Er versuchte, sich abzulenken. Irgendwie.
Nur nicht zur Seite gucken. Lieber nach vorn, auf die Straße.
Sicher wäre es weitaus vorteilhafter gewesen, würden sie nicht mal wieder in einem dieser elenden Staus stehen. Dann hätte Jin wenigstens etwas zu tun. Fahren nämlich.
Auf den Verkehr konzentrieren.
Stattdessen starrte er seit beinahe 20 Minuten auf die grell leuchtenden Bremslichter seines Vordermanns.
Und könnte jetzt wahrscheinlich nicht einmal fahren, selbst wenn er es wollte. Weil er durch die blendenden Leuchten quasi blind war.
Also zur Seite schauen.
In das Grimassen schneidende Gesicht eines kleinen Jungen.
Auch nicht viel besser.
Seufzend schaltete Jin das Radio an. Wodurch Namjoon etwas lauter räuspernd seinen Unmut zum Ausdruck brachte.
"Wie war das? Mein Auto, meine Regeln.", wiederholte der Reporter die Aussage, die Namjoon vor kurzem selbst über die Lippen kam.
Der Ermittler antwortete nicht, vertiefte sich erneut in seine Lektüre.
Jin hingegen tippte mit dem Fingern im Takt auf das Lenkrad, um sich irgendwie abzulenken.
Was für einen merkwürdigen Sender hatte er da eigentlich ausgewählt.
Zum Glück war das von einer Frau gesungene furchtbar theatralische Lied endlich zu Ende und ein neuer Song setzte die ersten Takte an.
Stirnrunzelnd überlegte Jin.
Er kannte das Lied.
Blitzschnell streckte er den Finger aus und versuchte, den Sender zu wechseln.
Als das nicht klappte, schlug er mit der flachen Hand auf das Display, um das Radio endlich zum Schweigen zu bringen.
"Trotz allem ist es eigentlich kein so schlechter Song.", meinte Namjoon trocken, den Blick noch immer auf die Unterlagen auf seinem Schoß gerichtet.
Jin sah ihn fassungslos an: "Es ist schnulzig und er lässt mich in einem vollkommen falschen Licht dastehen."
"Deine Sorgen möchte ich haben.", schnaubte der Ermittler. "Ich habe gerade erfahren, dass ich seit Beginn meiner Ausbildung von den Triaden observiert wurde."
"Was?", schnappte Jin nach Luft. "Warum?"
"Anscheinend waren sie der Meinung, ich könnte zu einem Problem werden. Es gibt sogar eine Auflistung mit allen Personen, mit denen ich im Bett war."
Nun wurde der Reporter wirklich hellhörig und automatisch schnellte sein Blick zu der besagten Liste. Zumindest bis Namjoon die Akte zuklappte.
"Die ist..", Jin räusperte sich. "Schon recht lang."
Zynisch hob der Ermittler eine Braue: "Zumindest beweist mir deine Reaktion, dass du scheinbar wirklich keinen Blick hinein geworfen hast."
"Hab ich doch die ganze Zeit gesagt.", rollte der Reporter mit den Augen.
Insgeheim ärgerte er sich dennoch, zumindest ein ganz klein wenig. Hätte er gewusst, dass tatsächlich so eine Liste existierte, wäre die Versuchung wahrscheinlich enorm gewesen nicht doch einen Blick zu riskieren.
"Wenn sich so akkurat vorgehen, heißt das aber auch, dass du in Gefahr bist.", meinte Namjoon nachdenklich mit Blick aus der Seitenscheibe. "Es ist also nur von Vorteil für dich, dass wir das beendet haben."
"Und du meinst, wenn wir trotzdem die ganze Zeit zusammenarbeiten und du sogar bei mir übernachtest, wird man nicht denken, dass wir eventuell doch noch zusammen sind?", entgegenete Jin zynisch.
Endlich kam der Verkehr wieder ins Rollen. Erst in Schrittgeschwindigkeit, aber nach kurzer Zeit schien sich der Stau genauso schnell aufgelöst zu haben, wie er zustande gekommen war.
"Ich war von Anfang an dafür, dass wir den Kontakt abbrechen. Du hast mich doch die ganze Zeit versucht anzurufen.", knurrte Namjoon leise.
Empört schnappte der Reporter nach Luft: "Natürlich habe ich angerufen. Und du weißt ganz genau warum."
"Trotzdem ist es gefährlich. Hier geht es nicht um irgendwelche Lappalien. Das sind die Triaden.", motzte Namjoon ähnlich aufgebracht.
"Suchst du gerade wieder nach irgendwelchen Ausflüchten, um mir aus dem Weg zu gehen?", Jin war so wütend, dass er automatisch mehr Gas gab.
"Wieso Ausflüchte?", auch der Ermittler schien wütend. "Dein Leben könnte in Gefahr sein, wenn du der Mafia in die Quere kommst."
"Das ist mir aber egal! Verdammt nochmal, du warst derjenige, der Schluss gemacht hat. Ich wollte das überhaupt nicht beenden.", Jin redete sich regelrecht in Rage.
"Ich doch auch nicht!", kam die prompte Antwort.
Automatisch stutzte der Reporter, ging vom Gas und drehte das Gesicht zu seinem Beifahrer.
"Was?", hakte er nach, um sicherzugehen, dass er sich nicht doch verhört hatte.
Namjoon öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, schloss ihn jedoch gleich wieder.
Mit einem kurzen Seitenblick stellte Jin fest, dass sie am Ziel angekommen waren und parkte seinen Wagen gegenüber des Purple Heart.
Dennoch stieg er nicht direkt aus, sondern wand sich erneut zu dem Ermittler.
"hab ich das gerade richtig...", fragte er vorsichtig, wurde jedoch direkt von Namjoon unterbrochen, der mit der Hand abwinkte und die Beifahrertür öffnete.
"Du hast dich verhört.", antwortete er knapp.
Auch der Reporter stieg nun rasch aus. Über das Dach des Mercedes blickte er noch einmal zu seinem Gegenüber.
"Nein, ich bin mir ganz sicher, dass du gesagt hast, du wolltest nicht Schluss machen.", Jins Stimme klang eindringlich, seine Augen waren auf Namjoon gerichtet, um keine mögliche Reaktion zu verpassen.
Er fuhr sich durch die Haare, wirkte noch immer, als hätte man ihn beim Lügen ertappt.
"Oh mein Gott! Hilfe! Bitte!", erklang ein Schreien.
Jin und Namjoon drehten sich gleichzeitig erschrocken zu der Stimme.
Aus einer Gasse tauchte ein Mann auf, lief gehetzt auf sie zu.
Sein weißes Hemd war durchsichtig vom Regen. Aber was viel eher auffiel war das Blut.
Was aus der Ferne erst wie ein obskures Muster wirkte, entpuppte sich als blutige Handabdrücke auf Brusthöhe des Mannes.
Und erklärte wohl auch den Ausdruck in seinem Gesicht. Angst.
Todesangst.
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Artifice //Namjin//
Fiksi PenggemarEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...