Kapitel 8

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Mit den Augen überflog Jin kurz die angebotenen Varianten von Kaffeespezialitäten aller Art.

Normalerweise boten alle Shops fast dasselbe und theoretisch kannte er auch diese Lokalität in und auswendig.

Seit er denken konnte, existierte gegenüber von GS-Entertainment dieser Coffeeshop.

Wer könnte es dem Besitzer verübeln? Kaffee wurde eigentlich immer getrunken und die Angestellten, sowie Besucher rannten ihm regelmäßig den Laden ein.

"Was soll es denn sein?", riss ihn die fröhliche Stimme des jungen Kellners aus seinen Gedanken.

Dieser hätte auch gut und gerne auf der gegenüberliegenden Straßenseite arbeiten können. Mit seinen knallroten Haaren und dem perfekt gezogenen Lidstrich fügte er sich nahezu perfekt in das optische Klischee der üblichen Boybands ein.

"Die 13 bitte. Zweimal.", antwortete Jin, ließ dabei den Blick über eine Wand voller Fotos streifen.

Ein Großteil davon bestand aus Porträtaufnahmen. Immer ein Angestellter des Shops mit teilweise recht bekannten Stars neben sich.

Der Junge, der ihn aktuell bediente, war dabei relativ häufig vertreten.

Scheinbar arbeitete er schon so lange hier, dass er einen recht guten Draht zu den Repräsentanten der Künstleragenturen pflegte.

"Bitteschön, hier ist deine Bestellung.", der rothaarige Kellner grinste breit, was Jin mit einem ebenso ehrlichen Lächeln erwiderte und sich mit seinem Tablett umdrehte, um Ausschau nach Namjoon zu halten.

Der hatte es sich bereits in der hintersten Ecke bequem gemacht und schaute vertieft in die Unterlagen, welche vor ihm ausgebreitet auf dem Tisch lagen.

Von Datenschutz schien er scheinbar auch noch nie etwas gehört zu haben.

Mit einem Räuspern stellte Jin das Tablett auf den Tisch und schob die dünnen Ordner dabei etwas zur Seite.

Namjoon beäugte argwöhnisch den Inhalt der beiden großen Pappbecher.

"Was ist das?", fragte er, hob dabei die Augenbraue.

"Ein doppelter Mokka mit Sojamilch und extra Sahne.", antwortete Jin wahrheitsgetreu.

"Dein Ernst? Nur, weil wir in Gangnam sind, muss ich mich nicht dem Trend unterwerfen und irgendwelche Schicki Micki Getränke in mich schütten.", moserte er, was Jin nur mit einem müden Schulterzucken abtat: "Dann drück dich das nächste Mal genauer aus. Oder besser noch: Geh selber."

Namjoon bedachte ihn mit einem düsteren Blick und griff nach einem der Becher.

Jin beobachtete ihn genau, als er das Getränk an seine Lippen führte.

Wahrscheinlich starrte er einen Moment zu lange auf die fein geschwungenen Mundzüge, hob Namjoon doch plötzlich fragend die Brauen.

Jin zuckte zusammen und schüttelte schnell den Kopf.

"Hast du schon was rausgefunden?", fragte er stattdessen ausweichend.

"Nichts, was einen Reporter angehen könnte.", antwortete Namjoon kühl.

"Ohne mich hättest du die Unterlagen gar nicht zu Gesicht bekommen.", lächelte Jin sein Gegenüber übertrieben freundlich an.

Fast eine geschlagene Minute lang sprach keiner von beiden ein Wort. Sie trugen einen stummen Kampf nur mit ihren Augen aus, wobei Jin allmählich mulmig zumute wurde, als Namjoons Blick immer durchdringender wurde.

Schließlich seufzte dieser aufgebend und schob ihm einen der Ordner über den Tisch.

"Sie waren alle hier angestellt. Wenn man das so nennen kann."

"Eigentlich ist es eher eine Art Trainingslager ohne Bezahlung.", murmelte Jin, während er die Personalakte sturtierte.

"Alle drei jung, hübsch und in dieser Agentur.", murmelte der Ermittler nachdenklich, nippte dabei an seinem Kaffee.

"Drei?", Jin stutzte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass vor ihm auf dem kleinen Bistrotisch tatsächlich drei dünne Hefter lagen.

"Es gibt noch ein Opfer?", hakte er nach. "Ich weiß nur von zwei."

Namjoon warf ihm einen überaus genervten Seitenblick zu und atmete kurz hörbar durch, ehe er sich schließlich doch überwandt, ihm zu antworten: "Vor etwas mehr als einem Monat. Sie wurde am Hafen gefunden. Dasselbe Merkmal wie die anderen Opfer. Aber damals sind alle von einem Einzelfall ausgegangen."

"Die Lippen...", stellte Jin mit angewidertem Gesichtsausdruck fest und nahm einen extra großen Schluck aus seinem Becher.

"Du bist noch nicht lange in dem Geschäft, was?", fragte Namjoon so zynisch, als wäre es an der Tagesordnung, dass man in Seoul junge Mädchen mit miteinander vernähten Lippen fand. Oder es weitaus grausamere Todesarten gab.

Das mochte wahrscheinlich wirklich so sein, aber mit denen wurde Jin nicht so konfrontiert wie jetzt bei diesem Fall.

"Willst du nicht lieber wieder hier anfangen?", Namjoon zeigte mit dem Finger auf das goldene Logo von GS-Entertainment.

Fasziniert stellte Jin fest, was für gepflegte Hände der Polizist eigentlich hatte. Kaum zu glauben, dass er wirklich regelmäßig eine Creme nutzen sollte, wo er sich doch sonst immer komplett resistent gegenüber angeblichem Schicki Micki gab.

Vehement schüttelte Jin den Kopf. Auch, um diese merkwürdigen Gedanken loszuwerden.

"Die Angelegenheit ist durch.", meinte er knapp und wollte damit zeigen, dass das Gespräch in diese Richtung somit erledigt ist.

Scheinbar nicht mit Namjoon, der gelangweilt zu einem der vielen Fernsehbildschirme in den Raumecken aufsah und das gerade abgespielte Musikvideo einer aktuell relativ bekannten Boyband musterte.

"Und sowas ist echt dein Traum?", fragte er, ließ die tanzende Gruppe mit den verschiedenen bunt gefärbten Haaren nicht aus den Augen.

"Er war es mal. Zumindest dachte ich das.", murmelte Jin. Könnten sie jetzt vielleicht mal das Thema wechseln?

"Kannst du auch so tanzen?", Namjoon grinste ihn herausfordernd an.

Himmel, er hatte Grübchen.

Jin schluckte schwer, sah kurz zu dem Video auf und dann wieder zu seinem Gegenüber.

"Ein bisschen.", stotterte er. "Könnten wir dann jetzt wieder?", erwartungsvoll zeigte er auf die Akten vor ihnen.

Namjoon machte schnell ein paar Fotos mit seinem Handy und sortierte die Unterlagen dann wieder fein säuberlich zusammen.

"Wir könnten gar nichts.", gab er abweisend zur Antwort. "Ich bin hier der mit der Marke. Die kannst du gerne zurückbringen.", unfreundlich drückte er Jin die Ordner in die Hand und erhob sich von seinem Stuhl.

"Wie jetzt? Das war es?", stutzte dieser überrascht.

Namjoon zuckte mit den Schultern: "Ich habe, was ich brauche."

"Und wie willst du an weitere Informationen kommen? Falls wieder etwas passiert?

"Ich bin normalerweise da, um genau sowas zu verhindern.", erklärte Namjoon mit verhärteten Gesichtszügen.

Jin wusste genau, dass er jetzt keinen Fehler machen dürfte. Ein falsches Wort und der Ermittler würde seine innere Mauer in Sekunden wieder hochziehen und ihn ausschließen.

"Das mag in deiner tristen und grauen Realität sehr gut funktionieren.", begann er daher schließlich. "Aber diese Welt hier ist eine komplett andere.", er zeigte auf die Ordner in seiner Hand, auf denen das goldene Logo vom künstlichen Licht der Neonlampen deutlich vom Untergrund hervorgehoben wurde.

Namjoon hob zynisch eine Augenbraue, als er fragte: "Und du glaubst, du bist der Schlüssel dazu?"

"Vielleicht nicht der Generalschlüssel, aber ich kann dir trotzdem eine Menge wichtige Türen öffnen.", Jin blickte ihn selbstbewusst an, obwohl ihm bereits mehrfach das Herz in die Hose gerutscht war.

Der dunkelhaarige Polizist musterte ihn eine gefühlte Ewigkeit stumm.

"Ich werde das bereuen, oder?", fragte er schließlich.

Jin grinste: "Sag einfach, du konntest meinem hübschen Gesicht nichts abschlagen."

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt