Kapitel 62

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Ein Rascheln und leises Rumoren drang an Jins Ohr. Irgendetwas knisterte.

Erst als ein geflüstertes Fluchen ertönte, schmunzelte der Reporter und öffnete blinzelnd die Augen.

Noch schien es relativ früh am Morgen zu sein, wie ein Blick aus dem Fenster vermuten ließ. Obwohl das bei den tieftrüben dunklen Wolken schwer zu deuten war.

„Wie spät ist es?", murmelte er verschlafen.

„Halb fünf.", kam die prompte Antwort.

Stirnrunzelnd vergrub Jin das Gesicht in den Kissen.

War das sein Ernst?

Wie konnte er ihn mitten in der Nacht wecken?

„Komm wieder ins Bett.", stöhnte Jin genervt auf, sog den Geruch der Kissen ein. Namjoons Duft, vermischt mit seinem eigenen.

In Verbindung mit den Erinnerungen an die vergangene Nacht stahl sich automatisch ein Lächeln auf sein Gesicht.

Er war glücklich.

Sie hatten etwas miteinander geteilt. Waren sich so nahe gekommen wie nur möglich.

Für Jin nicht bloß auf körperlicher Ebene.

Noch immer hatte er das Gefühl, diese Verbindung zwischen ihm und Namjoon spüren zu können.

„Ich muss etwas erledigen, also zieh dich an.", forderte der Ermittler ihn auf, zog uncharmant die Bettdecke weg.

Mürrisch knurrte Jin: „Kann ich nicht hierbleiben?"

„Nein.", kam die knappe Antwort.

„Warum nicht?", jammerte er weiter, stülpte sich ein Kissen über den Kopf. Diese elende Deckenlampe war viel zu hell.

„Weil das meine Wohnung ist.", meinte Namjoon wie beiläufig.

Jin stutzte.

Überrascht hob er das Gesicht aus den Kissen, betrachtete den Mann stirnrunzelnd.

„Ernsthaft? Vor ein paar Stunden warst du noch in mir und jetzt hast du nicht mal das Vertrauen, mich allein in deinen heiligen Hallen zu lassen?", fragte er zynisch.

„Das ist was anderes.", Namjoon wich seinem Blick aus.

Jin hätte schwören können, eine leichte Röte auf seinen Wangen zu erkennen.

„Mach dich einfach fertig. Ich muss nochmal telefonieren.", der Ermittler blickte erwartungsvoll auf den im Bett liegenden hinab.

Je länger er ihn mit diesem Blick musterte, umso nervöser und vor allem nachdenklicher wurde Jin.

Er wurde partout das Gefühl nicht los, dass Namjoon ihn schnellstmöglich aus der Wohnung haben wollte.

Aber warum?

Eigentlich hatte er gedacht, auch Namjoon empfinde dasselbe. Oder zumindest ähnlich.

Lag er falsch?

Bildete er sich gar zu viel ein?

Jins Magen zog sich schmerzhaft zusammen bei diesem Gedanken.

Unwillkürlich erinnerte er sich an Eric. Es war wie ein Reflex, dabei wollte er ausgerechnet ihn nicht mit Namjoon vergleichen.

Aber in diesem Moment war es einfach zu ähnlich.

Auch der war nach gemeinsamen Nächten am folgenden Morgen komplett verwandelt und fast schon unfreundlich abweisend gewesen. Oder auch gar nicht mehr da.

Konnte es sein, dass er Namjoon tatsächlich so falsch eingeschätzt hatte? Aber war das nicht vollkommen abwegig, wo er doch vorher nie eine Chance ergriffen hatte, einen Schritt weiter zu gehen?

Und er hätte eine Menge Chancen gehabt, wie Jin zugeben musste.

„Also?", drängte Namjoon.

„Schon gut.", seufzend warf Jin die Beine aus dem Bett, sammelte die verstreuten Kleidungsstücke zusammen und machte sich schlürfend auf den Weg ins angrenzende Badezimmer.

Erst, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete er wieder durch.

Die Stirn gegen die Badtür gelehnt, überdachte er die vergangene Nacht.

Hatte er irgendwas falsch gemacht? War es für Namjoon nicht gut gewesen?

„Ich sagte doch bereits, ich beeile mich."

Jin horchte auf.

Das war Namjoons Stimme. Er telefonierte, wie versprochen.

Aber mit wem? Und warum klang er so genervt?

„Es ist mir egal, wie spät es ist. Ich werde nicht ohne Jin fahren und ihn ausgerechnet jetzt allein lassen. Entweder wir beide oder gar keiner."

Unwillkürlich musste der Reporter lächeln.

Scheinbar hatte er sich doch unnötig Gedanken gemacht. Automatisch bekam er ein schlechtes Gewissen.

In Windeseile sprang er in seine Klamotten, machte sich kurz frisch und verließ schließlich das Bad.

Natürlich erst, nachdem er sicher war, dass Namjoon sein Telefonat beendet hatte.

Der saß mittlerweile in seinem Sessel, einen Ellenbogen aufgestützt und den Kopf in die Hand gelehnt.

Wartend betrachtete er Jin, der einfach nur im Raum stand und sein Gegenüber ansah.

„Was ist los?", fragte der Reporter.

Noch immer war er etwas unsicher, wenn er so von ihm angeschaut wurde.

Anfangs machten ihn Namjoons Blicke immer misstrauisch, wusste er schließlich nie, was dahinter steckte.

Wohingegen er jetzt zumindest ahnen konnte, was der Grund dafür war.

Der Dunkelhaarige antwortete nicht, hob nur stumm den Arm und hielt Jin die Hand hin, dass er zu ihm kommen sollte.

Mit wackeligen Knien ging der Reporter die wenigen Schritte auf ihn zu, ergriff die Hand und ließ sich auf Namjoons Schoß ziehen.

Verdutzt starrte Jin sein Gegenüber an.

„Ich dachte, ich soll mich beeilen.", hakte er vorsichtig nach, die großen Augen auf Namjoon gerichtet.

Ein leichtes Lächeln stahl sich auf dessen Gesichtszüge, als er es in Jins Halsbeuge vergrub und diese sanft küsste.

„Yun kann auch kurz warten.", flüsterte er, streifte mit den Lippen die empfindliche Haut am Hals.

Yun? Hatte sie angerufen?

„Gibt es etwa einen neuen Fall?", aufgeregt wich Jin zurück. „Dann müssen wir dort hin."

„Wir dürfen den Tatort sowieso nicht betreten.", antwortete der Ermittler leise, zog Jin erneut an sich, diesmal noch näher und fuhr mit der Hand unter dessen Hemd. „Ich bin suspendiert, falls du dich erinnerst."

„Beurlaubt.", seufzte der Reporter, biss sich dabei auf die Unterlippe. Als er Namjoons Finger über seine Brust wandern spürte, war es vollends um ihn geschehen.

Hatte er eben noch geglaubt, die die gemeinsame Nacht wäre eine einmalige Sache gewesen, die ihm nichts bedeutet hätte, wurde er spätestens jetzt eines Besseren belehrt, als er Namjoons Küsse an seinem Hals genoss.

„Ich will das alles wenigstens für einen kurzen Moment ausblenden können.", flüsterte der Ermittler. „Hilf mir dabei."

Jin drehte das Gesicht in Namjoons Richtung, drückte die Lippen auf seine.

Nur zu gern wollte er das.

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt