Kapitel 169

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Nachdem Veronica entlassen worden war sollte sie sich aber noch ausruhen weshalb sie daheim dann im Bett lag und Kai gleich mit dahin gegangen war. Den Fernseher hatte er vorher noch nach oben transportiert auch wenn Veronica rumgemeckert hatte erst da Kai sie nicht gefragt hatte. Anschließend holte er Tacos, Cherry Coke und legte sich hin. Komplett selbstverständlich zog er sie dabei etwas zurecht und legte den Kopf dann auf ihre Brust und ihre Hand auf seinen Kopf bevor er sich einen Taco in den Mund schob. "Und jetzt mach das an.", forderte er zufrieden.

Sie war zum Glück einen Tag später entlassen worden und kam nach Hause. Eigentlich hatte sie nicht erwartet, dass Kai so streng darauf achten würde, dass sie sich wirklich ausruhte. Aber jetzt lag sie auf ihrem Bett und beobachtete wie er den Fernseher anschleppte von unten, was aussah als würde er ein Paket Reis durch die Gegend schleppen. Etwas, dass sie irgendwie verdammt sexy fand. Und auch wenn sie es vor sich selbst nur ungern zugeben wollte, es war schön jemanden zu haben, der sich auf eine komische Art und Weise um sie kümmerte. Kai legte sich neben sie und als wäre es das normalste der Welt legte er seinen Kopf auf ihrer Brust ab. Genauso selbstverständlich fing sie an ihm durch die Haare zu streichen. Mit der freien Hand schaltete sie die Sendung schließlich an und blickte so zufrieden aus wie Kai. "Wir schauen aber die alten Folgen. Die neuen sind scheiße." erklärte sie grinsend und griff mit der freien Hand zu den Taco's. Mit vollen Mund sah sie auf Kai hinab und lächelte leicht.

"Was meinst du für neue Folgen?", wollte Kai dann wissen. "Und nur das du's weißt das Eisenkraut sollte besser aus deinem Blut raus sein. Ich hab Durst." Seine Stimme klang bewusst ein wenig jammernd weil er wollte das sie ihm gab was er wollte. Vermutlich war seine Theorie einfach richtig. Die Natur glich die Heretic Sache aus in dem sie ihnen einen fast unstillbaren Durst gab der das Leben deutlich erschwerte wenn man zum Beispiel nicht bereit oder zu faul zum ständigen jagen und töten war. Für Kai war es auf alle Fälle positiv seine Lieblingsblutquelle bei sich wohnen zu haben.

"Ach der Hautdarsteller ist aus der Serie geflogen. Wegen Drogen und Alkoholproblemen." sagte sie gleichgültig "Du bist so ein Jammerlappen." sagte sie erneut und verdrehte Lachend ihre Augen "Bist du so scharf auf mein Blut, dass du es riskierst umzukippen?" fragte sie grinsend nach. Was fragte sie eigentlich nach. Natürlich war er so scharf auf sie. "Und ich hab keine Ahnung ob in den neuen Tabletten nicht auch Eisenkraut drin ist." fügte sie hinzu. "Gut aber mach schnell damit ich wieder meine Sendung sehen kann. Du hörst vorher sowieso nicht auf zu nörgeln." stellte sie grinsend klar und küsste ihn auf den Hals um ihn zu ärgern.

----- wieder in der Gegenwart ------

Viviennes Sicht:

Meine Eltern hatten mich abgeholt und ich stieg aus dem Auto. "Ich weiss du hattest es schwer. Aber ich bin froh das du wieder da bist. Du hast uns gefehlt" sagte meine Mutter und strich über mein Haar. "Wir sind drinnen wenn du uns brauchst". Ich sah mich um. Alles war so geblieben wie es war als ich hier gewesen war. Ich setzte mich auf den Zaun und starrte die alte Pferdekoppel an. Zuletzt war ich mit 13 Jahren geritten. Zusammen mit Nele. Ich seufzte. Ich vermisste sie so sehr.

