Jin spürte die kalte Wand im Rücken.
Noch immer war er sich nicht sicher, ob das wirklich eine so gute Idee gewesen ist.
Das, was sie hier vorhatten, war definitiv illegal. Und dass ausgerechnet Namjoon diesen Plan geschmiedet hatte, machte es nicht unbedingt besser.
Er beobachtete den Ermittler, der noch einmal die Verbindung zu Yun überprüfte.
Die saß weiterhin in seinem Büro und versorgte ihn mit Blick auf die Kameras im Revier über die nötigen Informationen.
Namjoon hatte daher einen kleinen Stecker im Ohr, über den er Yun verstehen konnte.
Fast wie in einem Agentenfilm.
Auch der Ablauf klang wie aus einem Drehbuch.
Jimin sollte den Sicherheitsmann ablenken und von der verriegelten Tür zum Aktenarchiv weglocken.
Er hatte glücklicherweise noch die Paparazzifotos irgendeiner aktuell angesagten Sängerin dabei. In der Hoffnung, der Wachmann würde darauf anspringen.
Jin wusste, dass Jimin relativ überzeugend sein konnte. Allerdings konnte keiner vorausschauen, wie lange die Ablenkung funktionieren würde. Somit mussten sie schnell sein.
"Der Wachmann hat die jeweiligen Schlosskarten immer auf seinem Tisch liegen, es sollte also kein Problem sein, ungesehen ins Archiv zu kommen.", flüsterte Namjoon leise.
"Und die Kameras?", Jin zeigte fragend nach oben zur Decke.
"Yun löscht die Aufnahmen, sobald alles erledigt ist.", nickte ihm der Ermittler aufmunternd zu.
Wirklich beruhigter war Jin davon nicht.
Sollte irgendetwas Unvorhergesehenes passieren, wären sie alle dran.
Auch Unbeteiligte wie Jimin oder Yun.
"Hast du Angst?", erkundigte sich Namjoon.
Jin deutete ein Nicken an. Er wollte nicht versagen. Schon alleine, damit Namjoon nicht enttäuscht von ihm war.
So sehr wollte er von ihm gemocht werden, dass es beinahe schmerzte.
Je länger er bei ihm war, Zeit mit ihm verbrachte und die Nähe genoss, umso mehr wurde Jin allmählich klar, dass seine Gefühle nur auf eins hindeuteten.
"Wir schaffen das, in Ordnung?", Namjoon kam auf ihn zu, strich ihm zärtlich mit dem Daumen über die Wange.
"Jimin ist soweit. Wollt ihr noch knutschen oder geht es los?", hörte man Yuns mechanisch klingende Stimme aus dem Knopf im Ohr.
Jin sah zu Namjoon auf, der wirkte, als würde er ernsthaft über Yuns Vorschlag nachdenken. Wieder ein Moment, der ihm dieses warme Gefühl in der Brust bescherte.
So gerne würde Jin ihm sagen, was in ihm vorging. Was er spürte, wenn sie zusammen waren.
"Namjoon...", begann er leise.
"Ich weiß, wir müssen.", der Ermittler drehte sich zu dem lang gezogenen Gang um, gab Jin ein Zeichen, ihm zu folgen.
Er tat wie geheißen, lief ebenso vorsichtig in einigem Abstand hinterher.
Ein Blick auf den kleinen Beistelltisch des Wachmanns verriet, dass dieser wirklich nicht da war.
Die glänzenden Schlosskarten darauf waren schnell zu erkennen.
"Welche davon ist es?", fragte Jin am Tisch angekommen.
Namjoon zuckte mit den Schultern: "Lass es uns testen."
Er schnappte sich eine Karte mit einem breiten roten Streifen und hielt sie vor das Lesegerät direkt neben der Tür zum Lager.
Ein leises Piepen, gefolgt von einem Surren entriegelte die schwere Tür.
"Bingo.", grinste Namjoon, legte die Karte schnell zurück auf den angestammten Platz und schob sich in den dunklen Raum.
Er hielt die Tür noch einen Moment auf, dass auch Jin ihm ungehindert folgen konnte.
Der Geruch nach altem Papier war das erste, was dem Reporter auffiel. Es erinnerte ihn an das Archiv im Keller seiner Redaktion.
"Beeilen wir uns. Du siehst dort nach, ich hier.", gab Namjoon die Anweisung, nachdem er den Lichtschalter betätigt hatte und die flackernden Neonröhren einen relativ großen Raum preisgaben, welcher bis unter die Decke mit Regalen voller Ordner und Aktenschränken gefüllt war.
Perplex riss Jin die Augen auf: "So viele."
Wie sollten sie hier so schnell die richtigen Unterlagen finden.
"Wichtig ist dieser Taemin Lee und alles, was du über den Shenzen-Fall finden kannst."
Namjoon hatte bereits damit angefangen, die ersten Schränke aufzureißen und mit den Fingerspitzen die einzelnen darin befindlichen Akten durchzugehen.
"Shenzen, alles klar.", nickte Jin.
Nichts war klar. Absolut rein gar nicht.
Er wusste ja nicht einmal, wie genau die Akten hier geordnet waren. Ob nach Namen oder Nummern. Oder gar nach den jeweiligen Ermittlern.
Nichtsdestotrotz versuchte er sein Glück bei dem ersten Regal. Überflog mit den Augen die Aufschriften auf den Rücken.
Auch das zweite Regal brachte keinen Erfolg. Genauso das dritte und vierte.
Namjoons leises Fluchen im Hintergrund, welches darauf hindeute, dass auch er bisher nur Pech hatte, war Jin kurz davor aufzugeben.
Beim Blick in einen ziemlich abseits stehenden Aktenschrank, hielt er überrascht den Atem an.
Alles war da. Und noch viel mehr.
Drei Hefter, auf denen in großen Lettern das Wort Shenzen stand. Ein Hefter mit dem Wappen der Polizeistation und Haftnotizen, auf denen unter anderem der Name Taemin stand.
Jin nahm sich alle, presste sie an seine Brust.
Nur bei einem Hefter war er sich unsicher. Sollte er es wirklich wagen?
Was würde ihn erwarten? Was hoffte er, zu finden?
"Scheiße!", fluchte Namjoon plötzlich. "Scheinbar waren die Fotos doch nicht so heiß wie erhofft. Der Typ kommt zurück."
Jin zuckte zusammen. Er hatte das Gefühl, das Herz würde ihm in die Hose rutschen.
"Hast du was Brauchbares gefunden?", fragte der Ermittler gehetzt, schloss schnell die geöffneten Schubladen.
"Hab ich.", stotterte Jin aufgeregt. Kurz schloss er die Augen, sprang schließlich doch über seinen Schatten und nahm auch die andere Akte mit. Er versteckte sie zwischen den anderen vor seiner Brust und drehte sich zu Namjoon.
Der kam mit schnellen Schritten auf ihn zu, packte seine Schultern und drückte den verdutzten Reporter gegen die Backsteinwand neben den Regalen.
"Aber was...", wollte Jin protestieren, als Namjoon ihm die Hand auf den Mund presste.
Die Nerven zum Zerreißen gespannt bewegte sich keiner von beiden.
Jins Herz schlug so schnell und so laut, er hatte Sorge, sein gegenüber könne es hören. Oder schlimmer noch, der Wachmann.
"Okay, Jungs. Falscher Alarm. Der Typ ist mit den Fotos aufs Klo verschwunden.", lachte Yun in Namjoons Ohr.
Dieser ließ seine Hand sinken, dass Jin als erstes beruhigt die angestaute Luft ausatmen konnte.
"Lass uns verschwinden, solange der noch beschäftigt ist.", sagte Namjoon noch immer leise.
"Zurück ins Büro?", fragte Jin, doch der Ermittler schüttelte schnell den Kopf.
"Zu gefährlich mit den Teilen.", er zeigte auf die Akten, welche Jin noch immer umklammerte.
Namjoon verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln: "Also, zu dir oder zu mir?"
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Artifice //Namjin//
Fiksi PenggemarEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...