Am nächsten Tag war es dann so weit. Viel zu schnell klingelte es an der Haustür. Ich spürte ein Zittern in meinen Fingerspitzen. Wir hatten uns schon oft gestritten in der Band, aber konnten das immer schnell regeln. Jetzt war irgendwie alles anders. Vielleicht habe ich mich geändert. Ich bin nicht nachtragender geworden, aber irgendwie ängstlicher und verletzlicher als je zuvor. Das konnten sie ja nicht wissen und ich hasste diese Seite an mir. Ich steckte meine linke Hand in die Hosentasche, mit der rechten drückte ich auf. Mein Herz schlug, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Schon hörte ich Schritte im Flur. Ich atmete noch einmal tief durch, versuchte, mich irgendwie locker zu machen und öffnete dann die Tür. Flo, Markus, Jojo, Wanja, Jenni, Toni und Tim kamen auf mich zu. „Hey." sagte ich sicherer, als ich wirklich war. „Danke dass ihr gekommen seid." Wir gingen in mein Wohnzimmer und verteilten uns auf den Sofas, die praktischerweise in einem Halbkreis angeordnet waren. In der Mitte stand ein Tisch, der mit Getränken und Gläsern geschmückt war. Ein wenig nervös rieb ich unter dem Tisch die Finger aneinander, ehe ich das Wort ergriff. „Ich weiß, ich hab euch einiges zu erklären." fing ich an. „Also erst mal wollte ich mich dafür entschuldigen, was ich letzte Woche abgezogen habe. Das war echt scheiße von mir und eigentlich gibt es auch keine Entschuldigung dafür, aber... es tut mir einfach unendlich leid. Ich bin ein Egoist, aber das ist ja kein Geheimnis mehr." Während ich sprach, sah ich niemandem in die Augen. Das traute ich mich einfach nicht. „Ich habe eine Entscheidung getroffen, die ich direkt bereut habe, aber nicht mehr rückgängig machen konnte. Ich wollte einfach nicht zugeben, dass ich Angst hatte, deswegen habe ich einen Fehler nach dem anderen gemacht und euch am Ende nur noch mehr enttäuscht." Ich schluckte. ,,Ich habe lange darüber nachgedacht und... ihr habt recht, was mich angeht. Ihr braucht mich nicht. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, vorerst aufzuhören." Ich sah vorsichtig auf und sah, im Gegensatz zu meinen Erwartungen, in erschrockene Gesichter. Ich sah zu Toni, dessen Blicke mich fast durchbohrten. Ich verkrampfte mich etwas. ,,Was meinst du mit vorerst?" Jojo war der erste, der etwas sagte. ,,Ich weiß nicht. Ein Jahr oder so, vielleicht aber auch länger oder... für immer." Ich wurde zum Ende hin immer leiser. ,,Das kannst du nicht machen!" rief Toni plötzlich und sprang auf. Ich schluckte nur und sah weg. ,,Carlo... Ich weiß was ich gesagt habe und es tut mir leid. Es war nicht so gemeint! Ich war einfach nur sauer aber... du musst deswegen nicht gleich das Handtuch schmeißen. Das war nie meine Absicht!" Markus' Stimme bebte. ,,Schon gut, es ist nicht deine Schuld. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Es ist nur... Ich pack das einfach nicht mehr. Dieses Leben macht mich krank und ich will einfach nur, dass es aufhört. Ich will doch nur ein mal wieder glücklich sein können, auch wenn das vielleicht nie passieren wird..." Ich fühlte mich immer mehr wie bei einem Verhör. Die Blicke, die Fragen, meine Worte... all das war wie eine Folter für mich. ,,Carlo?" fragte Jenni vorsichtig. Nervös sah ich sie an. ,,Wann bist du so geworden? Ich meine, ich... ich erkenne dich einfach nicht mehr. Das ist doch nicht der Carlo den ich kennen gelernt habe. Das bist doch nicht du!" Ich senkte den Blick. ,,Ich weiß." sagte ich leise. ,,Es ist zu viel passiert und... ich hab wohl noch nicht ganz alles verarbeitet." Auch ohne sie anzusehen wusste ich, dass mich Markus und Toni wissend ansahen. Ich sah kurz rüber zu Jojo, der einfach nur auf den Boden starrte. ,,Warum hast du dir keine Hilfe geholt?" fragte Wanja verständnislos. ,,Hab ich. Aber das hat nichts gebracht. Ich war ein paar mal bei einem Psychologen, der mir dann aber Tabletten verschreiben wollte. Seitdem bin ich nicht mehr hingegangen." Betroffenes Schweigen. ,,Ja, also... ich wollte euch das nur gesagt haben, falls ihr euch wundert, wenn ich die nächste Zeit nicht mehr erreichbar bin. Ich brauche einfach eine Pause von allem." Ich dachte, es wäre vorbei, aber keiner stand auf oder machte Anstalten, zu gehen. Es war, als hätte man sie an ihren Plätzen festgeklebt, denn keiner von ihnen hatte sich die ganze Zeit über bewegt. Die einzigen, die sich nicht dazu geäußert haben, waren Tim und Flo. ,,Aber wenn du Hilfe brauchst... dann sagst du es uns doch, oder?" kam es wie aufs Stichwort von Flo. Ich nickte kurz, auch wenn es nicht ernst gemeint war. Toni war der erste, der aufstand. Wollte er gehen, oder sich nur wieder aufregen? ,,Und bitte nicht wieder erst, wenn es zu spät ist." sagte er laut und eindringlich. Ich senkte den Blick. ,,Wovon redest du?" fragte Wanja. ,,Ist ja nicht so, als hättest du noch keinen Suizidversuch gestartet, nicht war?" Ich schloss kurz die Augen und sah dann weg. ,,Was?" rief Jojo entsetzt. ,,Carlo, bitte... sag dass das nicht wahr ist." flüsterte Jenni mit Tränen in den Augen. Ich zuckte nur mit den Schultern und sah dann Toni direkt an. ,,Das ist Monate her! Und aus manchen Fehlern lerne sogar ich." zischte ich. ,,Ja, deswegen machst du es ja mehrmals." kam es diesmal von Markus. Verletzt sah ich ihn an. ,,Entschuldigung wenn ich am Ende war!" rief ich. ,,Hör einfach auf, über mich zu urteilen wenn du keine Ahnung hast, wie es mir an dem Tag eigentlich ging. Und hab ich es danach je wieder versucht?!" ,,Nein." gab Markus leise zu. Ich musste ihnen noch versprechen, mich direkt zu melden und dann gingen sie. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand. Das war ja noch unangenehmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich fuhr über meinen schweißnassen Rücken und stellte mir vor, wie ich eben auf dem Sofa gesessen habe; wie ein kleiner verschreckter Junge, der beichten musste, dass er eine Straftat begangen hat. Echt lächerlich Carlo! So bist du nicht! So wolltest du nie sein...