Kapitel 46

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Mit langsamen Schritten näherte Jin sich dem rauchenden Namjoon, der mit dem Rücken zu ihm an der Dachreeling stand und scheinbar auf die hell erleuchtete Stadt blickte.

Was sollte er tun?

Sollte er ihn ansprechen?

Aber was sollte er sagen?

"Es ist schön hier oben.", kam es reflexartig über seine Lippen, als er neben Namjoon stand und ebenfalls auf die vielen bunten Neonreklamen starrte.

"Nur nachts.", erwiderte der Ermittler monoton.

Und jetzt? Sollten sie über das Wetter reden?

Es regnete aktuell nicht, aber der kühle Wind war noch immer schneidend und so langsam begann Jin zu frieren.

"Ich wollte schon als kleiner Junge Polizist werden.", begann Namjoon plötzlich von sich aus.

Der Reporter wurde hellhörig, sah zu dem Mann neben sich, der allerdings weiterhin stur nach vorn schaute, als könne er besser reden, wenn kein Blickkontakt bestand.

"Die Gegend, in der ich aufwuchs hat nicht unbedingt den besten Ruf und als Teenager hat man dort nur die Auswahl zwischen Mafia oder Polizei.", sprach er ruhig weiter. "Vielleicht hätte ich mich für die andere Seite entschieden, wenn meine Schwester nicht von den Triaden entführt und zum Anschaffen gezwungen worden wäre."

Jin hielt schockiert den Atem an.

Namjoon zündete sich erneut eine Zigarette an: "Sie konnte fliehen, aber war danach nie wieder dieselbe und hat sich schließlich umgebracht. Heroisch und voller Enthusiasmus habe ich mir damals ernsthaft geschworen, alle Mitglieder der Mafia hinter Gittern zu bringen. Deshalb hab ich nach der Ausbildung auch in der Abteilung angefangen, die sich um Bandenkriminalität kümmert."

Jin war so gebannt von Namjoons Worten, dass er den mitlerweile wirklich eisigen Wind kaum noch spürte.

"Mein damaliger Partner war schon Jahre dabei und der Beste auf seinem Gebiet. Ich hab wirklich zu ihm aufgesehen und geglaubt, ich wäre ihm wichtig.", der Ermittler lachte trocken. "Dabei war er ein Spitzel und hat die ganze Zeit über interne Informationen an die Triaden weitergeleitet."

Stumm hörte Jin ihm zu.

Jetzt wurde ihm endlich klar, warum Namjoon so ein großes Vertrauensproblem hatte. 

Wenn er bereits in jungen Jahren so oft enttäuscht wurde.

"Ist er im Gefängnis?", fragte Jin vorsichtig. Er wollte ihn eigentlich nicht unterbrechen, auf die Gefahr hin, dass die langsam bröckelnde Mauer wieder hochgezogen wurde.

Namjoon schüttelte leicht den Kopf: "Er wurde von den Triaden hingerichtet, nachdem er sich geweigert hatte, seinen Partner zu opfern."

Seinen Partner?

Jin riss die Augen auf: "Du warst sein Partner."

Der Ermittler hob den Kopf, starrte in den wolkenverhangenen düsteren Nachthimmel.

"Ihnen hat scheinbar nicht gefallen, dass ich schon damals fast jeden Fall lösen konnte.", erklärte er, nicht ohne ein wenig Stolz in der Stimme.

"Nach seinem Tod kam alles raus und ich wurde gezwungen, die Abteilung zu wechseln.", fuhr er fort. "Seitdem bin ich hier und arbeite grundsätzlich nur noch allein."

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt