Ich ging runter zu Lilly. „Das klingt echt schrecklich." sagte sie leise. Ich nickte leicht. Mitfühlend strich sie über meinen Rücken. „Das muss vor allem hart für dich sein... Wo du es doch auch erlebt hast..." Ich starrte auf den Boden. „Ich weiß, wie sie sich fühlt. Das schlimmste daran ist nur, dass ich ihr nicht helfen kann." Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Es wird schon alles gut gehen." meinte sie leise. „Mhm." machte ich nur. „Ich wollte mit Lizzi auf den Spielplatz. Kommst du mit?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich bleib lieber hier und pass auf Hannah auf. Sie braucht mich gerade einfach." „Weißt du was? Dann gehe ich lieber mit ihr einkaufen. Das muss schließlich auch wieder gemacht werden. Wir gehen einfach ein andern mal. Wir haben ja noch eine Woche, bis meine Schwester wieder kommt." Ich lächelte sie dankbar an. Sie wusste nur zu gut, wie gern ich mit zum Spielplatz gegangen wäre. Sie rief nach Lizzi und half ihr, sich anzuziehen. Dann zog sie sich selber Jacke und Schuhe an und schnappte sich den Schlüssel. „Babe?" rief ich und umarmte sie von hinten. „Ja?" „Pass auf dich auf." Sie lächelte und drückte mir einen Kuss auf den Mund. „Werde ich. Bis später. Ruf an, wenn was ist!" Dann war sie aus der Tür. Kurz darauf hörte ich zwei Autotüren und dann den Motor. Schließlich fuhr das Auto weg. Ich seufzte schwermütig und fing an, ein wenig aufzuräumen. Danach sah ich kurz nach Hannah. Sie schlief zwar, aber sehr unruhig. Ich machte die Nachttischlampe an, damit sie sich etwas sicherer fühlte und malte ein Bild, während leise Musik das Haus erfüllte.
Plötzlich hörte ich Schritte auf der Treppe. Hannah rannte runter und zur Haustür, doch noch bevor sie diese erreichen konnte, hatte ich sie schon eingeholt und hielt sie von hinten fest. „Lass mich los! Ich muss hier weg! Bitte!" rief sie verzweifelt und wehrte sich gegen meinen Griff, doch ich ließ nicht locker. „Komm runter. Dir passiert nichts." sagte ich ruhig, aber sie hörte nicht auf mich. Stattdessen versuchte sie nur noch mehr, sich zu befreien. Es kostete mich all meine Kraft, sie fest zu halten und gleichzeitig von der Haustür wegzuziehen. „Lass mich los!" weinte sie und trat nach mir. Sie kämpfte immer noch gegen mich an, als würde ich sie gegen ihren Willen bei mir einsperren. „Ganz ruhig, ja? Shhh. Alles ist gut." Ich hob sie hoch und trug sie ins Musikzimmer. Erstens konnte ich sie hier einschließen und zweitens lag es im Keller, sodass sie länger zur Haustür brauchte als von oben. Ich stieß sie aufs Sofa, um von ihr nicht weiter getreten zu werden, und drückte sie runter. „Beruhig dich!" rief ich wütender als beabsichtigt. Sie zitterte stark und war total hysterisch. Ich setzte mich so auf sie, dass sie Arme und Beine nicht mehr bewegen konnte. „Tut mir leid. Aber du darfst jetzt keine Dummheiten begehen, okay?" sagte ich einfühlsam. Immer noch rannen Tränen ihr Gesicht herunter. „Ich weiß wie du dich fühlst. Was glaubst du, wie oft ich mich Isa stellen wollte, nur um andere zu schützen? Ich verstehe, wenn du Angst hast. Aber lass diese Angst nicht dein Leben kontrollieren. Okay?" „Du hast doch keine Ahnung..." flüsterte sie und sah weg. „Doch das hab ich! Ich weiß wovon ich rede und ich weiß, wie du dich fühlst, glaub mir." Sie schüttelte nur den Kopf. „Wenn es wirklich so wäre, würdest du mich gehen lassen und nicht festhalten." „Es tut mir auch leid dass ich das tun muss, aber... anders weiß ich mir grad nicht zu helfen. Bring dich nicht absichtlich in Gefahr. Versprichst du mir das?" Sie reagierte nicht. Langsam stand ich auf. Ich wusste noch nicht ganz, ob ich ihr trauen konnte. Mein Verdacht bestätigte sich. Kaum war ich komplett von ihr runter, sprang sie auf und wollte zur Tür raus rennen. Mit einem reflexartigen Sprung hielt ich sie gerade noch davon ab. „Lass mich los! Du verstehst das nicht!" schrie sie. Ich sprang auf, sprintete zur Tür und schloß ab, ehe sie mir folgen konnte. „Carlo! Lass mich raus!" schrie sie und schlug gegen die Tür. „Ich hasse dich! Lass mich gefälligst hier raus, du mieses Arschloch!" Ich schluckte und entfernte mich langsam von der Tür. „Carlo!" schrie sie immer noch. Ich ging die Treppen nach oben und lehnte mich gegen eine Wand. Es war für mich doch auch nicht einfach. Ich hatte gerade meine Schwester im Keller eingesperrt! Das schlechte Gewissen saß tief, aber anders wusste ich mir, und vor allem ihr, nicht zu helfen.