281-Anne

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Mit stockender Atmung, einer mich auffressenden Nervosität, wackligen Beinen und einem schwer aufgesetzten Lächeln schaue ich in die grünen Augen, der mir gegenüberstehenden Person, die mich entschuldigend ansieht.

"Verzeihen Sie die Störung, Miss Chapel", entschuldigt sie sich, mit ihrer sanften Stimme. "Sie erwarten mich nicht, jedoch-"

"Wo ist Harry?", unterbreche ich stammelnd, sowie besorgt seine Mutter, die bei meiner Frage in ihrer Handlung stoppt, die Schultern etwas anspannt.

Alleine an ihrem Blick erkenne ich, dass etwas geschehen sein muss. Sie sieht besorgt aus, bittet mich um Verzeihung, da sie all meine Hoffnungen in den Wind schlägt, durch Sorge ersetzt. Die schwarzen Haare wirft sie in den Nacken, worauf einige jedoch wieder auf ihren Schultern landen.

"Er kann nicht kommen", erzählt die Frau mir leise, wirft kurz einen prüfenden Blick in den Hausflur, als könne ihr Sohn vielleicht doch noch an gehechtet kommen.

"Wieso?"

Ihre grünen Augen sehen den von Harry wirklich sehr ähnlich, fast schon zum Verwechseln. Doch die des Mannes sind etwas dunkler, strahlen mehr und schenken mir, wenn ich in sie blicke, dieses geborgene Gefühl. Von denen seiner Mutter bekomme ich zurzeit nur Angst und würde am liebsten an ihr vorbeistürmen, um nach Harry zu suchen.

Doch wo sollte ich nach ihm suchen?

Die schwarzen glatten Haare umspielen das feine Gesicht nicht so, wie es die wuscheligen, kurzen Locken tun. Sie hängen nur platt herunter, wirken kraftlos und spröde. Und doch, finde ich Harrys Mutter schön, eine wunderschöne Frau für ihr Alter.

Das grüne Kleid, welches locker ihren femininen Körper umspielt gleicht ihrer Augenfarbe, spielt perfekt mit dem Blau und Weiß des Musters, das Blumenranken darstellen soll.

"Ihm kam etwas dazwischen", murmelt sie leise. Ihr Blick wechselt von entschuldigend zu bittend, ehe sie mich fragt: "Dürfte ich eintreten? Ich möchte nicht unbedingt dieses Thema mit Ihnen im Flur besprechen."

Leicht verdattert stottere ich ein 'Ja', trete zur Seite, damit die Frau sich in meine Wohnung begeben kann, wobei sie mir dankend zulächelt. Im Flur streift sie sich ihre schwarzen Pumps von den Füßen, welche sie ordentlich und gerade neben meine stellt. Nun schaut sie sich etwas im Eingang um, verharrt auf den Bildern, die auf der Kommode stehen. "Sehr schön sieht es hier aus", meint sie.

"Harry hat das vor drei Jahren so eingerichtet und ich konnte es nicht ändern", gebe ich leicht beschämt zu. Sie weiß schon jetzt, wie abhängig ich von ihrem Sohn bin, wie sehr ich an ihm hänge.

"Verstehe." Mit ihren dünnen Fingern streift sie den Stoff des Kleides glatt, dreht sich etwas und schaut weiter durch den Flur, der zu all den anderen räumen führt. Erst jetzt, wo ich sie genauer in diesem Kleid betrachte, fällt mir auf, dass sie vergleichsweise dünn ist und damals im Dinner kein Kleid trug, sondern sehr schlicht und legere gekleidet, vor mir saß.

"Mrs. Styles?" Ernst, mit einem leicht angespannten Gesicht ziehe ich ihre Aufmerksamkeit auf mich, trete einen Schritt nach vorne.

Mit einem 'O' auf den roten Lippen, welche ebenso Harrys sehr ähnlich sind, dreht sie sich zu mir, bittet mich dann schmunzelnd: "Nennen Sie mich Anne."

"Honor", erwidere ich, bevor ich vorfahre: "Was führt Sie zu mir? Harry hätte mir auch schreiben können, dass er nicht kommen kann."

"Er schickte mich", erklärt die Frau mir. "Um es dir persönlich zu erklären, Honor-"

Bevor sie weitererzählen kann, deute ich ihr den Weg ins Wohnzimmer. Dort nimmt sie seufzend auf der Couch Platz, ihre schwarze Handtasche auf ihre Oberschenkel legend und die Hände zusammenfaltend. Erneut streifen die grünen Augen durch das Zimmer und jedes Mal wenn sich unsere Blicke streifen, denke ich für einen kurzen Moment den Lockenkopf mir gegenüber sitzen zu haben.

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