Benno
Während Lilly ihren Koffer auspackte, schrieb ich Hannah eine Nachricht, dass sie zu mir kommen soll. Dreißig Minuten später stand sie vor der Tür. ,,Hey, was gibt's?" begrüßte sie mich. ,,Ärger mit Vivien." antwortete ich finster. Sie erstarrte. ,,V-Vivien? Aber... wieso denn das?" ,,Komm erst mal rein, dann erklär ich dir alles." Wir setzten uns an den Küchentisch, wo ich ihr alles erzählte, von der Drohnachricht bis hin zu der Entscheidung, dass Carlo bei Freddy bleiben soll und Lilly bei mir. ,,Aber wieso? Ich... Ich versteh das nicht!" Verzweifelt fuhr sie sich durch die Haare. ,,Ich versteh es auch nicht. Aber was sollen wir machen? Es ist nun mal wie es ist." ,,Warum zeigen wir sie nicht an?!" ,,Weswegen denn? Wir können nicht beweisen, dass sie bei Carlo eingebrochen ist. Er konnte ja nicht mal erkennen ob es ein Mann oder eine Frau ist!" ,,Bin ich froh, dass er Ende des Monats weg zieht." sagte sie und ließ sich gegen die Stuhllehne fallen. ,,Ich weiß nicht... Ich werde die Mansion schon vermissen." ,,Das tun wir alle, Benno. Aber ich glaube kaum, dass Carlo ein Auge zumachen kann, wenn er weiß, dass da schon mal jemand eingebrochen ist. Das könntest du doch auch nicht, oder?" Ich seufzte und knabberte an meinen Fingernägeln. ,,Ich kann einfach nicht mehr!" brach es aus mir heraus. Überrascht sah sie mich an. ,,Ich kann nicht mehr. Ich kann ihn nicht mehr so leiden sehen. Ich will endlich wieder mal ruhig schlafen können. Ich will endlich damit aufhören können, mir ständig Sorgen um ihn zu machen. Ich habe Angst um ihn! Er ist mein Bruder und... ich will bei ihm sein, wenn was passiert. Aber das kann ich nicht und das macht mich fertig. Er braucht mich, aber ich... finde einfach kaum noch Zeit für ihn. Ich leide mit ihm! Ich kann das einfach nicht mehr." sagte ich. Vor Hannah war mir das egal. Bei ihr konnte ich immer endlich alles rauslassen und sie tröstete mich dann jedes mal aufs neue. Es tat so gut, jemanden zu haben, der mich immer verstand und immer für mich da war. Tröstend nahm sie mich in den Arm. ,,Ist schon okay..." sagte sie leise und strich mir über den Rücken. ,,Ist schon okay. Ich versteh das. Ich bewundere dich dafür, dass du dich so für ihn einsetzt. Er braucht dich, und das weißt du. Und wenn er dich noch so sehr anschreit, du bleibst trotzdem. Das macht nicht jeder. Aber du musst lernen, dein Leben von dem des anderen zu trennen. Du musst nicht jederzeit und wegen jeder Kleinigkeit Angst um ihn haben. Das verlangt keiner von dir. Carlo ist stark genug, um das zu schaffen. Er hat es schon einmal überstanden, er wird es wieder schaffen." redete sie auf mich ein, doch ich schüttelte den Kopf. ,,Eben nicht. Du hast ihn nicht gesehen! Diese Angst... Er sah so fertig aus und ist mit den Nerven bestimmt am Ende. Du weißt doch, wie schlimm das für ihn war. Und dass jetzt alles wieder in ihm hochkommt... Ihm geht es gar nicht gut deswegen! Ich will nicht, dass er sich verändert. Was, wenn er Lilly verliert und wieder depressiv wird? Er wird immer stiller und das macht mir Sorgen. Das kann doch so nicht weitergehen!" Ich fuhr mir über das Gesicht. ,,Du hast recht, es ist echt nicht leicht für ihn. Und das sowas ihn verändert ist traurig, aber irgendwo auch logisch, oder? Schmerz verändert Menschen nun mal." ,,Ich will aber nicht, dass er sich ändert." jammerte ich leise. ,,Ich will, dass er wieder so wird wie früher. Ich will mit ihm wieder unsere Kindheit erleben. Ich will, dass er wieder glücklich ist." Eine Weile herrschte Stille. ,,Die Zeit kann man nicht aufhalten." sagte Hannah irgendwann leise. ,,Aber mit Lilly ist er glücklich, das merkt man. Ihr wird nichts passieren, weil wir auf sie aufpassen. Wir stehen das durch, ja? Gemeinsam." Ich lächelte sie an. ,,Danke." Mehr konnte ich dazu nicht sagen, aber ich wusste, dass ich es nicht brauchte. Sie erwiederte mein Lächeln. Auf Hannah konnte ich einfach immer zählen. Sie stärkte mir den Rücken und ich war unglaublich dankbar darüber, sie zu haben. Ein weiterer Grund, warum es mir so wichtig war, für Carlo da zu sein. Ich wusste, wie gut sowas tat und wie sehr es helfen konnte. Außerdem beruhigte es mich, zu wissen, wie viel ich schon verhindern konnte...