angebot nur aus Bürgern, Nuggets und Pommes zum Mittag und Pancakes oder Rührei plus eine überteuerte Tasse Kaffee zum Frühstück.

Mein Job, seit zwei ein halb Jahren.

Was anderes fand ich auf die Schnell nicht und meine Eltern nach mehr Geld fragen konnte ich nicht. Mir war es peinlich. Also nahm ich den Job an, bei dem ich manchmal nach der Uni und gelegentlich abends kellnere, wodurch ich mein Geld für die Wohnung sowie Essen zusammen bekomme. Jedoch auch nur gerade so und mit vielen Überstunden.

"Ich liebe dich, für immer", verspricht der Mann der Frau keuchend, küsst sie erneut, bevor der Bildschirm schwarz wird und die Werbung beginnt.

Jedes Jahr gebe ich mir zum dreizehnten eine Menge an Kitschfilmen, die mich traurig machen und mir ein grauenhaftes Gefühl von Einsamkeit geben. Sie zeigen mir einfach, wie alleine ich bin, erinnern mich immer wieder daran, dass ich verlassen wurde und regen mich auf. Ich hasse sie, schaue sie trotzdem jedes Jahr.

Bei der Werbung zu einem neuen Hand fällt mein Blick zu meinem Telefon, das nun, nach einigen Jahren ein paar Kratzer auf dem Bildschirm besitzt und dessen Ladeschutz fehlt. Er fiel irgendwann einfach ab. Trotzdem kann ich mir kein neues leisten, muss mit meinem vorlieb nehmen, bis ich endlich aus der Uni raus bin und dann einen hoffentlich vernünftigen Job finden werde.

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