Hannah
Ich zuckte mit den Schultern. ,,Ich hab einfach gelernt, damit zu leben, schätze ich." Doch er schüttelte nur wieder den Kopf. ,,Das geht nicht. Daran kann man sich nicht gewöhnen." ,,Es reicht jetzt auch mal, okay? Ich will daraus jetzt nicht so eine große Sache machen. Es ist wie es ist und daran kann man nichts ändern." Er schien damit nicht ganz zufrieden, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen lenkte er das Thema auf Carlo. ,,Carlo meinte das vorhin übrigens nicht so." ,,Aha." ,,Ehrlich, er hat starke Schuldgefühle deswegen." ,,Und das soll ich dir glauben?" ,,Ja." ,,Wieso?" ,,Weil es die Wahrheit ist. Ich weiß, du bist grad nicht so gut auf ihn zu sprechen, aber es wäre das beste, wenn ihr euch wieder vertragt." ,,Ach ja? Und warum?" ,,Wir wissen beide, wie schnell er überreagieren kann und dass er in seiner Wut manchmal Dinge sagt, die er eigentlich gar nicht so meint. Ihm tut es leid und er ist nur nicht mitgekommen, weil er Angst hat, du würdest ihn rausschmeißen." Ich biss mir auf die Unterlippe. ,,Du hast ihn verletzt und dann ist er eben ausgetickt. Du weißt doch, wie empfindlich er geworden ist." ,,Ich hab ihn verletzt? ICH hab IHN verletzt?!" rief ich fassungslos. ,,Was ist mit mir, hm? Denkst du, eure Worte haben mich nicht verletzt oder was? Tut mir leid wenn ich etwas überreagiere, aber ich bin gerade mit den Nerven einfach am Ende! Ich wurde gestern entführt und verraten. Ich brauche eine Pause, weil ich einfach nicht mehr kann. Und ihr zwei macht das nicht gerade besser! Ich fühl mich wie ein Stück zerbrochenes Glas und ihr werft einfach immer weiter Steine. Hast du eine Ahnung, wie ich mich fühle? Schon den ganzen Tag? Dass ich verurteilt wurde, obwohl ich euch doch eigentlich nur schonen wollte? Egal was ich mache, es ist einfach falsch. Und wenn ich nichts mache ist es auch wieder falsch! Ihr könnt mich mal! Und zwar alle beide!" Es tat so gut, endlich alles rauszulassen. Benno stand einfach nur da und ließ sich von mir anschreien, während ich alles herausschrie, was mir auf dem Herzen lag. Ein befreiendes Gefühl. Benno stand einfach nur da, während seine Augen bei jedem Satz trauriger wurden. Als ich fertig war, sah er vorsichtig auf. ,,Ich weiß, dass ich falsch gehandelt habe und... ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut. Du musst mir nicht verzeihen. Aber bitte vertrag dich mit Carlo. Er braucht dich einfach und... er ist echt am Ende. Er war kurz davor, Lilly rauszuschmeißen. Mitsamt ihren Klamotten und ihrer Nichte. Ich konnte ihn grad noch so davon abhalten. Er ist einfach nicht mehr der selbe und solche Streitereien bringen niemandem was. Jetzt entschuldige dich, bevor er es unseren Eltern sagt." sagte Benno ruhig. Ich stöhnte und gab augenverdrehend nach. ,,Aber nur, weil ich es nicht ertragen kann, dich so zu sehen." brummte ich. Seine Augen fingen wieder an zu strahlen. ,,Danke!"
Kurz darauf stand ich also wieder vor Carlos Tür. Ich warf Benno noch einen zweifelnden Blick zu, doch da hatte er schon geklingelt. Wenige Sekunden später ging die Tür auf. ,,Hannah." rief Carlo überrascht, dann fiel er mir um den Hals. ,,Danke, dass du gekommen bist." ,,Dank nicht mir, dank Benno." entgegnete ich. Wir gingen rein und setzten uns in die Küche. ,,Tut mir leid. Dass ich so ausgetickt bin und... dass ich keine Rücksicht auf dich genommen habe. Es war einfach alles zu viel und da hab ich wohl ein bisschen überreagiert." Beschämt über sich selbst starrte er auf den Boden. ,,Ist schon gut, ich kann es ja irgendwo auch verstehen. Mir tut es auch leid. Es war vielleicht doch nicht die richtige Entscheidung, es einfach zu verheimlichen." Er lächelte schwach. ,,Also alles wieder gut?" fragte er versöhnlich. Ich zögerte kurz, nickte aber dann. ,,Alles wieder gut." Sein Lächeln wurde breiter und er nahm mich fest in den Arm. ,,Das heißt, du bleibst wieder hier?" fragte er hoffnungsvoll. ,,Ich... weiß es nicht. Ich muss dringend das Türschloss reparieren lassen. Andererseits fühle ich mich immer noch unwohl zu Hause." ,,Bleib doch. Bitte. Zumindest nur für heute." Ich willigte ein.