Kapitel 27

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Mit den Fingerspitzen strich er vorsichtig über den silbrig glänzenden Edelstahl der Klinge.

Wie immer hatte er sich sehr lange dafür vorbereitet.

Über Stunden schärfte er jedes einzelne Messer, polierte die Schneide und fühlte immer wieder, ob die kleinen Furchen darauf begradigt waren.

Es war keine Routine, glich eher einem Ritual, dass er auskostete.

Mit jeder neuen Wachsschicht, die er den schimmernden Stahl auftrug, bis sein Gesicht sich darin spiegelte, wurde er ruhiger.

Das Zittern verschwand und er wusste, es würde nicht mehr lange dauern.

Gern verglich er sich daher mit einem Süchtigen.

Das hier war seine Droge, nach der er gierte. Nach der sein Körper sich sehnlichst verzehrte.

Deren Entzugserscheinungen ihn unruhig werden ließen, je länger das letzte Mal her war.

Wenn es endlich wieder kurz davor war begann das Beben, der Atem ging schwer.

Aber diese Auswirkungen waren nur von kurzer Dauer. Sobald er mit der Vorbereitung begann, konzentrierte er sich.

Seine Sinne fokussierten sich auf das Ziel und er genoss jede einzelne Sekunde davon.

Lächelnd betrachtete er sein Werkzeug vor sich, dass er fein säuberlich auf einem silbernen Tablett angerichtet hatte, einem Festmahl gleich.

Summend streifete er sich die schwarzen Gummihandschuhe über.

Sein Herzschlag beschleunigte sich, Vorfreude stieg in ihm auf, als er mit dem Tablett in den Händen ins Freie trat.

Diesmla war er wirklich stolz auf sich, so einen schönen Ort gefunden zu haben. Es war geradezu perfekt.

Begeistert blickte er sich auf dem Gelände des alten Vergnügungsparks um.

Fast könnte man meinen, den Duft von Zuckerwatte wahrnehmen zu können und in der Ferne das fröhliche Kreischen begeisterter Kinder zu hören.

Früher konnte man hier sicherlich viel Spaß haben. Bevor ein noch besserer und noch größerer Park eröffnet wurde und dieser langsam in der Versenkung verschwand, bis er schließlich nur noch ein grauer Fleck in den Erinnerungen der damaligen Besucher wurde.

Was für eine wahrlich perfekte Metapher.

Gerne würde er genau das über sich lesen wollen. Dass er etwas Gutes tat.

Durch ihn wurden sie nicht einfach ersetzt, wenn etwas Besseres auftauchte.

Dank ihm blieben sie jedem im Gedächtnis. Man würde sich ewig an sie erinnern.

Und an ihn selbst.

Er betrat die Stufen des Karussells, ging zielstrebig zu einem detaillreich geschnitzten Holzpferd, dessen rote Lackierung bereits von der Witterung angegriffen war und abblätterte.

Der junge Mann lag schwer atemd gegen die Figur gelehnt auf dem stumpf glänzenden Boden.

Seine Augen tief in den Höhlen versunken starrten ihm voller Angst entgegen.

Ansonsten bewegte er sich nicht.

Wie auch?

Brav war er gewesen, als er das Mittel, vermischt in dem Eistee, eingenommen hatte.

Nur wenige Minuten waren vergangen, bevor die volle Wirkung einsetzte und die erwünschte Lähmung begann.

Manchmal war es wirklich schade, dass sie eingeschlossen im eigenen Körper nur zusehen konnten.

Vielleicht hätte es ihm ja gefallen, jeden einzelnen von ihnen schreien zu hören.

Zwar kannte er jede ihrer Stimmen von der Bühne, aber gerne hätte er sich auch in seinem ganz eigenen Kontext daran gelabt.

Sei es drum.

So musste er sich mit dem Anblick ihrer Augen zufrieden geben, die ihn erst flehend und mit der Zeit nur noch erschöpft und fahl betrachteten.

Er hatte mittlerweile die feinen Unterschiede erkannt.

Wenn die Pupillen sich schlagartig vergrößerten, war der Schmerz am größten.

Diesen Anblick genoss er besonders.

Auch diesmal hatte er darauf geachtet.

Für jeden Finger, den er ihm gebrochen hatte, wurde er mit einem schweren Keuchen belohnt.

Die ersten drei hatte er noch mit einem schnellen Ruck nach hinten gedreht. Aber bei den restlichen ließ er sich Zeit.

Beim letzten Finger, der nun recht unansehnlich von den restlichen Hand abstand, hatte er das altbekannte Zucken der Iris in den wirklich hübschen Augen des jungen Mannes erkannt.

Zum wiederholten Male fragte er sich, warum dieser gutaussehende Kerl sich den Platz als Rapper ausgesucht hatte.

Eigentlich hatte er gedacht, diesmal hätte er sich erneut einen Visual ausgesucht. Bei diesem Auseehen.

Aber tasächlich war dessen Zungenakrobatik gar nicht so schlecht gewesen.

Man sollte sich noch lange an das Können dieser Zunge erinnern.

Er stellte das Tablett neben den Beinen des jungen Mannes ab, überlegte weiterhin summend, welche der Klingen am ehesten zu seinem Vorhaben passen würde.

Schließlich entschied er sich für ein ergonomisch geformtes Skalpell, dass die perfekte Größe hatte.

Zärtlich strich er mit dem behandschuhten Daumen über die vollen Lippen des jungen Mannes, schoben sie leicht auseinander.

Erneut registrierte er, wie gutaussehend dieser war.

Sie waren immer alle gutaussehend.

Und künstlich.

Das Einzige, was in dieser falschen Welt noch echt war, war der Schmerz.

Wie schön muss es wohl sein, nach so langer Zeit in dieser unrealistischen bunten künstlichen Perfektion endlich wieder echten tiefen Schmerz zu fühlen?

Er wusste, dass sie ihm dankbar dafür waren.

Er konnte es in ihren Augen erkennen. Immer dann, wenn es fast vorbei war.

Über diese Erkenntnis schmunzeln griff er nach der Zunge des jungen Mannes, zog sie fast schon vorsichtig aus der Mundhöhle.

Ein letzter Blick galt der weißen Lilie, die er auf dem Tresen des Kassenhäuschens drappiert hatte.

Unschuldig lag sie dort in ihrem strahlenden Weiß.

So unschuldig wie sie alle waren, bevor sie von der menschenverachtenden Maschinerie zu Puppen, Marionetten gemacht wurden, die auf Kommando lächeln.

Er würde ihnen ihre Unschuld wiedergeben.

Das hatten sie verdient.

Konzentriert setzte er das Skalpell an.

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt