Kurz darauf ging ich ins Bett. Mein Handy hatte ich schon vor Stunden ausgeschaltet. Ich hoffte nur, dass ich Jan nie wieder begegnete, allerdings wusste ich, dass es nahezu unmöglich war, ihm aus den Weg zu gehen. Irgendwann musste ich wieder nach Hause. Irgendwann ging ich wieder arbeiten. Irgendwann war ich mal alleine draußen unterwegs. Und dann war keiner da, um mir zu helfen. Ich konnte mich nicht immer bei Carlo verstecken und er war auch nicht immer da, um mich zu beschützen. Ich drehte mich um und schloss die Augen. Ich schlief nur noch mit Nachtlicht.
Ich fuhr hoch. Ein Geräusch hatte mich geweckt. Dabei war es doch mitten in der Nacht! Ich wartete ein paar Sekunden. Das Geräusch ertönte erneut. Es kam vom Fenster. Langsam ging ich darauf zu. Ich hatte vergessen, die Rollläden herunter zu machen. Es klang so, als würde jemand Steine an das Fenster werfen. Ich bekam Panik und wich unverzüglich einen Schritt zurück. Lange geschah nichts mehr. Ich knipste das Licht aus und ging wieder zum Fenster. Vorsichtig sah ich hinaus in den Garten. Es brauchte ein bisschen, bis ich draußen etwas erkennen konnte, aber dann sah ich es klar und deutlich: die Umrisse einer Person. Jan! Für eine Sekunde blieb mein Herz stehen und ich musste einen Angstschrei unterdrücken. Scheiße! Was macht er hier? Woher weiß er, wo ich bin? Wie hat er mich gefunden? Tausende Fragen rasten durch meinen Kopf, aber auf keine von ihnen fand ich eine Antwort. Ich ging langsam immer weiter vom Fenster weg, gegen das mittlerweile keine Steine mehr geworfen wurden. Die Angst lähmte mich beinahe. Ich spürte Tränen in den Augen, doch unterdrückte sie mühevoll. ,,Carlo." versuchte ich zu schreien. ,,Carlo!" Doch meine Stimmbänder schienen verschwunden, sodass ich nicht mehr als ein Flüstern herausbekam. Ich musste hier weg! Ich durfte hier nicht länger bleiben. Er durfte nicht erfahren, wo ich war. Jan durfte nicht wissen, wo ich mich aufhielt! Eine Träne verließ mein linkes Auge und rollte leise über meine Wange. Dann hörte ich einen erneuten Stein. Starr vor Angst sah ich zitternd zum Fenster, bis ich wieder die Beherrschung über meinen Körper zurück erlangte. Ich stürzte aus der Tür und ins Bad, zog mir schnell die Klamotten von gestern über und packte meine Sachen zusammen, wobei mir in der Hektik eine Schampoo-Flasche runterfiel. Shit! Ich wollte gerade zur Tür raus, als ich gegen Carlo lief, der mich verschlafen anblinzelte. ,,Was machst du?" brummte er müde und rieb sich die Augen. ,,Ich muss hier weg." flüsterte ich, während ich gegen aufsteigende Tränen ankämpfen musste. Mit einem Schlag schien Carlo hellwach. Er stieß mich zurück ins Badezimmer und schloss die Tür. ,,Du gehst nirgendwo hin. Das ist viel zu gefährlich!" ,,Bitte! Du verstehst das nicht. Er weiß, dass ich hier bin!" ,,W-was? Wer weiß das?" fragte er überfordert. ,,Na, Jan!" rief ich aufgelöst. Guten Morgen, Carlo. ,,Aber... wie? Ich... Ich verstehe das nicht." Ich zitterte immer noch. ,,Er war im Garten. Er weiß dass ich hier bin. Verdammt, Carlo! Er weiß dass ich hier bin!" schrie ich unter Tränen. Weinend sank ich zu Boden. ,,Ganz ruhig, ja? Du bleibst. Zieh dich wieder um und komm zu mir ins Bett. Und keine Wiederrede!"
Kurz darauf lag ich zwischen Carlo und Lilly in Carlos großem Bett und beruhigte mich allmählich. Carlo hatte seinen Arm um mich gelegt und hielt Lillys Hand. ,,Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus." flüsterte er. ,,Du wirst sehen." Irgendwann fielen mir dann doch wieder die Augen zu.