Als Neles Mutter getötet worden war, hatte Nele ein paar Sachen gepackt und war in einer Nacht- und Nebel-Aktion aus Richmond verschwunden. Es hatte viel zu tun gegeben und soe wollte ihren Dad nicht mit all dem alleine lassen. Immehin war er alles an Familie, was ihr noch geblieben war. Zwar hatten sie nie ein wirklich inniges Verhältnis besessen, dennoch sah sie ihn trotzdem als Familie.
Mittlerweile war einige Zeit vergangen und obwohl Nele eigentlich nicht wieder zurück kommen wollte, musste sie es einfach, denn sie vermisste ihre Freunde... Besonders ihre beste Freundin. Außerdem war da noch die Sache mit ihrem nicht abgeschlossenen Studium, weshalb es eigentlich nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis es Nele wieder hierher zurück zog.
Ihr Entschluss stand fest, doch eine Hürde galt es noch zu überwinden. Das erste was sie unbedingt erledigen musste, war die einzige Person aufzusuchen, die sie gefühlt im Stich gelassen hatte. Es war ein mulmiges Gefühl, als Nele sie dort auf dem Zaun so sitzen sah. Wie oft hatten sie früher zusammen dort gesessen und gemeinsam philosophiert, gelacht und geweint? Würde sie sich denn freuen, sie zu sehen? Oder würde sie sie eher zum Teufel schicken? Ganz egal, Nele musste ihr zumindest versuchen ihre Lage zu erklären. Und um Verzeihung bitten. Ob sie ihr Verschwinden je verzeihen würde, war allerdings fraglich. Nele würde es sich selbst nicht verzeihen.
Sie räusperte sich, als sie nahe genug bei ihr war, um sicher zu sein dass sie sie gut hören konnte. "Vivienne?" sagte Nele skeptisch eine Augenbraue hoch ziehend, gespannt darauf, wie ihre Reaktion wohl ausfallen würde.

Ich war total in Gedanken und brauchte einen Moment um zu realisieren das ich angesprochen worden war. Ich drehte mich daher immer noch sitzend zu der Person um. Meine Augen wurden tellergross als ich diesen jemand erkannte und ich rutschte vom Zaun. Einen moment starrte ich sie nur an ehe ich auf sie zutrat und fest in die Arme nahm. Kein Wort verliess meinen Mund da ich vor Glück weinte und versuchte nicht laut zu schluchzen. Nele war wieder da. Meine einzige und beste Freundin. Sie war damals so plötzlich verschwunden und ich hatte mir Vorwürfe gemacht das es Kai gewesen sein könnte und ich sie damit im Stich gelassen hatte. Aber nun war sie wieder da. Schliesslich brachte ich es auch über mich, emotional wie ich war. "Ich hab dich sooo vermisst".

Nele hatte sie schon von Weitem gesehen und hatte den Taxifahrer daher gebeten, sie in einiger Entfernung abzuladen, denn sie wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Außerdem hatte Nele Angst. Angst davor was sie hier wohl erwarten würde. Die Furcht war zwar groß aber noch viel größer war ihre Sehnsucht nach ihrer einst besten Freundin, die Nele so dreist zurück gelassen hatte. Sie war schon fast wie eine Schwester für sie gewesen, sie waren durch dick und dünn gegangen. Wie sagte man so schön? Mit ihr hätte Nele Pferde stehlen können. Sie hasste Abschiede schon immer so sehr, dass Nele es nicht Mal übers Herz bringen konnte, sich so richtig von ihrer allerbesten Freundin zu verabschieden. Doch deutlich mehr hasste sie es, dass sie es damals nicht persönlich gemacht hatte. Nele hasste sich dafür, dass sie wegen ihr hatte leiden müssen. Was zum damaligen Zeitpunkt für Nele als sinnvoll ausgesehen hatte, bereute sie heute umso mehr. Sie straffte die Schultern und lief dann los. Diese Entfernung von einigen Metern erschienen ihr beinah endlos und mit jedem Schritt sank ihre Motivation. Was wenn sie sie nicht sehen wollte? Nele hätte eine Abweisung nicht überlebt aber sie musste es einfach wissen. Diese Ungewissheit brachte sie um, doch Nele würde um ihre Freundschaft kämpfen, ganz egal was Vivienne ihr an den Kopf werfen würde.
Der Blick den sie von ihr bekam sprach Bände und Nele versuchte zu lächeln, was jedoch nur ein schwacher Abklatsch davon war. Ihre nächste Reaktion war eine völlig andere, als die, die Nele erwartet hatte. Im ersten Moment wusste sie nicht wie ihr geschah, perplex stand Nele einfach nur wie angewurzelt da und legte nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich auch ihre Arme um sie. "Es tut mir so schrecklich leid, Vivi." brachte sie dann endlich hervor, nachdem der Kloß in ihrem Hals weg war und ihr Blick wurde getrübt, als ihr ebenfalls Tränen in die Augen stiegen. Nele schluckte, "Kannst du mir jemals verzeihen?" bekam sie noch über die Lippen und ihr Griff um ihren Körper wurde noch ein wenig fester.

Anscheinend hatte Nele nicht mit meiner Reaktion gerechnet da sie zuerst steif wie ein Brett in meinen Armen lag und dann doch auch die Arme um mich legte. Sie griff fester zu als sie nach Vergebung fragte. Ich rückte etwas von ihr ab um mir die Tränen die mir unwillentlich über die Wangen strömten wegzuwischen. "Natürlich. Du bist doch meine beste Freundin. Das mit deiner Mum tut mir so schrecklich leid. Ich kann verstehen warum du...nun eine Auszeit brauchtest. Am anfang war ich etwas egoistisch. War sauer. Aber Nele...du bist wieder da" ich lächelte unter Tränen. "Das macht alles wieder wett. Du hast ein paar richtig schräge Sachen verpasst und..." ich holte Luft und schüttelte den Kopf. Ich verfiel in meine übliche Redelust und drückte sie einfach noch einmal. "Ich kann es garnicht fassen...aber..." sorgenvoll sah ich wieder auf. "Bleibst du auch? Oder ist das erst der Abschied?"

Nele wollte sie nie mehr wieder loslassen. Die Zeit ohne sie war noch um einiges schlimmer gewesen, als es für sie bisher den Anschein gehabt hatte, jetzt wo Nele Vivienne endlich wieder hatte, sie in den Armen halten konnte. Die Tränen, die ihr jedes Mal wenn sie sich zeigten, lästig waren, blinzelte sie weg. Doch als Vivienne ihre Entschuldigung annahm waren sie prompt wieder da.
Dass sie sie noch immer als ihre beste Freundin sah, da fiel Nele ein riesiger Stein vom Herz und jetzt schniefte sie sogar etwas. Es kamen noch mehr Worte aus ihrem Mund und als sie den Tod ihrer Mom erwähnte, bahnten sich Neles Tränen endgültig unaufhaltsam frei, obwohl sie es krampfhaft versuchte aufzuhalten. Scheinbar gab es viel zu erzählen, einiges was in ihrer Abwesenheit passiert war, brachte sie dazu neugierig zu werden. Doch Nele konnte gerade nichts sagen, aus Angst vor ihrer garantiert zitternden Stimme.
Schockiert über ihre Frage, schüttelte Nele erstmal nur meinen Kopf. "Ich bleibe hier." versprach sie dann, schließlich war sie nur wegen ihr wieder zurück gekommen. Nein, es gab da keinen anderen Grund. "Du weißt doch, dass ich Abschiede hasse...", versuchte Nele so überzeugend wie möglich unter den gegebenen Umständen zu klingen. "Sag. Was habe ich verpasst?" Man sah ihr an, dass sie jemanden zum Reden brauchte. Das würde ihre erste Aufgabe als beste Freundin sein: Zuhören. Aber sie wollte selbstverständlich auch wieder an ihrem Leben teilhaben, war neugierig darauf, was es Neues bei ihr gab.

