Kapitel 28

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"Ich finde es ja wirklich nett, dass du mir die Unterlagen nach Hause bringst.", Jin stellte die beiden Gläsrer auf dem Esstisch ab, die große Flasche Cola daneben.

"Das würde kein anderer Kurier freiwillig machen.", grinste Jimin.

Seine Haare waren noch immer leicht feucht vom Regen, durch den er sich mühseelig kämpfen musste.

Der Reporter blickte ihn vorwurfsvoll an: "Die wahren aber auch das Briefgeheimnis."

Mit den Fingerspitzen hilet er ihm den braunen Umschlag entgegen, dessen obere Seite nicht mal besonders vorsichtig aufgerissen war.

"Ach komm schon.", Jimin prustete die Wangen auf. "Früher haben wir das immer gemacht."

"Früher waren das aber auch nur Paparazzifotos von irgendwelchen mehr oder minder bekannten Promis. Jetzt sind da Dinge zu sehen, die eigentlich nicht für deine Augen bestimmt sind."

Der Silberhaarige verschränkte die Arme, schob schmollend die Unterlippe vor.

Eigentlich ein herzerweichender Anblick, mit welchem er Jin oft genug doch noch überreden konnte. Aber hier ging es diesmal nicht um eine selbstgekochte warme Mahlzeit oder Eintrittskarten für einen exklusiven Club.

"Jimin, das ist kein Spaß.", begann Jin, versuchte mit sanfter Stimme auf ihn einzureden. "Diese Bilder zeigen Tote. Echte Tote. Das waren bis vor kurzem alles ganz normale Menschen. Mit Eltern. Und Freunden."

"Ich weiß.", gab er zu. "Mich zum Beispiel."

"Was?", Jin stutzte.

"Die da.", Jimin tippte mit dem Finger auf ein Passfoto eines der Opfer. "Mit der hab ich immer Kaffee für den Coach geholt. Und mit ihm hab ich für einen Auftritt trainiert.", er zeigte auf ein weiteres Passfoto, diesmal das des Tänzers, welcher hinter dem Purple Heart gefunden wurde.

Traurig blickte Jin zu seinem Freund: "Das wusste ich nicht."

Was der Wahrheit entsprach. Zwar waren alle Opfer auf irgendeine Art mit GS Entertainment in Verbindung, aber er hätte nicht gedacht, dass bei den Hunderten von Trainees ausgerechnet Jimin die Opfer kannte.

"Die da war immer hinter Taemin her. Richtig aufdringlich.", Jimin kicherte.

Hatte Jin gerade noch gedacht, dass sein Gegenüber betrübt wäre aufgrund des Verlustes seiner Bekannten, sah er ihn nun schon wieder lächeln. Wenn auch nicht ganz so offen wie sonst.

Neugierig betrachtete der Reporter das Foto, auf welches Jin nun tippte. Eines der wenigen privaten Bilder aus der Wohnung des zumindest für ihn zweiten Opfers.

Darauf zu sehen war das Opfer selbst und ein weiteres junges Mädchen mit wasserstoff blond gefärbten schulterlangen Haaren, das ebenfalls fröhlich in die Kamera grinste.

"Das ist die Mitbewohnerin.", stellte er schockiert fest.

Jimin blickte ihn fragend an, doch Jin winkte nur ab. Es reichte, dass sein junger Freund Einsicht in die eigentlich privaten Fotos hatte. Weitere Informationen, die die Mordserie betrafen, musste er nicht erfahren.

"Du magst Teamin sehr, oder?", fragte er stattdessen.

Jimin nickte, nippte an seiner Cola: "Klar, wir sind Freunde. Er ist cool."

Nachdenklich betrachtete Jin sein Gegenüber. Er konnte überhaupt nicht einschätzen, ob Jimin mit seiner betonten Lässigkeit eventuell nicht doch irgendwas überspielte.

"Ach komm.", blaffte der Silberhaarige plötzlich. "Denkst du, ich weiß nicht, was du mir mit deinem stechenden Blick zu vermitteln versuchst?"

Stechender Blick?

"Ich kenne die blöden Gerüchte. Aber weißt du, warum er so erfolgreich ist? Weil er gut ist.", Jimin verschränkte erneut abwehrend die Arme.

"Daran zweifle ich auch gar nicht.", versuchte Jin ihn zu beruhigen. Selten hatte er ihn so ehrgeizig für eine Meinung einstehend erlebt. Taemin schien ihm wirklich eine ganze Menge zu bedeuten. Ob wirklich nur als Freund oder eventuell doch mehr, konnte Jin nicht einschätzen.

Dennoch hoffte er, dass die beiden sich irgendwann so sehr vertrauten, um vielleicht doch über das nicht ganz so geheime Doppelleben des Sängers zu reden.

Der Reporter wollte ungern derjenige sein, der Jimin aufklärte, dass die Gerüchte der Wahrheit entsprachen. Zumindest ein Großteil davon.

"Du bist ganz schön spießig geworden, seitdem du mit deinem Bullen zusammen bist.", merkte Jimin plötzlich mit spitzem Tonfall an.

Etwas, dass Jin wesentlich mehr überraschte, als seine Aussage an sich: "Wir sind nicht zusammen."

"Aber ihr vögelt.", da war er wieder: der altbekannte grinsende Jimin.

"Nein.", schüttelte der Reporter den Kopf, dachte kurz nach: "Ja. Nein, eigentlich nicht."

Sein gegenüber hob fragend die Brauen: "Eigentlich?"

Jin wich seinem Blick aus, rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

In den letzten Tagen konnte er die Erinnerung einigermaßen ausblenden. Er hatte sich einfach mehr auf seine Recherchen konzentriert, keinen Gedanken daran verschwendet, was im Purple Heart geschehen war.

Aber jetzt, wo er direkt auf Namjoon angesprochen wurde, schwappten die einzelnen Bildfetzen und besonders die Gefühle wie eine Welle hoch und drohten ihn zu verschlingen.

"Es ist kompliziert.", antworte er knapp.

"Aha.", Jimin blickte ihn ausdruckslos an.

"Was aha?", Jin versuchte, den leicht genervten Unterton in seiner Stimmlage zu unterdrücken.

Sein Gegenüber seufzte dafür umso genervter: "Was ist daran bitte kompliziert? Er ist heiß und du stehst auf ihn."

"Denkst du nicht, dass da noch ein paar andere Faktoren eine Rolle spielen sollten?", hakte der Reporter stirnrunzelnd nach.

Jimin legte die Ellenbogen auf der Tischplatte ab: "Warum hast du nicht einfach ein bisschen Spaß mit ihm?"

Jin stieg die Hitze ins Gesicht: "Vielleicht, weil ich nicht der Typ dafür bin, nur Spaß zu haben?"

Genau. Deswegen hatte er auch so enorme Freude daran, sich mitten in einem gut besuchten Club auf Namjoons Schoß zu setzen und sich von ihm...

Er blinzelte schnell den Gedanken weg.

Neugierig betrachte Jimin seinen Freund: "Handsome, wie lange ist das letzte Mal her?"

Jin zuckte ertappt zusammen. Nicht nur, weil er diesen Spitznamen hasste, was eigentlich jeder wusste.

"Das geht dich gar nichts an.", blaffte er ihm daher entgegen.

"Es war mit ihm, oder?", hakte Jimin nach, betonte den Artikel extra, damit Jin wusste, wen er meinte.

Allerdings benötigte er dafür keine zusätzliche Betonung. Ihm war auch so klar, wen er meinte.

Der Silberhaarige hatte mit Sicherheit bereits bemerkt, dass Jins Gesichtsfarbe zwischen puderrot und leichenblass gewechselt war. Dennoch hörte er einfach nicht auf: "Jedes mal, wenn er in der Stadt ist, lässt du dich rumkriegen. Weißt du, wie man das nenn? Leicht zu haben."

Jin schnappte empört nach Luft, konnte jedoch nichts entegen setzen, da Jimin direkt weitersprach: "Er muss doch nur mit dem Finger schnipsen und schon stehst du Spalier. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und danach jammerst du wieder und stopfst Eis in dich rein."

"Das ist ziemlich übertrieben.", murmelte Jin, wich jedoch seinem Blick aus.

Wahrscheinlich, weil er dennoch insgeheim wusste, dass er Recht hatte.

"Nimm dir den Bullen.", Jimin legte grinsend den Kopf schief. "Und reite ihn."

"Wie kannst du nur so reden?", blaffte Jin ihn an, musste jedoch selber lachen.

Vielleicht hatte er auch mit dieser, wenn auch etwas forsch formurlierten Meinung recht. Anstatt immerzu dem längst vergangenen hinterher zu trauern, sollte er etwas Neues beginnen.

Und der Anfang, der bisher gemacht wurde, war ja nicht so schlecht gewesen.

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt