Jin starrte wie gebannt auf den Bildschirm.Unfähig, sich zu rühren.
Auch Namjoon hinter ihm schien nicht kalt zu lassen, was sie sehen mussten.
Das Video war nicht unbedingt die beste Qualität. Anfangs verwackelt, bis die Kamera scheinbar auf einem Tisch abgestellt wurde, weil die filmende Person ebenfalls ein Teil der Aufnahme sein wollte.
Drei Männer waren zu sehen.
Zwei davon älteren Semesters. In schicken Anzügen.
Die dritte Person war Taemin. Im Gegensatz zu den beiden anderen war er vollkommen nackt.
Zu Anfang der Aufnahme kniete er noch vor einem der Männer, um diesen mit dem Mund zu befriedigen.
Erst, als der andere Geschäftsmann dazu kam, wurde Taemin an seinen Haaren nach oben gerissen und mit Gewalt auf einen Schreibtisch gedrückt. Sein schmerzverzerrtes Gesicht direkt vor der Kamera konnte man ihm Hintergrund das tiefe Lachen der beiden Männer hören.
"Mach es aus.", bat Jin mit brüchiger Stimme.
Er wollte, konnte es sich nicht länger ansehen.
Namjoon rührte sich nicht.
"Mach es aus!", schrie Jin nun und erst jetzt rührte der Ermittler sich. Er klappte den Laptop zu, was zwar das Bild verschwinden ließ, der Ton für einen endlos scheinenden Moment jedoch noch zu hören war.
Die Augen zusammengekniffen hielt Jin sich dazu noch die Ohren zu.
Warum hatte er diese Seite gefunden?
Warum hatten sie das Video angesehen?
Wie widerwärtig musste man sein, um so etwas zu filmen und zu veröffentlichen?
Und wie abartig, einem Menschen so etwas anzutun?
"Jin.", Namjoon legte beruhigend die Hände auf seine Schultern, strich mit dem Daumen sanft seinen Nacken. "Du weinst."
Verwundert strich der Reporter über seine Wange, die tatsächlich feucht war.
Schnell rieb er mit dem Handrücken über seine Augen.
Wie peinlich.
Er wollte doch beweisen, wie stark er war und nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit heulen.
Namjoon drehte den Bürostuhl so, dass Jin gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.
Den Blick abwendend murmelte der Reporter: "Willst du mich jetzt wieder rauswerfen?"
Aus dunklen, fast schwarzen Augen blickte Namjoon zu ihm herunter.
"Eigentlich müsste ich das.", gab er offen zu. "Aber ich brauche dich."
Verwirrt starrte Jin ihn an.
Wer brauchte ihn? Wofür?
"Damit ich dich an meine Kontakte in der Musikbranche weiterreichen kann?", vermutete er berdückt. Wozu auch sonst.
"Das vielleicht auch."
Namjoon ging in die Hocke, war nun mit seinem Gegenüber auf einer Augenhöhe.
Er ließ gar nicht erst zu, dass Jin sein Gesicht von ihm abwand, sondern nahm es direkt in beide Hände und zwang ihn so, ihn anzusehen.
Mit dem Daumen strich der Ermittler ihm über die feucht glänzenden Wangen.
"Ich weiß, dass ich kaltherzig und egoistisch bin. In meinem Job ist das wahrscheinlich Voraussetzung, um gut zu sein.", begann Namjoon, zwischen seinen Augen bildete sich eine tiefe Furche. "Aber ich glaube, dieser Mordfall geht diesmal in eine Richtung, die ein gewisses Feingefühl verlangt."
"Und dafür brauchst du mich?", erkundigte Jin sich perplex.
Der Ermittler nickte widerwillig: "Eigentlich hab ich mich für die Mordkomission entschieden, um solchen Geschichten aus dem Weg zu gehen.", mit einer Geste zeigte er auf den geschlossenen Laptop. "Meine Opfer kann ich für gewöhnlich nicht mehr fragen, wie es ihnen ergangen ist. Und ich bin wahrscheinlich auch der vollkommen falsche Ansprechpartner für solche Art Konversation."
Jin blickte ihn irritiert an.
"Soll ich etwa mit Taemin...", er brach ab. "Ich weiß nicht, ob ich das kann."
Namjoon verzog die Lippen zu etwas, das einem Lächeln am ähnlichsten kam.
"Du bist der gutmütigste und einfühlsamste Mensch, den ich kenne. Daher bin ich mir sicher, dass du das kannst."
Er überlegte.
Nicht unbedingt wegen dem, was er gesagt hatte. Sondern eher wie.
So zärtlich, fast schon hingebungsvoll. Beinahe könnte man meinen, es war eine Liebeserklärung.
Tief einatmend nickte Jin schließlich.
Was hätte er auch sonst anderes tun sollen? Immerhin hockte Namjoon hier vor ihm, hielt sein Gesicht in den Händen und blickte ihn aus diesen unglaublich tiefdunklen Augen entgegen.
Wie in Zeitlupe und ohne sich dagegen erwehren zu können, näherten sich ihre Gesichter einander.
Jins Herzschlag beschleunigte sich.
Automatisch schloss er die Augen, als er Namjoons Lippen spürte.
"Warum quält ihr mich eigentlich so?"
Jin fuhr erschrocken herum zur Tür. In welcher Yun stand und ihnen vorwurfsvoll entgegenblickte.
"Immer, wenn ich hier rein komme, klebt ihr aneinander wie in einem kitschigen Mädchencomic.", beschwerte sie sich jammernd.
"Was kommst du auch ständig hier rein.", zuckte Namjoon mit den Schultern.
Yun schnaubte gespielt empört: "Eventuell, weil ich sowas wie deine persönliche Assistentin bin? War. Jetzt, da du ja Mister Worldwide Handsome hast."
Sie zeigte mit dem Finger auf Jin.
Dieser schluckte.
"Ich will dir deine Arbeit nicht streitig machen.", abwehrend hob er die Hände.
Zumindest so lange, bis er Namjoon hinter sich leise lachen hörte und sich verwundert zu ihm drehte.
Er hockte wirklich da und verkniff sich ein Grinsen.
Ein ungewohnter, aber beruhigender Anblick, der Jin selbst zum lächeln brachte und dieses warme Gefühl in seiner Brust nur noch verstärkte.
"Warum bist du eigentlich hier?", wurde der Ermittler schnell wieder ernst, als er sich an Yun wandte.
Die setzte ebenfalls wie auf Knopfdruck wieder ihre seriöse Make auf.
"Das Mädchen wurde gefunden.", erklärte sie.
"Das aus der Villa.", Namjoon erhob sich aus seiner hockenden Position, ging auf Yun zu und ließ sich die Unterlagen geben. "Warum ausgerechnet dort?", fragte er mehr zu sich selbst.
Dennoch erweckte er Jins Aufmerksamkeit, der erwartungsvoll den Blick hob.
"Ich glaube, wir gehen einen Kaffee trinken. Allerdings bestelle ich diesmal.", meinte Namjoon noch im Gehen, als er sich seine Jacke schnappte.
DU LIEST GERADE
Artifice //Namjin//
FanfictionEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...