Als Nele anfing wirklich zu weinen, kramte ich ein Taschentuch hervor. Das sie bleiben würde machte mich wirklich sehr glücklich. "Gott sei Dank. Ich hätte außer meinen Eltern niemanden hier gehabt zum Reden." ich bis mir auf die Unterlippe und sah sie an. Die letzten Tage und Wochen zogen in meinen Gedanken vorbei und ich setzte mich auf den Zaun und machte ihr auch einen Platz frei. "Erinnerst du dich noch an Kai? Du konntest ihn ja nie richtig leiden aber hast dich schließlich mit ihm abgefunden. Nun...er ist Geschichte." sagte ich und richtete meinen Blick auf die Weite des Feldes. "Diese Beziehung war zum scheitern verurteilt. Ich hätte mich nie auf das Übernatürliche einlassen dürfen. Es hat mich an die Grenzen des Lebens gebracht. Wortwörtlich." Vielleicht sollte ich mit dem Anfang beginnen, denn ich wusste ihn wieder. Es war als hätte sich ein Schalter umgelegt und ich erinnerte mich an alles. ich sah ihr in die Augen. "Ich wurde zum Spielball der Hexen und es hat sich herausgestellt das Kai nunmal Rache gewählt hat und nicht die Liebe." Er hatte seinen Weg verfolgt und jeden der sich ihm in den Weg gestellt hatte ausgelöscht.

Nele konnte es sehr gut nachvollziehen, wie es wohl für sie gewesen war. Obwohl sie wenigstens noch ihre Eltern hatte. Nach dem Tod ihrer Mutter, hatte Nele niemanden mehr. Klar, ihr Dad gab es schon noch. Aber mit ihm konnte sie nicht über alles reden. Er verstand sie einfach nicht, außerdem hatte er sowieso keinen Kopf für ihre kleinen Problemchen, wie er es immer nannte.
Nele nahm das Taschentuch dankbar an und tupfte ihre Augen damit ab. Seufzend steckte sie es danach in ihre Jackentasche. "Ich bin für dich da." bestätigte sie noch ein Mal und setzte sich zu ihr auf den Zaun. Als Nele erfuhr dass Kai Parker zur Vergangenheit gehörte, atmete sie erleichtert auf. Sie hatte schon immer geahnt, dass er kein guter Umgang gewesen war. Doch hatte sie beide Augen zu gedrückt, nur weil Vivienne irgendetwas in ihm gesehen hat, was wert war ihm Vertrauen zu schenken. Vielleicht dachte sie, sie könnte ihn ändern. Nele weiß es nicht. Es tat ihr schrecklich leid für ihre Freundin, denn sie verdiente einfach nur das Beste. Trotzdem war Nele sehr froh darüber, dass diese Phase jetzt wohl abgeschlossen war und sie nach vorn sehen konnte. "Es tut mir leid. Ich hätte lieber nicht Recht behalten, was ihn betrifft." meinte Nele betrübt. "Manche Menschen sind nicht fähig zu lieben." Kai gehörte hundert prozentig auch zu dieser Art von Mensch. Wenn man von einem Menschen in seinem Falle überhaupt sprechen konnte.

Ich nickte. Kai war vielleicht fähig zu lieben. Aber nur sich und seine Träume. Es hatte ihm gefallen begehrt zu werden. Sicher auch die Beziehung zu meinen Eltern. Aber dann hatten die Hexen selbst von der anderen Seite aus alles zerstört. Im Nachhinein natürlich konnte ich nicht mehr wissen ob es jemals einen anderen Weg gegeben hätte. Ich sah zu Nele. "Ich bin eine Weile in Behandlung gewesen. Vielleicht sollte ich damit anfangen. Nicht das ich heute nicht alles erzählen kann und dann hörst du sowas über den Collegeflurfunk." Gab ich zu. "Meine Eltern haben mich eingewiesen nachdem ich wohl durchgebrannt bin. Kurzgefasst. Ich war schwanger. Dann war ich besessen. Dann wieder nicht und dann hab ich die Kinder verloren die ich eh nie hatte kriegen sollen, da sie nicht mal von mir und Kai waren sondern die seiner Zwillingsschwester...ach und dann war ich mit Amnesie geplagt und Nele...ich bin wirklich froh. Allerdings hab ich jemanden neues gefunden. Also keinen Freund oder so" ich lächelte während ich die Erreignisse nur so herunter gerattert hatte. Aber sie waren schließlich auch Vergangenheit. "Wir sind beste Freunde und in der Klinik waren wir Seelenverwandte."

Ja natürlich, Nele wusste eigentlich gar nichts über Kai. Lag bestimmt daran, dass sie niemals darauf aus gewesen war, ihn besser kennen zu lernen. Klar, er war damals Viviennes Freund - zumindest hatten sie alle das gedacht - aber Nele konnte ihm eben noch nie etwas positives abgewinnen. War es Neid, weil ihre Freundin wegen ihm nicht mehr ganz so viel Zeit mit ihr verbracht hatte? Auf jeden Fall. Aber es gab auch noch einige andere Gründe dafür. Naja, jedenfalls war Nele gerade ziemlich froh, dass die beiden nicht mehr zusammen waren. Und sie nahm sich vor, ab jetzt mehr für ihre wirklichen Freunde da zu sein. Vivienne fasste in nur wenigen Sätzen alles wichtige zusammen, was sie verpasst hatte und Nele musste zugeben, dass es sie irgendwo auch ein wenig schockiert hat. Doch Nele ließ es sich nicht anmerken. Dann kam da noch etwas über einen Seelenverwandten, den sie in der Klinik kennengelernt hatte und das versetzte ihr einen Stich ins Herz. Dass sie so jemanden in ihrer Abwesenheit gefunden hatte, war kein gutes Gefühl. Aber da war sie selbst Schuld. Nele hätte für sie da sein sollen und auch sie hätte wirklich eine Freundin gebrauchen können. Sie hätten füreinander da sein sollen und es war ihre Schuld, dass sie sich aus den Augen verloren hatten. Aber damals sah Nele eben keine andere Lösung.
Sie ließ ihre Füße baumeln und ihr Blick glitt beschämt gen Boden. "Das alles tut mir so schrecklich leid..." seufzte Nele schließlich. "Ich hätte hier sein müssen. Ich hätte dir zu gerne etwas von dieser Last abgenommen, glaub mir. Aber ich war nicht mal in der Lage mir selbst zu helfen." Sie straffte die Schultern und legte einen Arm um ihre noch immer beste Freundin - so hoffte sie jedenfalls. Nele hoffte instädnig, dass sie nicht komplett alles in den Sand gesetzt hatte.

Als Nele gen Boden sah, blickte ich zu ihr. Sie sah ziemlich bedrückt aus nachdem ich alles zusammengefasst hatte und ich setzte gerade an als sie einen Arm um mich legte. Ich lächelte und drückte mich an sie. "Natürlich kann er bei Weitem nicht mit dir mithalten. Ich kenne dich schon seit ich ein kleines Mädchen war und mit viel zu großen Gummistiefeln über den Hof gerannt bin." Das sie weggegangen war, hatte mich zwar geschmerzt, aber ich musste auch zugeben das ich meine Freundin vernachlässigt hatte.

Ich legte den Arm ebenfalls um sie und sagte dann. "Mach dir keine Vorwürfe, bitte. Ich habe dich total hängen lassen. Ich hab in der ganzen Zeit nur Kai gesehen und gehört. Hab kaum was mit dir unternommen. Das tut mir aufrichtig leid. Als alles den Bach runter ging und mir meine Eltern nicht helfen konnten, wusste ich das ich dich von mir gestoßen habe. Ich bin demnach selbst Schuld das wir nicht füreinander da sein konnten. Aber das können wir jetzt auch noch. Manuel ist übrigens der Junge aus der Klinik, er ist immernoch dort. Ich mache mittlerweile ambulant weiter. Ich hab einiges hinter mir auf das ich nicht gerade stolz bin", erzählte ich und sah dann hinter mich da mein Vater nach mir gerufen hatte. "Ja?" "Frag Nele ob sie zum Abendessen bleiben will. Deine Mutter macht gerade einen Großaufgebot an Essen fertig". Ich lächelte. "Hörst du. willst du noch zum Essen bleiben?", fragte ich meine beste Freundin und zwickte sie. "Vielleicht können wir auch dann drinnen noch etwas quatschen. Wie sonst auch immer wenn wir Semesterferien hatten und zu Hause waren."

Dass ihr Freund aus der Klinik mit ihr nicht mithalten konnte, ließ sie ihree Schultern wieder entspannen. Nele war jetzt ein wenig lockerer und die kleine Last fiel von ihr ab. Es war beinah wie früher, bevor sie damals weg gegangen war. Sie saßen auf dem Zaun, aneinander gelehnt in dieser freundschaftlich beruhigenden Umarmung und redeten. Und Nele hatte schon wieder fast das Gefühl, sie könnte über alles mit Vivienne sprechen. Ja fast. Denn über den Tod ihrer Mom war sie auch heute noch nicht wirklich hinweg und konnte auch jetzt noch nicht darüber reden, ohne dass ihre Stimmung nach unten ging. Nele war noch nie jemand gewesen, der gerne über Emotionen sprach, oder darüber wie es in ihr drin aussah. Doch seit ihrem Verlust, war sie noch verschlossener geworden. Ja, es hatte Nele verändert aber jetzt gerade fühlte sie sich in die Vergangenheit versetzt und sie hoffte, dass sie beide da wieder anknüpfen konnten, wo sie sich damals verloren hatten. Es beruhigte Nele sehr, als Vivienne wieder das Wort ergriffen hatte und sie sie nicht bedrängte oder ähnliches. Nele würde bestimmt noch eine Weile brauchen, um sich wieder zu öffnen und das wusste sie. Vivienne kannte sie wie sonst niemand.
Als sie unterbrochen worden war, weil ihre Eltern sie zum Essen einluden, wäre Nele beinah vom Zaun gefallen, als sie sich in Richtung Haus drehte. "Ja Mister Parson, ich bleibe gerne zum Essen." rief sie dem Mann dann zurück. Nele wollte diese liebe Einladung nicht unhöflich abschlagen und außerdem wollte sie gerne noch ein wenig mehr Zeit mit ihrer Vivi verbringen. Das war sie ihr immerhin auch schuldig. Das war das mindeste.

Ich knuffte meine Freundin. "Super. Lass uns vorher aber nochmal was nachsehen", ich sprang vom Zaun und zog sie mit. Wie ein Kleinkind lachte ich laut und es war mir sowas von egal. "Na komm schon. Erinnerst du dich nicht. Wir schauen mal nach ob das Versteck noch da ist", ich zog sie lachend und perplex hinter mir her und schob sie dann zum Heuboden. "Na los", ich bekam rote Wangen von der Anstrengung aber es war mir egal. Als Kinder waren wir immer hier raufgeklettert. Hatten Sachen versteckt oder uns auch mal. Hatten übernachtet. Ich war mit Kai ebenfalls hier oben gewesen und mein Dad hatte hier seinen Unfall gehabt aber das schien alles schon Jahre entfernt zu sein. So hatte ich jedenfalls den Eindruck. Als wir nur noch auf allen vieren krabbeln konnten schob ich zwei Heuballen zurück und blickte auf die Wand. "Aha..tadaa. Wir sollten sie mal erneuern", schlug ich vor und richtete mich zur Seite damit Nele die beiden Kinderhände eins in Gelb und eins in Rosa als Abdrücke auf der Wand erkennen konnte. Forever Friends. "Es tut mir leid wenn ich kindisch werde....aber ich bin einfach glücklich." entschuldigete ich mich und ließ mich dann auf den Rücken fallen und sah nach oben. "Wir haben echt viel Zeit hier oben verbracht. Oder auf den Rücken der Pferde..." Es waren Zeiten der Kindheit gewesen, Zeiten des College erwarteten mich am Whitemore wenn wir zurückkehren sollten. Sprunghaft wie ich nun mal war fragte ich sie auch direkt. "Gehst du wieder hin. Zum College? Ich war schon ewig nicht mehr. Eigentlich lohnt es sich auch kaum. Parapschyologie. Ich sollte mir ein anderes Hauptfach suchen. Ich weiß auch so das alles stimmt und ich nichts ausplaudern kann nicht ohne mit Konsequenzen zu leben."

Es tat wirklich sehr gut wieder vereint zu sein und es fühlte sich an wie nach Hause zu kommen. Immerhin hatte Nele fast ihr halbes Leben auf dieser Farm verbracht und war mit der Blondine aufgewachsen. Sie hatte sich bisher mit niemandem so gut verstanden wie mit dem Menschen neben ihr und niemand kannte sie besser als sie. Auch bei ihren Eltern war Nele immer willkommen und auch heute fühlte sie sich wohl hier.
Vivienne hopste vom Zaun auch Nele rutschte vorsichtig mit runter. Doch nicht wie vermutet, um ins Haus zu gehen. Sie ergriff ihren Arm und zog sie mit sich. Überrumpelt und weil Nele sowieso keine Wahl zu haben schien, folgte sie ihr und sie brauchte nicht lange, um zu erkennen was sie vor hatte.

Als sie den alten Heuboden näher kamen, wusste Nele schon worauf ihre Freundin hinaus wollte und sie grinste sie nur von der Seite an, bevor sie sich den Weg aufwärts bahnte.
Nur wenige Augenblicke später, blickte sie blinzelnd auf die nur noch sehr schwachen Abdrücke, die sie einst hier hinterlassen hatten. Nele legte eine Hand direkt neben einen der gelben Fleckchen, der um einiges kleiner war als ihre Hand es heute war. Sie konnte sich an diesen Tag noch so erinnern, als wäre es erst gestern gewesen, dass dieses Zeichen ihrer Freundschaft entstanden war.
Kurzerhand zog sie ihr Telefon aus der Jackentasche und knipste ein mal mit der Kamera die vier Kinderhände ab, danach richtete sie es sich als Hintergrund ein und schob das Telefon wieder zurück in ihre Jacke, ehe sie belustigt kicherte. "Wir sollten uns vielleicht etwas anderes, etwas neues überlegen, finde ich. Was meinst du?" Heute war Nele mit ihrer Freundin in die Vergangenheit gereist und sie erinnerte sich viel zu gern an die früheren Zeiten, an ihre Kindheit. Es war eine sorglose und liebevolle Vergangenheit, die vor ihrem inneren Auge ablief. Vieles würde sie heute nicht mehr missen wollen und nur das wenigste rückgängig machen. Und Nele wollte gerade nicht an die Zukunft denken müssen. Doch genau dazu brachte sie Vivienne, als sie vom College anfing. "Um ehrlich zu sein. Das hatte ich mir bisher gar nicht überlegt. Aber wenn du wieder zurück aufs College willst, dann werde ich natürlich auch gehen." Ja, es war schon ziemlich lange her aber die Uni lief ihnen schließlich nicht weg. Was genau Nele allerdings studieren sollte, wusste sie jetzt gerade noch überhaupt nicht.

Ich drehte mich zu ihr und wusste ich hatte sie aus Kindheitserinnerungen geweckt. "Weißt du...vielleicht sollten wir auch einfach eine Pause machen. Ich weiß nicht, wir könnten uns Urlaub nehmen." plante ich und setzte mich auf und zog ein paar Heufasern aus meinem Haar. Es würde gleich Essen geben und Mutter würde über den ganzen Hof rufen. Ich hörte Nele zu das wir was neues tun sollten und ich stimmte ihr da voll zu. "Ich denke auch das es an der Zeit wäre. Fällt dir was spontan ein?" Das mit dem Urlaub schien eigentlich garkeine schlechte Idee zu sein. Ein Ausflug mit meiner besten Freundin? Einfach sich treiben lassen, vielleicht sogar an den Strand, oder mit einem Boot fahren. Einfach die Seele baumeln lassen. Ich strahlte sie an. "Lass uns wirklich wegfahren Nele. Ich meine das College kann warten wie du sagst und ich fühle mich irgendwie festgekettet an diesen Ort hier. Es wäre doch mal schön, auch wenn du gerade erst wieder hier bist. Wir könnten ja nicht weit weg fahren. Einfach nur wir zwei. Wir könnten Ruinen erkundigen, am Strand reiten gehen oder mit einem Boot eine Tour über Inseln fahren. Das Geld hätte ich. Ich habe eine Menge gespart. Eigentlich für Studien aber wie gesagt das Fach hat sich für mich glaube ich erledigt."

Eine Pause vom College hatte Nele ja schon eine ganze Weile. Diese war allerdings auch bitter nötig gewesen und ihre Professoren und Dozenten wussten alle, wieso sie eine Zeit lang ausfallen würde. Trotzdem... eine kleine Reise, nur mit Vivienne, war eine herrliche Vorstellung und Nele nickte eifrig zur Bestätigung. Das war die beste Idee, die sie seit langem gehört hatte und ihr Selbstwertgefühl stieg weiter an. Dass sie eine Art Ausflug nur mit ihr alleine vorschlug, machte Nele mehr als stolz. "Ja, das wäre wirklich total super, Vivi." Sie war happy und man hörte deutlich, wie gut sie ihre Idee fand. "Meinst du wir könnten wirklich einen Reitausflug an den Strand machen?" Das wäre auch ihre erste Idee gewesen und sie freute sich jetzt schon sehr, wenn sie das machen konnten. "Wir brauchen beide eine Auszeit und einfach nur etwas Zeit für uns. Mich würde es auf jeden Fall sehr freuen." Nele zwinkete ihr zu. "Und wer weiß, vielleicht finden wir einen besonderen Ort, der nur für uns zwei bestimmt ist. Dort könnten wir uns dann auf irgendeine Art verewigen. Das fänd ich toll." Nele war vor Aufregung kaum noch zu halten, zappelte nur noch erwartungsvoll und zwirbelte an einer Strähne herum, wie sie es immer tat, wenn sie etwas nicht abwarten konnte.

Ich strahlte und funkelte wahrscheinlich weil ich sah das Nele genauso wie ich von der Idee begeistert schien. "Dann ist es abgemacht. Ein Reitausflug am Strand, ein kleines Häuschen und dann eine Erkundungstour...." "Vivienne, Nele. Essen ist fertig", ich stoppte kurz und sah dann aus dem Heubodenfenster raus und rief. "Wir kommen Mama", dann sah ich zu Nele. "Das ist so gut wie abgemacht. Wir könnten uns die Ziele gleich mal über meinen PC ansehen. Aber vorher essen wir erst etwas oder? Ich hab einen Bärenhunger", kicherte ich und konnte mich kaum halten. Am liebsten wäre ich geflogen, hätte das Essen in mich gestopft um dann mit Nele auf dem Bett liegend am PC nach Zielen zu sehen. Aber erstmal sollte es Essen geben. Weswegen wir vom Heuboden kletterten und ich meine Freundin dann an die Hand nahm, wie in alten Zeiten und mit ihr rüber zum Wohnhaus rannte. Es war alles wieder in Ordnung. In meiner kleinen Welt.


Malachai Parker - Engel? Eher PsychopathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt